Ingo Strecker: Haben Sie jemals von Kong gehört? Die Filmprojekte des Willis H. O’Brien. Edition Buio Omega. Books on Demand, Norderstedt 2008.
Science-Fiction-Sachbuch. Mit zahlreichen schwarzweißen Abbildungen, einem farbigen Bildtafelteil, einem Quellenverzeichnis und einem Index. Broschiert, 176 Seiten.
King Kong und die weiße Frau (1933) von Merian C. Cooper und Ernest B. Shoedsack zählt zweifellos zu den bedeutendsten Meilensteinen des fantastischen Films. Die spektakulären Stop-Motion-Effekte von King Kong waren wegweisend für das Fantasy- und Science-Fiction-Kino, und in den kommenden Jahrzehnten blieb die Stop-Motion-Technik die visuell überzeugendste Methode, wenn es darum ging, Monster filmisch zu animieren. Erst die computergenerierte Animation (CGI), die seit den Neunzigerjahren immer bessere Resultate lieferte und heute eine bewundernswerte Perfektion aufweist, hat es vermocht, die Stop-Motion ein für alle Mal abzulösen. Bis dahin jedoch blieb King Kong das Maß der Dinge.
Fans von Monsterfilmen wissen natürlich, wer die visuellen Effekte von King Kong ausführte und damit den Film erst zum Leben erweckte: der im kalifornischen Oakland geborene, irischstämmige Trickfilmpionier Willis H. O’Brien (1886–1962). Trotz seiner filmgeschichtlichen Bedeutung hat es eigenartigerweise bislang kein einziges deutschsprachiges Buch über Willis O’Brien gegeben. Wer sich mit ihm und seinem Werk näher beschäftigen wollte, musste auf teils schwer zu beschaffende englischsprachige Literatur zurückgreifen oder sich im Internet umschauen. Diese Lücke hat der Autor Ingo Strecker 2008 mit dem vorliegenden Buch dankenswerterweise geschlossen. Seine Abhandlung über Willis O’Brien ist eine willkommene, flüssig geschriebene Lektüre, die das Leben und Schaffen des Trickfilmers übersichtlich Revue passieren lässt und dabei das ehrende Andenken O’Briens in Deutschland mehren will. Das Buch ist überdies reich bebildert: Es bietet zum Teil seltene Aufnahmen von O’Brien und seinen Mitarbeitern, den Miniatursets und den von Marcel Delgado gefertigten Dinosauriern und Monstermodellen, und im farbigen Bildteil kann man eine Auswahl deutscher und amerikanischer Filmposter sowie einige Produktionszeichnungen bewundern.
Ingo Strecker ist – selbstredend – selbst ein Fan von Monsterfilmen. Der Aficionado hat zahlreiche Artikel über Monsterfilme in Fachmagazinen oder auf der von ihm mitbegründeten Internetseite Monstrula geschrieben und die Audiokommentare einer Reihe von Monsterfilmen gesprochen, die in den letzten Jahren von Anolis auf DVD herausgebracht wurden. Für sein Buch hat Strecker klugerweise ein besonderes Augenmerk auf die deutsche Perspektive gelegt. Er fasst nicht nur die Fülle an Fakten aus der englischsprachigen Literatur zusammen, sondern trägt auch viele Filmkritiken aus deutschen Zeitschriften wie Film Echo, Filmwoche oder dem Evangelischen Filmbeobachter zusammen, um der zeitgenössischen Rezeption von O’Briens Filmen in Deutschland nachzuspüren. Außerdem hat er die originalen Zulassungskarten der Filmprüfstelle Berlin zu den Filmen Die verlorene Welt (1925) und King Kong studiert, um zu sehen, inwieweit beide Werke damals in Deutschland beschnitten wurden.
Es ist spannend zu lesen, wie die „Europa Filmverleih AG“ im September 1933 vor Gericht zog, um das von der Filmprüfstelle zunächst verhängte Verbot von King Kong auf dem deutschen Markt aufheben zu lassen, und wie der vom Reichsgesundheitsamt zum Gericht bestellte Sachverständige, ein gewisser Professor Zeiss, den Film voller Empörung und Abscheu als „gesundheitsschädigend“ einstufte, weil „eine blonde Frau von germanischem Typ in der Hand eines Affen [ . . . ] eine Verletzung des gesunden Rasseempfindens des deutschen Volkes“ bedeute (S. 53). Das Gericht folgte damals – immerhin ein halbes Jahr nach Hitlers Machtergreifung – allerdings noch der Argumentation der Kläger, die darauf verwiesen, dass der Film von Amerikanern für ein in erster Linie amerikanisches Publikum geschaffen wurde und nicht etwa, um bewusst ein „deutsches Rasseempfinden“ verletzen zu wollen. Im November 1933 kam der Film stark beschnitten und unter dem Titel Die Fabel von King Kong in die deutschen Kinos. Derartige Informationen wird man in der englischsprachigen Literatur natürlich nirgends finden.
Strecker schreitet chronologisch Willis O’Briens Werdegang ab, wobei die Filmprojekte des Trickkünstlers die Stationen darstellen, an denen Strecker Halt macht und dann ins Detail geht. Der Autor vermittelt in erfrischend sachlich-klarem Stil, wie die Filme zustandekamen, in welchen Hinsichten O’Brien im Einzelnen involviert gewesen war und wie die Modelle und Stop-Motion-Tricks ausgeführt wurden – wobei Strecker nicht zu sehr auf handwerkliche Einzelheiten eingeht, die ohne konkrete Kenntnis der filmtechnischen Apparaturen ohnehin kaum anschaulich werden würden. Viel Raum nehmen die Reaktionen der Filmkritiker auf die Filme ein; zu den meisten Filmen werden mehrere zeitgenössische Filmbesprechungen ausführlich zitiert. Tiefer gehende Interpretationen der Filme, insbesondere von King Kong, der vor Freudscher und kulturkritischer Symbolik nur so strotzt und eine schier uferlose Flut von Deutungen gezeitigt hat, lässt Strecker jedoch beiseite.
Der Leser erfährt, wie Willis O’Brien in einem kleinen Kellerraum in San Francisco mit ersten fünfminütigen Stop-Motion-Filmen wie The Dinosaur and the Missing Link (1915) oder Morpheus Mike (1917) begann und bald darauf mit dem schon deutlich längeren The Ghost of Slumber Mountain (1918) einen kommerziellen Hit landete, der zum Vorläufer für O’Briens erstes abendfüllendes, großzügig budgetiertes Trickfilmspektakel The Lost World (1925) wurde. The Lost World war an den Kinokassen ein glänzender Erfolg und verschaffte Willis O’Brien eine Reputation, die ihm Jahre später die Realisierung von King Kong ermöglichte. Bis heute gibt es kontroverse Ansichten darüber, wer von allen Beteiligten jeweils welche Ideen zur epischen Geschichte von King Kong beigetragen hat. Unstrittig aber ist, dass die künstlerische Gestaltung der fantastischen Elemente des Films wesentlich in O’Briens Händen lag. Mit King Kong befand sich O’Brien auf dem Zenit seines Schaffens, doch blieb dieser Triumph leider eine Ausnahme. O’Brien machte noch eine Reihe weiterer Filme wie Son of Kong (1933), The Last Days of Pompeji (1935) oder Mighty Joe Young (1949), doch blieben diese Produktionen mit ihrem Aufwand weit hinter King Kong zurück. In den Fünfzigerjahren war O’Brien noch an einigen B-Monsterfilmen beteiligt wie z. B. dem größtenteils in Mexiko entstandenen The Black Scorpion (1957), doch konnte der Altmeister nie wieder an den Erfolg von King Kong anknüpfen. Inzwischen dominierte in Hollywood eine neue Generation das Handwerk der Spezialeffekte, vor allem Jack Rabin, Irving Block und Louis DeWitt sowie O’Briens Meisterschüler Ray Harryhausen. O’Brien hatte indessen bis zu seinem Tod ständig Filmideen ausgearbeitet und Entwürfe dazu gemalt, doch nur in den seltensten Fällen war es ihm gelungen, Produzenten für diese Ideen zu interessieren. Eine gewisse Frustration kennzeichnet seine letzten Schaffensjahre.
Dem darstellenden Hauptteil folgt ein kleiner Abschnitt über O’Briens Patentanmeldungen, eine Zusammenfassung seiner nicht verwirklichten Filmprojekte und eine sehr willkommene Filmografie. Diese ist an sich übersichtlich gestaltet, allerdings ist O’Briens Name in den Angaben zu den verzeichneten Filmen oft nur schwierig aufzufinden. Zudem wären Premierendaten und Angaben zu Laufzeiten bzw. Filmlängen in Metern wünschenswert gewesen. Ein kurzer Anhang beschäftigt sich mit späteren Könnern der Stop-Motion-Technik wie Peter Peterson oder Ray Harryhausen und gibt drei kürzere Interviews wieder, die Strecker mit den Spezialeffektkünstlern Jim Danforth, Brett Piper und Phil Tippett geführt hat. Ein Quellenverzeichnis und ein Index beschließen das Buch.
Ein Manko des Buchs ist, dass Willis O’Briens Kunst leider nicht in ihren historischen Zusammenhang gestellt wird. So hat O’Brien die Stop-Motion-Animation nicht erfunden, und ein knapper Prolog, der die Anfänge dieser Technik skizziert, hätte die Darstellung bereichert. Bisweilen stören Druckfehler – so wird Harry O. Hoyt (1885–1961), der Regisseur von The Lost World, gleich an vier Stellen „Harry S. Hoyt“ genannt (S. 24, S. 32, S. 37 sowie im Index S. 169), und aus dem Schauspieler Arthur Hoyt (1874–1953), ein Bruder von Harry O. Hoyt, der in The Lost World den Professor Summerlee darstellt, wurde „Arthur Hoty“ (S. 26, in der Filmografie S. 138 und im Index S. 168).
Der schwerwiegendste Kritikpunkt aber ist, dass das Buch zu sehr auf O’Briens Filme fokussiert bleibt. Es ist schade, dass man demgegenüber nur sehr wenig über den Menschen Willis O’Brien erfährt, obwohl O’Brien ein recht bewegtes Leben geführt zu haben scheint. Schon als Kind war O’Brien häufig aus dem Elternhaus weggelaufen. Mit 13 Jahren zog er schließlich ganz fort, um sich die nächsten Jahre mit allerlei Gelegenheitsjobs durchzuschlagen. Seine 1919 geschlossene erste Ehe mit Ruth Hazel verlief unglücklich und endete in einem Fiasko: Die psychisch labile Ruth erschoss 1933 ihre beiden Söhne, versuchte sich selbst ebenfalls zu erschießen und verstarb ein Jahr später in einem Krankenhaus. 1935 heiratete Willis O’Brien Darlyne Prenett, mit der er bis zu seinem Tode verbunden blieb. Wenn Strecker auf der letzten Seite des letzten Kapitels ein Interview mit Darlyne O’Brien zitiert (S. 125), in der die Witwe erklärt, dass ihr Mann bis zu seinem Tode „ein Junge und ein Träumer“ gewesen sei, der „nie erwachsen geworden zu sein [schien]“, oder wenn sie anmerkt, dass O’Brien viel irisches Blut in sich gehabt und „jeden Abend vor dem Essen seinen Bourbon“ getrunken habe, dann sind es diese kleinen, flüchtigen Schlaglichter, die O’Briens Persönlichkeit unvermittelt lebendig werden lassen. Man hätte als Leser gern mehr Anekdoten dieser Art erfahren. Woher kam beispielsweise O’Briens lebenslange Faszination für Dinosaurier? Wie entstand sein Wunsch, Trickfilme zu machen? Was trieb ihn innerlich an? Darüber schweigt sich Streckers Buch weitgehend aus, und der Mensch Willis O’Brien bleibt schemenhaft. Allerdings muss ich einräumen, dass ich über Willis O’Brien bislang nur wenig gelesen habe, und es mag sein, dass die Quellen einfach nicht mehr persönliche Informationen hergeben.
Die kritischen Anmerkungen mindern nicht den Wert des Buches. Haben Sie jemals von Kong gehört? ist eine kurzweilige, sehr anregend zu lesende Darstellung von Willis O’Briens Schaffen und eine Hommage an den Pionier der Stop-Motion-Animation, der Generationen von Spezialeffekt-Künstlern zum Vorbild wurde und Filmliebhaber bis heute mit seinen Werken erfreut. Ein schönes Buch, das jedem Fan von alten Monsterfilmen wärmstens zu empfehlen ist.
© Michael Haul
Veröffentlicht auf Astron Alpha am 23. März 2016