Philip Strick: Science Fiction Movies

Buchcover von Philip Strick, "Science Fiction Movies" (1976)

Science-Fiction-Sachbuch (London 1976). Erschienen im Verlag Octopus Books Limited in der Reihe The Movie Treasury. Mit über 170 farbigen und schwarzweißen Abbildungen und einem Index der Filmtitel. Gebundene Hardcover-Ausgabe, 160 Seiten.

 

Der britische Filmkritiker und Science-Fiction-Liebhaber Philip Strick (1939–2006) war einer der talentiertesten Kritiker des phantastischen Kinos. Viele Jahrzehnte schrieb er regelmäßig Kritiken zu Science-Fiction-Filmen für die vom British Film Institute herausgegebene Zeitschrift Sight and Sound sowie für das Monthly Film Bulletin. Bereits während seines Studiums der Geschichte und Anglistik in Cambridge hatte Strick damit begonnen, über Filme zu schreiben; daneben hatte er sich zunächst als Theaterschauspieler und Musiker versucht und wurde später als Journalist, als Buchillustrator und in der Produktion und im Vertrieb von Filmen tätig. An der Londoner Universität leistete er seit 1969 Pionierarbeit, als er als einer der ersten damit begann, Vorlesungen und Seminare über das Science-Fiction-Genre zu halten. Die akademische Anerkennung dieses damals noch viel geschmähten Bereichs der Massenunterhaltung als ernstzu­neh­men­des Studienobjekt hatte er damit nachhaltig gefördert.

 

Mit Science Fiction Movies, in der Reihe The Movie Treasury im Octopus-Verlag London erschienen, veröffentlichte Philip Strick 1976 seine einzige Monografie. Das Buch wurde mit seinen pointierten Analysen und seiner sprachlichen Eleganz zu einer brillanten Liebeserklärung an das phantastische Filmgenre und genießt längst Klassikerstatus. In seinem eigenen Buch Keep Watching the Skies! bezeichnete Bill Warren (geb. 1943) Science Fiction Movies als beson­ders empfehlenswert und wertschätzte Philip Strick als einen Autor mit stets verlässlicher Urteilskraft. Der bekann­te britische Filmkritiker Kim Newman (geb. 1959), wie Strick ein Liebhaber des phantastischen Kinos, sagte nach Stricks Ableben auf Tim Lucasʼ Video WatchBlog über ihn: “I always thought Philip was one of the most underrated genre critics. His Science Fiction Movies is still a smart, entertaining study which makes unusual connections.”

 

In der Tat ist Science Fiction Movies ein außergewöhnlich intelligentes und unterhaltsam zu lesendes Filmbuch. Zudem erfreut die hochwertige Aufmachung: Das Buch hat in etwa DIN-A-4-Format und ist auf starkem Papier gedruckt, in dicken Buchdeckeln gebunden und mit einem glänzenden Schutzumschlag versehen, dessen Titeldesign an das klassische SF-Magazin Amazing Stories angelehnt ist. Seite für Seite prunkt das Werk mit großen, schwarz­weißen movie stills von ausgezeichneter Auflösung und Bildschärfe. Die Auswahl der Motive weicht dabei häufig von den gängigen, in vielen anderen Filmbüchern begegnenden Motiven ab. Die prachtvollen movie stills machen Lust auf jeden abgebildeten Film und rechtfertigen für sich allein schon den Erwerb des Buches; sie glorifizieren das Genre und setzen ihm ein feierliches Denkmal.

 

Irreales Kino, irreale Science-Fiction

 

Bekanntlich ist die ewige Streitfrage, was denn „Science-Fiction“ oder „das Science-Fiction-Kino“ sind oder sein sollten, nach wie vor ein beliebtes Diskussionsthema, und so ist es immer zu begrüßen, wenn eine Gesamtdarstellung des Genres sich zunächst um eine Klärung der eigenen Position in dieser Frage bemüht. Philip Strick weicht diesem Präliminarium nicht aus und sieht sich Mitte der Siebzigerjahre, ein Jahr vor Star Wars, noch immer vor ein Legi­ti­ma­tions­problem gestellt. 1970 konstatierte John Baxter in seinem bahnbrechenden Buch Science Fiction in the Cinema einen fast unüberwindbar scheinenden Graben zwischen der literarischen und der filmischen Science-Fiction. Er räumte der Literatur mit ihrer von Jules Verne, Herbert George Wells und Hugo Gernsback geprägten positiven Haltung gegenüber Utopien und technologischen Visionen die intellektuelle Überlegenheit ein und sah auf der anderen Seite im effektheischenden, vom Horrorfilm herkommenden und an die Masse gerichteten Science-Fiction-Film eine primitivere Form, die vor allem unterbewusste Ängste artikuliert. Der Science-Fiction-Film war Baxter, beim Wort genommen, begrifflich eigentlich eine “intellectual impossibility” und gewissermaßen “anti-science fiction”. Damit schrieb er einen althergebrachten, damals noch sehr vitalen Snobismus der Science-Fiction-Puristen fort, die noch immer im mutigen Entwurf einer möglichen Zukunft, im Blick auf das große Ganze der Menschheit, den eigentlichen Sinn und Zweck des Genres sahen und angesichts der ärmlichen Machart des Science-Fiction-Kinos bezweifelten, dass es ähnlich wie die Literatur befähigt sei, kühne Zukunftsentwürfe vielschichtig und rational durchdacht darzustellen.

 

Strick räumt ein, früher eine ähnliche Position vertreten zu haben, kommt hier aber zu einem anderen, eman­zi­pier­te­ren Schluss. Ihm ist Science-Fiction, wie jede Fiktion, zunächst eine irrationale, erheblich von Gefühlen bestimmte ästhetische Erfahrung. Science-Fiction, ob verschriftet oder verfilmt, bietet die Chance, das Phantastische oder zukünftig Mögliche zu erleben, so, als ob es Wirklichkeit sei, und das verbindet sie mit dem magischen Zauber des Kinos:

 

“It now seems to me that in many ways the cinema is science fiction. It deals with unrealities in a mood of total conviction. It demonstrates alternatives and allows you to share in them. It is fantasy constructed around actuality, and the translation of ideas into images. It is a seductive illusion dependent upon scientific and chemical principles. Any film worth experiencing is one that hauls you inside itself for ninety minutes or so, finally to disgorge you in a state of dazzled rebirth, and the same applies, of course, to any reasonably competent science-fiction story.” (S. 4)

 

Das alte Vorurteil von der Defizienz des Science-Fiction-Films ist hier aufgehoben. Das Werturteil wird stattdessen quer eingezogen: Es gibt gute wie schlechte Science-Fiction-Filme, wie es auch gute und schlechte Science-Fiction-Erzählungen gibt. „Science-Fiction“ hat weniger science denn vielmehr fiction zu sein, und im Falle des Science-Fiction-Films kommt der unmittelbaren visuellen Repräsentanz eine Rolle zu, die die Science-Fiction-Literatur niemals ausfüllen könnte. Genau deshalb spielt die Qualität der Spezialeffekte bei der Bewertung von Science-Fiction-Filmen auch eine so enorme Rolle, und deshalb misst Strick der intelligenten Spekulation, so wichtig sie ist, im Science-Fiction-Film nicht die Hauptrolle zu. Das Science-Fiction-Kino ist in erster Linie Kino. Es erzählt wie die Literatur. Aber es formuliert oder theoretisiert nicht – es bildet ab. Spekulationen sind in ihm als vollendete Realitäten zu bestaunen. Hierin liegt kein Manko, sondern geradezu die ratio vivendi und Faszination des Science-Fiction-Films:

 

“The paradox of the science fiction film is that it carries its own contradiction within itself. A space wheel, for example, may not be orbiting the earth right now, but 2001: A Space Odyssey has actually shown us the thing in full flight, and with far greater clarity than the NASA moonflight transmissions were able to achieve. The wheel has already be filmed; after Kubrick, you might say, there seems little point in spending a fortune on the genuine article. If you want to know what itʼs like in space, the whole experience is made safe and easy for us by 2001, preferably on the biggest screen in town.” (S. 4)

 

Ein anderer wichtiger Aspekt des Buchs ist, dass Strick sich mit vernichtenden Filmbewertungen wohltuend zurückhält, ätzenden Spott ganz vermeidet und seine Leser nicht darüber belehrt, welche Filme er wertzuschätzen habe und welche nicht. Stattdessen bringt Strick auch schlechten Filmen generell ein gewisses Maß an Wohlwollen entgegen – insbesondere, wenn die Produktion um ihre Lächerlichkeit weiß und mit augenzwinkernder Selbstironie darauf verweist, so wie in Robert Gaffneys Duel of the Space Monsters (1965), den Strick “a triumph of vulgarity” nennt, “that has been undeservedly forgotten” (S. 9).

 

Panorama der Imagination

 

Science Fiction Movies ist eine Gesamtdarstellung, ein Streifzug durch das Genre, bei dem auf 160 Seiten eine beachtliche Anzahl von Filmen beleuchtet wird – der Index der im Buch erwähnten Filme listet 523 Titel auf. Es liegt auf der Hand, dass Strick auf so knappem Raum die Filme nicht im Einzelnen tiefschürfend studieren kann. Auf manche Filme geht er etwas intensiver ein, doch auch dann wendet er nie mehr als drei Absätze auf. Er diskutiert die Filme jeweils im thematischen Zusammenhang mit anderen Filmen; demgemäß ist seine Sightseeingtour durch das Genre auch thematisch gegliedert. Die Kapitel des Buches befassen sich nacheinander mit außerirdischen Besuchern und Invasionen (“Watching the Skies”), dem mad scientist-Thema (“Men Like Gods”), der Verzerrung, Transformation oder Überschreitung der menschlichen Identität (“The Mark of the Beast”), dem Weltuntergang (“Armageddon, and later”), Invasionen der menschlichen Psyche (“Out of Our Minds”), dem Raumfahrtfilm (“Taking Off”), der Space Fantasy (“Far Out”) und der Zeitreise (“Time Twisters”).

 

Stricks Diskurs ist essayistisch, stilistisch elegant und amüsiert oft auch mit augenzwinkerndem Humor. Er fragt vor allem danach, welche psychologischen und gesellschaftspolitischen Aussagen die Filme machen, mit welchen Mitteln sie dies tun und wie erfolgreich sie dabei sind; an Produktionsgeschichten und -Hintergründen ist Strick dagegen kaum interessiert. Selbst in den miserabelsten Vertretern des Genres sind Reflexe von Aussagen und Affekten zu finden: “They have a lot to tell us, whether we notice it consciously or not” (S. 5).

 

So identifiziert Strick das Alien als ein Symbol unbewusster, eingehegter Triebe und Kräfte in uns, die zum Ausbruch oder zur Überwindung drängen (S. 20ff.). Ein anderes ständiges Thema der Science-Fiction ist die perspektivische Verzerrung der Wahrnehmung und des Erlebens: die enorme Vergrößerung oder Verkleinerung der Umwelt, Zeitreisen oder die Möglichkeit ewigen Lebens. Da das Kino bereits an sich die Befähigung mitbringt, die Regeln von Raum und Zeit mühelos zu brechen, ist, wie Strick feststellt, das Science-Fiction-Kino besonders dafür prädestiniert, verzerrte Weltwahrnehmungen herzustellen (S. 66). Dem Monster schreibt Strick eine komplexe Faszination zu, in der sich Mitgefühl, Widerwillen und Angst mischen, sowie eine Erschütterung unserer Gewissheiten darüber, was als „normal“ und „nicht normal“ zu gelten hat (S. 66). Auf das berühmteste Filmmonster aller Zeiten, den Riesengorilla aus King Kong (1933), geht Strick ausführlicher ein. Kong vereinigt in sich viele Aspekte: Er ist vital und gewalttätig, aber auch rührend unbeholfen in seiner besitzergreifenden Liebe zu Fay Wray; vor allem aber ist er ein Opfer der modernen, kapitalistischen Welt, die die Urgewalt aus dem archaischen Dschungel für kommerzielle Zwecke skrupellos ausbeuten will. Damit symbolisiert Kong Aspekte, die uns selbst innewohnen.

 

“Kong is violent, ruthless and dangerous, crushing and dismembering humans with casual brutality. But the aircraft that make the final lethal attack are seen from the targetʼs viewpoint, firing their guns directly out at the audience. When Kong falls, we all fall. Many forces are symbolized by his huge, amiable figure, but his most vital is his innocence. As long as technology, capitalism, or mere insensitivity are seeking to enslave us, Kong will be there to break the chains.” (S. 68)

 

King Kong dient hier nur als ein Beispiel für Stricks Stil und das Augenmerk auf die psychologischen Dimensionen der Filme, die er diskutiert. Freilich: Essays sind immer auch der Gefahr ausgesetzt, auf ihren Metaebenen Verknüpfungen herzustellen, deren Beweisbarkeit fragwürdig bleibt und die daher nicht immer einleuchten wollen. Auch Strick gelingt es nicht immer, den Leser von seiner philosophischen Einsicht zu überzeugen. So behauptet er zum Beispiel weiter über King Kong: “The monster ape, snarling menace over the roof-tops, is as handy a symbol for Hitler as for liberty” (ebda.). Auch will man nicht immer Stricks Werturteilen folgen, wie beispielsweise jenem, nachdem “the invasion films of the ʼ50s took themselves desperately seriously, with the result that they are almost unwatchable today” (S. 10). Allerdings fordert Science Fiction Movies nur selten zum Widerspruch heraus.

 

Mitte der Siebzigerjahre genossen in der Science-Fiction-Literatur die damals jüngeren Strömungen der New Wave, des inner space und der gesellschaftskritischen Dystopien das höchste Ansehen. Dass auch auf diesen Feldern der experimentelle Science-Fiction-Film mühelos mithalten kann, zeigt Strick anhand von Filmen wie Letztes Jahr in Marienbad (1960) oder Je tʼaime, je tʼaime (1967) – beide von Alain Resnais. Der Höhepunkt des anspruchsvollen Science-Fiction-Films ist nach Strick Andrej Tarkowskis Solaris (1972). Strick nennt ihn den “most intelligent and questioning science-fiction movie ever made” (S. 140) und stellt über ihn fest: “As a whole, itʼs the nearest the cinema has come to capturing the complexities of modern science fiction, with its intermingling of time and memory, its undertow of uneasiness, its emphasis on elegance and style” (S. 145). Und auch John Boormans umstrittener und oft angefeindeter Film Zardoz (1973), den Strick am Ende seines Buchs bespricht, wird als außergewöhnliche Leistung gewürdigt:

 

“The science-fiction fan needs to be open to the special qualities of film as a means of expressing moods, fears and ideas – to accept a film like Zardoz, in fact, not for its originality in science-ficiton terms but for its extraordinary achievement as pure cinema.” (S. 156)

 

Zardoz, so Strick, ist eine glänzende Demonstration dessen, wozu das Science-Fiction-Kino fähig ist: “the exploration of the unexplorable”. In diesem Falle geht es um die in der Science-Fiction viel zu selten gestellte Frage nach den Konsequenzen, die das ewige Leben mit sich brächte, und damit zusammenhängend die Frage nach den sinn­stif­ten­den Aspekten des Todes. “The exploration of the unexplorable”, der Hunger des Menschen nach Imagination, nach der Überschreitung seiner bisher gemachten und überhaupt potenziell möglichen Erfahrungen, macht Strick zu einer Formel, die er im Schlussabsatz seines Buchs versuchsweise als Definition des Science-Fiction-Films anbietet, und umfasst damit noch einmal das Genre als Ganzes.

 

“In the cinema of the fantastic, the speculative and the surreal, the film-maker satisfies not only the basic requirement of entertainment itself by striving to provide new and fresh experiences but he serves also to the very purpose of metaphysics – the human mindʼs healthy refusal to withdraw from its hopes, fears and dreams. The most voracious human appetite is the imagination – a hunger for exploration, knowledge, and ever-greater miracles. The science fiction movie, stemming from the imagination, stimulates it further. Such is its unique value. And its unique excitement.” (S. 157)

 

Eine trefflichere und zugleich enthusiastischere Umschreibung des Science-Fiction-Kinos, die die Faszination seiner Phantasie ins Zentrum rückt, lässt sich kaum denken. Es ist dies nur eine der vielen Stellen, an denen Stricks Scharfsinn und Begeisterung, mit der er das Science-Fiction-Kino ausdeutet, in schöner Klarheit hervortritt. Mit Science Fiction Movies hat Philip Strick eine Ode an das Genre geschrieben, die noch heute zum Besten gehört, was es über das Science-Fiction-Kino zu lesen gibt. Ein sehr empfehlenswertes Buch.

 

 

© Michael Haul

Veröffentlicht auf Astron Alpha am 4. Februar 2016