Bill Warren: Keep Watching the Skies!

Buchcover von Bill Warren, "Keep Watching the Skies!" (2nd Edition, 2010)

Bill Warren: Keep Watching the Skies! American Science Fiction Movies of the Fifties  The 21st Century Edition. Research Associate Bill Thomas, Fore­word by Howard Waldrop. McFarland & Company, Inc., Publishers, Jefferson (North Carolina) and London 2010.

 

Science-Fiction-Sachbuch. Mit zahlreichen schwarzweißen Abbildungen und zwei farbigen Bildteilen. Umschlag-Illustration von Kerry Gammill. Gebun­de­ne Hardcoverausgabe. 1004 Seiten.

 

“Keep watching the skies!” funkt warnend der Reporter Scotty in der letzten Szene von Howard Hawks’ klassischem Science-Fiction-Film The Thing from Another World (1951) in die Welt hinaus. Gerade zuvor haben die Helden des Films ein grauenvolles Monster besiegt, das mit einem UFO aus dem Weltall gekommen war. Scottys Aufruf, den Himmel wachsam zu beobachten, bringt die UFO-Hysterie und Invasionsangst der Fünfzigerjahre prägnant auf den Punkt – und drückt damit eines der zentralen Themen des amerikanischen Science-Fiction-Films jener Dekade aus. Ein pas­sen­der Titel also für ein Buch, das sich mit genau diesen Filmen auseinandersetzt.

 

Bill Warren (1943–2016) hat mit diesem monumentalen Buch das Standardwerk über die Science-Fiction-Filme der Fünfzigerjahre verfasst. Das über tausend Seiten umfassende Werk ist die faszinierende Arbeit eines Enthusiasten, der diese Filme liebt und sie jahr­zehn­te­lang en détail erforscht hat, von den Klassikern bis hin zu den ärmlichsten cheapies. Bereits 1982 und 1986 in zwei Bänden erschienen, liegt das Werk nun in einer komplett überarbeiteten, großformati­gen, einbändigen Fassung vor. Schon äußerlich kommt es gewichtig daher: Das Buch liegt schwer wie ein Foliant auf dem Schoß bzw. in den Händen und ist daher etwas umständlich zu handhaben. Schön ist der Umschlag mit der gelun­genen Coverillustration von Kerry Gamill im Stil eines Kinoposters; auch gefallen der stabile Einband, das hochwertige lackierte Papier und der vom McFarland-Verlag mit gewohnter Sorgfalt erstellte Drucksatz.

 

Warren diskutiert in seinem Buch sämtliche Science-Fiction-Filme, die in den USA in den Jahren 1950–1962 im Kino aufgeführt wurden. Die große Masse davon sind, natürlich, Hollywoodfilme; daneben finden sich einige britische und japanische Produktionen und nur ganz selten Filme aus anderen Ländern wie Italien, der Sowjetunion, Österreich oder der DDR. Vor allem die osteuropäischen Science-Fiction-Filme wurden zumeist nicht in den USA aufgeführt und fehlen daher auch in Warrens Buch. Ausgegrenzt wurden ferner sämtliche Science-Fiction-Produktionen, die fürs TV ent­stan­den waren – selbst wenn sie zu Kinofilmen zusammengeschnitten und im Zeitraum 1950–1962 im US-Kino aufgeführt wurden.

 

Den Begriff Science-Fiction handhabt Warren angenehm pragmatisch und großzügig: Wenn ein Film ein fantastisches Element oder Geschehen aufweist, das die gewohnte Realität übersteigt, im Film jedoch als wissenschaftlich erklärbar hingestellt wird – und sei die Erklärung noch so absurd und unlogisch –, handelt es sich um einen Science-Fiction-Film. Entscheidend ist das grundsätzlich rationale, wissenschaftliche Denken, das die Erzählung des Films bestimmt, im Gegensatz zur magischen, übernatürlichen Erklärung der Welt im Märchen- oder Fantasy-Film. Sowohl Filme, die in der Ur- oder Steinzeit angesiedelt sind, zählt Warren zur Science-Fiction, wie auch Filme, die neben ihrem Science-Fiction-Aspekt einen starken Horroreinschlag haben und aus diesem Grund von anderen Autoren aus dem Genre des Science-Fiction-Films ausgeklammert wurden. Lediglich Filme, in denen ganz am Rande ein Science-Fiction-Gadget erscheint, das kaum Relevanz für die Erzählung als Ganzes hat, lässt Bill Warren außen vor.

 

Jeder einzelne Film wird in einem eigenen Artikel ausführlich besprochen. In der Erstauflage des Buches waren die Filme noch nach ihrem Erscheinungsjahr angeordnet. In der vorliegenden Neuauflage sind sämtliche Filme alpha­be­tisch sortiert – von Abbott and Costello Go to Mars (1953) bis X the Unknown (1956). Insgesamt werden 284 Filme diskutiert. Die einzelnen Artikel sind meistens zwischen drei und fünf Seiten lang, öfters auch länger, selten kürzer. Eine Reihe bedeutender Klassiker wie Forbidden Planet (1956) oder The War of the Worlds (1953) werden auf bis zu zwölf Seiten besprochen. Bisweilen findet man auch erstaunlich lange Artikel zu Filmen, die nur geringe Budgets und begrenzten Kassenerfolg verbuchen konnten, die der Autor aber aus dem einen oder anderen Grund als besonders diskussionswürdig ansah.

 

Bill Warren trägt in jedem der 284 Artikel eine beeindruckende Fülle von Informationen zusammen, die vor allem die Produktion betreffen: Details zur Entstehung der Filmidee, zu den Drehbüchern, Produzenten, Regisseuren, Schau­spie­lern, Ausstattern und Spezialeffekt-Teams. Ein anderer Schwerpunkt ist die Zusammenfassung der zeitgenössischen journalistischen Filmkritik. Der Autor recherchierte intensiv in den Archiven der Filmstudios in Hollywood, las originale Drehbücher oder deren Entwürfe und verwertete neben der umfangreichen Sekundärliteratur zahlreiche, in mehreren Büchern veröffentlichte Interviews, die der Filmhistoriker Tom Weaver mit den Regisseuren, Produzenten und Schau­spie­lern der Filme geführt hat. Es sind vor allem diese harten Fakten, angereichert mit Anekdoten, die die Artikel in­for­mativ und spannend machen.

 

Die harten Fakten sind allerdings nicht systematisch gesammelt worden und wurden auch unterschiedlich gewichtet. Manchmal erläutert Warren minutiös die verschiedenen Entstehungsphasen des Drehbuchs und spekuliert darüber, welche Elemente jeweils auf welchen Autor zurückgehen, wenn mehrere Autoren daran beteiligt gewesen waren (so z. B. bei Forbidden Planet); bei anderen Filmen geht er stärker auf den Werdegang des Regisseurs oder der Schau­spie­ler ein (z. B. bei Creature from the Black Lagoon); wieder bei anderen weiß er Details über die Ausstattung oder die Spezialeffekte zu vermitteln. Zum einen hat hier gewiss das jeweilige Interesse des Autors die Auswahl bestimmt. Häufig aber gab die Quellenlage zu den Filmen einfach nicht mehr Informationen her. Über einige Filme wie z. B. This Island Earth (1955) sind ganze Bücher geschrieben worden; über andere, obskure und manchmal nicht einmal mehr zugängliche Filme war es dagegen für Warren fast unmöglich, nähere Informationen zu recherchieren.

 

Hier und da setzt sich Warren auch eingehender mit der Interpretation der Filme auseinander. Häufig – nicht immer – betrifft das jene Filme, die als überdurchschnittlich intelligent aus der großen Masse herausragen. Diese Filme sind zu Genreklassikern avanciert und wurden auch von der akademischen Filmwissenschaft analysiert und ausgedeutet. Warren interessiert sich für die theoretische Reflexion der Filme allerdings nur am Rande. In seinem Vorwort erklärt er:

 

“I do not subscribe to or even buy at the newsstand, so to speak, any particular critical theory. In a real sense, I’m not a film scholar; I’m just a movie fan. Don’t expect to find these films discussed from the point of view of the auteur theory, the genre theory, the seminological theory (what Florida Indians think of them). Just me.” (Skies, S. 6)

 

Warren wahrt zu allen Theorien eine gesunde Distanz, wägt ab und begründet dann sein eigenes Urteil, das letztlich von seinem eigenen ästhetischen Empfinden bestimmt ist. Angesichts viel zu vieler Science-Fiction-Filmbücher, die immer wieder nur die Meinungen wiederkäuen, die von anderen Kritikern oder von Film- oder Kulturwissenschaftlern vorgedacht wurden, und ansonsten keinen einzigen eigenen Gedanken zu den Filmen hinzusteuern, ist das wohltuend souverän. Selbst nachzudenken ist nicht nur das gute Recht, sondern geradezu die Pflicht des Filmkritikers, wenn er seinen Lesern gerecht werden will, wie Bill Warren ausführt:

 

“For the most part, reviewers spend much of their space talking about themselves. You really don’t read Pauline Kael or James Agee to find out if a movie is any good; you read them to find out their opinions of given movies. The best critics are in such close contact with their own reactions, and can articulate these reactions so well, that we really do eventually discover more than just what they thought of a movie. And that’s what I’ve tried to do here.” (Skies, S. 5; Hervorhebung von mir)

 

Warren schreibt in einem plaudernden, fast essayistischen Stil. Öfters teilt er auch seine ganz persönliche Erfahrung eines Filmes mit und erzählt, wann und wo er den Film zum ersten Mal gesehen und wie er den Film dabei ange­nom­men hatte. Auch das ist für den Leser überaus spannend, erfährt man doch so aus erster Hand etwas über das zeitge­nös­si­sche Umfeld, in dem die Filme damals aufgeführt wurden. So wird Warren unversehends selbst zur sozio­lo­gi­schen Quelle.

 

Warren hält sich an keine starre Struktur, nach der er in den Artikeln die Informationen arrangiert. Beispielsweise kann die Inhaltszusammenfassung des Films, die nie fehlt, mal am Anfang, mal aber auch erst in der Mitte des Artikels er­scheinen; sie kann knapp, aber auch sehr lang und detailliert ausfallen. Auch die Gewichtung der anderen Informa­tio­nen fällt immer ganz unterschiedlich aus. So wirken die 284 Artikel aufs Ganze gesehen manchmal ein wenig zusam­men­ge­würfelt. Interessant und vergnüglich zu lesen sind sie aber alle.

 

Am Ende jedes Artikels findet sich jeweils ein ausführlicher Abschnitt mit den Filmcredits. Der Vergleich mit den An­gaben der IMDb zeigt, dass mal die Angaben Warrens, mal die Angaben der IMDb ausführlicher sind; beide Quellen widersprechen sich auch öfters, ohne dass man eine Handhabe hat, eine der beiden Quellen zu verifizieren. Die Ver­läss­lich­keit hätte hier durchaus stärker ausfallen können. Alles in allem halten sich die Fehler aber in Grenzen, und Warrens auf Vollständigkeit bedachte Filmcredits sind eine dankbare Quelle und um einiges umfangreicher als die Credits in den meisten Filmlexika.

 

Fast jeder Film wird mit mindestens einer (schwarzweißen) Abbildung begleitet: zumeist movie stills in beeindru­cken­der Bildqualität, häufig aber auch Pressefotos oder interessante Fotoaufnahmen, die während der Dreharbeiten ent­standen. Zudem enthält das Buch zwei Farbtafelabschnitte, die eine Auswahl der so eindrucksvollen, gemalten Film­plakate zu den Filmen abbilden.

 

Interessant ist auch der Appendix. An eine Liste der Filme in der Reihenfolge ihres Erscheinens schließt sich eine siebenseitige Auflistung aller Filme an, die Warren ausgeschlossen hat (“The Great Pretenders”), weil zum Beispiel das Science-Fiction-Element innerhalb der Filmhandlung nur vorgetäuscht ist, lediglich der Titel nach Science-Fiction klingt oder ein in den Fünfzigern produzierter Film erst nach 1962 in den USA erschien. Manchmal taucht hier sogar ein Film auf, den Warren in der Erstauflage seines Buches noch aufgenommen hatte (z. B. Island of Lost Women, 1959, ein Film, in dem nur in einer ganz kurzen Szene eine Strahlenwaffe benutzt wird). Warren listet des Weiteren angekün­dig­te Titel auf, die nie gedreht wurden (S. 929f.); Filme aus seinem Buch, die Remakes erfahren haben (S. 932); die Science-Fiction-TV-Serien, die in den Fünfzigerjahren in den USA entstanden waren. Weitere Appendix-Abschnitte befassen sich mit den Bowery Boys – Dashing Heroes of Science Fiction (S. 931f.); mit der Filmposterkunst jener Zeit, die ins­be­son­dere vom Grafiker und Werbekünstler Reynold Brown (1917–1991) geprägt wurde (S. 933–935); mit einem weiteren, „nachgereichten“ Film (Tarzan’s Peril, 1951; S. 936f.); zuguterletzt mit einem Nachruf auf Warrens langjährigem Freund und Science-Fiction-Fan Tim Murphy (S. 937f.). Eine hervorragende Bibliographie (S. 939–942) und ein sehr detaillierter Index (S. 943–1004) beschließen das Buch.

 

Um die Entstehung und den Aufbau des Buches besser zu verstehen, sollte der Leser das sehr persönlich gehaltene Vorwort des Autors lesen. Bill Warren war seit seiner Kindheit ein glühender Science-Fiction-Fan. Im Vorwort erzählt er davon, wie er in Gardiner, einer kleinen Stadt an der Küste Oregons, mit all den Science-Fiction-Filmen aufgewachsen ist, die er in seinem Buch diskutiert. Die Leidenschaft für das Science-Fiction-Kino hat Bill Warren bis zu seinem Able­ben nicht mehr losgelassen. Der allererste Science-Fiction-Film, den Warren im Alter von acht Jahren mit seinen Eltern im Kino sehen durfte, war The Day the Earth Stood Still (1951) von Robert Wise, und Warren schildert, welch ungeheu­ren Eindruck dieser Film auf ihn gemacht hatte:

 

„I wish I could recapture the feeling of seeing The Day the Earth Stood Still for the first time again. It was the most exciting thing I had ever experienced. My heart was pounding and my knees were literally knocking together in excitement (they don’t even touch now); I’d never seen anything like that before and, because of its newness to me, have never seen anything like it again. It was much more engrossing than any other movie I had seen, and I somehow knew that a new door in my life had been opened. It has never closed.” (Skies, S. 7)

 

Nur zu gut kann jeder Genrefreund diesen Augenblick, den Warren hier schildert, nachvollziehen – die ungeheuer intensive Erfahrung, die der erste visuell und imaginär beeindruckende Science-Fiction-Film in einer Kinderseele auslösen kann. Was für Warren The Day the Earth Stood Still gewesen war, war für mich zum Beispiel der Kinofilm Kampfstern Galactica, den ich 1981 zum ersten Mal im Alter von neun Jahren im Fernsehen gesehen hatte: dasselbe grenzenlose Entzücken, dieselbe wilde Begeisterung – und eine „erste Liebe“, die seit damals nicht verloschen ist.

 

Warren begann, sich intensiv mit Science-Fiction-Filmen zu beschäftigen, was in den Fünfzigerjahren in einer kleinen Stadt in der US-Provinz nicht leicht gewesen war. Immer wieder musste er seine Eltern anbetteln, dass sie mit ihm in ein größeres Kino in eine größere Stadt fuhren, viele Meilen entfernt, um dort die Science-Fiction- und Monsterfilme sehen zu können, über die seine Eltern nur die Köpfe schüttelten. Als Jugendlicher nahm Bill Warren dann Kontakt zum berühmten Forrest J. Ackerman und SF-Fanzines auf und begann so, sich auch kritisch mit seinem Steckenpferd aus­ein­an­der­zusetzen. Daraus entstand mit der Zeit der Gedanke, Informationen zu allen Science-Fiction-Filmen der Fünf­zigerjahre zusammenzutragen. Zum einen stellt diese Dekade einen relativ fest umrissenen Abschnitt in der Geschich­te des Science-Fiction-Films dar. Zum zweiten ist dieser Zeitabschnitt identisch mit Bill Warrens Kindheit und Jugend, und es ist leicht einsehbar, dass gerade die Filme dieser Zeit den Autor besonders stark geprägt haben und von daher auch interessieren. Keep Watching the Skies ist ein ein sehr persönliches Buch, und der ehrliche, unverstellt persönli­che Zugang zu den besprochenen Filmen macht das Buch symphatisch. Warren ist offen genug zu bekennen: “No matter if I hate or adore these movies, in a way I love them all, because they were my best friends when I was gro­wing up.” (S. 6)

 

Es ist auch ein nostalgisches Buch, in dem der Autor gern zurückblickt und dabei einiges in der Erinnerung vergoldet. Auch Bill Warren übt scharfe Kritik an den vielen, vielen Unzulänglichkeiten, die die meisten Science-Fiction-Filme der damaligen Zeit trübten: mäßige bis schlechte Regie- und Schauspielerleistungen, schlechte und unlogische Drehbü­cher, ärmliche Spezialeffekte. Und doch begegnet Warren den Filmen grundsätzlich mit einer aufgeschlossenen und nachsichtigen Einstellung. Er geißelt nichts, macht sich über niemanden lustig, verspritzt keinen ätzenden Spott. Er bemüht sich, jeden einzelnen Film, und sei er noch so schlecht gemacht und allein auf einen schnellen Dollar kalkuliert, als ein Stück Unterhaltung zu verstehen und auch hier noch die positiven Momente auszumachen. Denn dass auch die schlimmsten Gurken der Dekade noch gewisse Unterhaltungswerte aufweisen, wird nicht allein der Trashfan unter­schrei­ben, der die Filme verlacht, sondern auch der Aficionado, der sich in das Science-Fiction-Kino der Fünfzigerjahre verliebt hat.

 

Keep Watching the Skies ist ein faszinierendes, monumentales Meisterwerk der Science-Fiction-Filmkritik. Das Buch ist die unverzichtbare Grundlage für jeden, der sich intensiver mit den Science-Fiction-Filmen der Fünfzigerjahre ausein­an­der­setzen will. Es ist eine schier unerschöpfliche Quelle von Fakten und Hintergrundinformationen sowie eine be­reichernde, unterhaltsam zu lesende kritische Diskussion all der phantastischen Filme, die im „goldenen Zeitalter“ des Science-Fiction-Kinos entstanden und das Genre bis heute nachhaltig geprägt haben. Eine unbedingte Empfehlung für jeden historisch interessierten Cineasten.

 

 

© Michael Haul

Veröffentlicht auf Astron Alpha am 30. Januar 2016