Glenn Erickson: Sci-Fi Savant

Glenn Erickson: Sci-Fi Savant. Classic Sci-Fi Review Reader. Point/Blank (an imprint of Wildside Press), 2011

 

Science-Fiction-Sachbuch. Mit zahlreichen schwarzweißen Abbildungen und einem Annex von John McElwee. Softcover, 312 Seiten.

 

Ich gebe es ungern zu, aber ich bin ein ziemlich altmodischer Mensch. 1971 geboren und demgemäß noch im analogen Zeitalter aufgewachsen, habe ich früh Bücher zu lieben gelernt und greife auch heute noch lieber zu einem Buch, als mich im Internet durchzuwühlen, wenn ich mich über ein Thema intensiver informieren will – auch wenn Letzteres natürlich längst unerlässlich geworden ist. Somit hatte ich gute Gründe, mir das Buch Sci-Fi Savant des von mir hoch geschätzten Filmkritikers Glenn Erickson zuzulegen, obwohl ich wusste, dass der Inhalt auf Ericksons von mir oft be­suchten Web-Kolumne DVD Savant, beheimatet im nicht minder großartigen Portal DVD Talk, vollständig online zu­gänglich ist. Verrückt? Vielleicht. Hat sich der Kauf dennoch gelohnt? Hmmm . . . Bedingt. Ich komme noch darauf zu sprechen.

 

Glenn Erickson ist ein in Los Angeles lebender Filmcutter, der sich seit dem Aufstieg des Internets als versierter Film­kritiker profiliert hat. Nach einem Abschluss der Filmschule an der UCLA hatte er zunächst als Cutter von Low-Budget-Filmen gearbeitet und an den Spezialeffekten für Steven Spielbergs Unheimliche Begegnung der dritten Art (1977) und 1941 – Wo bitte geht’s nach Hollywood? (1979) mitgewirkt (man achte auf seinen Namen in den Abspännen!). Später arbeitete er als Cutter von TV-Spots und Filmtrailern und produzierte mehrere Jahre für Warner Home Entertainment zahl­reiche Video- und DVD-Veröffentlichungen. Ein Highlight seiner Karriere im Filmgeschäft war 1997 die Wiederent­deckung und Restauration des „verschollenen“ Schlusses von Robert Aldrichs Film-Noir-Klassiker Rattennest (Kiss Me Deadly, 1955). Im Jahre 2002 wurde Erickson für sein Editing der Oscarverleihung von 2001 für einen Emmy nominiert. Ericksons großer Vorteil als Filmkritiker gegenüber seinen Autorenkollegen liegt somit klar auf der Hand: Als Insider kennt er das Filmgeschäft und darüber hinaus auch dessen technische Hardware und praktischen Produktionsprozesse genau, er weiß, wovon er spricht. Dass er zudem ein überaus geschultes Auge für Filmschnitte hat, sollte sich von selbst verstehen.

 

Nach verschiedentlichen gedruckten Publikationen zum Film und zur Filmkritik hatte Glenn Erickson 1997 seine Web-Kolumne DVD Savant ins Leben gerufen und damit als einer der ersten damit begonnen, im Internet professionelle Filmkritiken zu veröffentlichen. Genau genommen bespricht Erickson bestimmte DVD- und Bluray-Veröffentlichungen von Spielfilmen, doch nehmen regelmäßig die Besprechungen der Filme selbst den Großteil seiner Rezensionen ein, denen dann nur ein knapper Annex zu den technischen Details der DVDs und Blurays folgt. Mit DVD Savant hat sich Glenn Erickson weltweit hohen Respekt als Connaisseur und Kritiker von Filmen verdient, und zwar zu Recht. Er schreibt hervorragend informiert, umsichtig, ausgewogen und mit einer ordentlichen Prise lakonischem, trockenem Witz – seine Texte sind Musterbeispiele gut lesbarer und konzentriert auf den Punkt kommender Filmkritik.

 

Nach seinem ersten Buch DVD Savant – A Review Resource Book (2004) veröffentlichte er mit vorliegendem Sci-Fi Savant – Classic Sci-Fi Review Reader ein zweites Werk, das aus seiner Web-Kolumne erwachsen ist. Dieses Buch nun macht auch deutlich, dass Erickson ein besonderes Faible für ältere, „klassische“ Science-Fiction-Filme hat – kein Wunder, dürfte er doch mit vielen dieser Filme aufgewachsen sein (ein Geburtsdatum Ericksons konnte ich nirgends im Internet ermitteln, doch dürfte er etwa um 1950 herum das Licht der Welt erblickt haben).

 

Sci-Fi Savant versammelt insgesamt 116 Science-Fiction-Film-Rezensionen, chronologisch geordnet nach dem Erschei­nungsdatum der Filme, von Fritz Langs Metropolis (1927) bis zu James Camerons Avatar (2009). Das Buch bietet so einen handlichen, interessanten Streifzug durch acht Jahrzehnte des Science-Fiction-Kinos. Erickson bespricht Meister­werke des Genres wie Things to Come (1936), Alphaville (1965), 2001: A Space Odyssey (1968) oder Blade Runner (1982) mit derselben Verve und Ernsthaftigkeit wie die zahlreichen, vielfach gering geschätzten cheapies wie The Brain from Planet Arous (1957), The Angry Red Planet (1959) oder Mario Bavas Planet of the Vampires (1965). Die Texte sind in der Regel ein bis zwei, bisweilen auch drei oder vier Seiten lang. Jeder Rezension ist jeweils eine kleinformatige Schwarz­weiß-Abbildung eines Filmposters vorangestellt (deren Qualität leider oft nur dürftig ist); weitere Abbildungen wie beispielsweise movie stills gibt es keine.

 

Zu den Produktionsteams der Filme gibt Erickson nur ganz knappe Angaben bei, während seine Besprechungen der jeweiligen DVD oder Bluray unterschiedlich ausfallen: Mal enthalten sie wertvolle Hinweise auf die Bildqualität, Ton­spuren, Untertitel und Extras, mal allerdings sind sie ziemlich knapp gehalten und hinterlassen einen unbefriedigenden Eindruck. Doch wie bereits erwähnt, liegt das Hauptaugenmerk ohnehin auf der Kritik der Filme selbst. In ihr geht Erickson vor allem auf die politischen, ideologischen, soziologischen und religiösen Themen oder „Botschaften“ der Filme ein, die er oft auf unseren heutigen zeitgeschichtlichen Horizont bezieht. Denn nicht selten haben Science-Fic­tion-Filme, oft unbewusst, schon vor Jahrzehnten Entwicklungen antizipiert, die inzwischen eine unheimliche Realität gewonnen haben. Die Filme können auf diese Weise auch heute noch der Gegenwart etwas zu sagen haben. In seinem sehr lesenswerten Vorwort zum Buch, einem durchdachten Essay über das ältere Science-Fiction-Kino, verdeutlicht Erickson diese Sichtweise an einem schlagenden Beispiel:

 

This reviewer first saw Nigel Kneale and Val Guest’s 1957 Quatermass 2 on television in the early 1960s and remembered it only as an exciting thriller about “Nazis from Space”. The film now seems a veritable Rosetta Stone to the key themes of the anxiety-ridden present. Discovering that official secrecy masks a nefarious government project, Bernard Quatermass protests loudly: “Secret! You put a label like that on anything and law and order goes out the window!” (Sci-Fi Savant, S. 10)

 

Neben den politischen Bezügen erörtert Erickson in seinen Besprechungen auch regelmäßig die spezifischen Science-Fiction-Elemente, etwaige literarische Vorlagen, die Spezialeffekte und, ganz nüchtern, die kommerziellen Zielsetzun­gen und Einflussnahmen der Produzenten.

 

Warum also habe ich bei dem Buch bei all seinen Qualitäten dennoch gemischte Gefühle? Ganz einfach: Es enthält lei­der nicht exakt die Texte, die ich als langjähriger DVD Savant-Leser eigentlich erwartet hatte, nämlich Glenn Ericksons Online-Rezensionen in unveränderter gedruckter Form. Stattdessen wurden alle enthaltenen Rezensionen für die Buchausgabe überarbeitet – und dabei manchmal auch ganz leicht gekürzt. In erster Linie hat der Autor bei der Über­arbeitung die Spitzen seiner ursprünglichen Urteile entschärft und ihre oftmals sarkastischen oder spöttischen Ecken und Kanten geglättet. Außerdem hat er sich darum gekümmert, seine Argumente nüchterner und klarer heraus­zustel­len, hingegen er sie nur sehr selten auch einmal revidiert hat. Erickson stellte dabei die Sätze öfters auch einmal um und änderte sie leicht ab wie beispiels­weise im vierten Absatz seiner Besprechung von Bert I. Gordons Beginning of the End (1957) vom 8. März 2003 (S. 127).

 

Insgesamt schien Erickson darum bemüht gewesen zu sein, seinem Buch einen seriöseren Tonfall zu geben und wohl auch kleinere Fehler auszubügeln. Das ist an sich löblich, und wohl kaum ein Autor hätte die Gelegenheit, seine älteren Texte noch einmal zu verbessern und auf stilistischen Hochglanz zu polieren, ausgelassen. Im Endergebnis hat man nunmehr aller­dings zwei verschiedene Versionen derselben Texte zur Verfügung, und man ist bei der Lektüre ständig gewillt, die Online-Versionen zum Vergleich heranzuziehen, um zu sehen, ob einem ein älteres Argument vielleicht andernfalls durch die Lappen geht. Wer aber will schon ständig dieselben Texte zweimal in zwei nur geringfügig ver­schiedenen Versionen lesen?

 

Die ultimativen Fassungen seiner Texte bietet natürlich das Buch. Wenn ich Glenn Erickson hier auf Astron Alpha zitie­re, verweise ich dennoch regelmäßig per Link auf die Online-Versionen seiner Rezensionen, denn zum einen stehen sie so für euch Leser unmittelbar zur Verfügung, zum anderen sind die inhaltlichen Unterschiede zu gering, um einen Verweis auf das Buch zu rechtfertigen. Immerhin: Das Buch ist toll, um darin herumzublättern (für das Stöbern in DVD Savant gibt es demgegenüber umfangreiche Indexlisten), um das Interesse für Filme zu wecken, die einem noch unbe­kannt sind, oder um aufs Geratewohl darin Texte auszuwählen und zu lesen – das Buch reizt wirklich zum „Sich-Fest­lesen“. Will man aber gezielt über bestimmte Filme Glenn Ericksons Besprechungen konsultieren, ist DVD Savant nach wie vor die erste Adresse. Die überarbeiteten Rezensionen des Buches erweisen sich damit als schick, aber leider auch in der praktischen Handhabung als überflüssig.

 

 

© Michael Haul

Veröffentlicht auf Astron Alpha am 31. Dezember 2016