Fritz Langs Metropolis. Herausgegeben von der Deutschen Kinemathek – Museum für Film und Fernsehen. Belleville Verlag Michael Farin, München 2010. Mit Beiträgen von Bernard Eisenschlitz, Paula Félix-Didier, Kristina Jaspers, Martin Koerber, Franziska Litell, Peter Mänz, Melanie Martin, Karen Naundorf, Helmut Poßmann, Rainer Rother, Frank Strobel, Werner Sudendorf und Anke Wilkening. Mit über 600 Abbildungen. Hardcover mit illustrierten Buchdeckeln, gebunden, 400 Seiten.
Dieses prächtig bebilderte, schöne, großformatige Buch feiert die fast vollständige Wiederherstellung von Fritz Langs Science-Fiction-Klassiker Metropolis (1927), die nach jahrzehntelangen Bemühungen um die Rekonstruktion der ungeschnittenen Premierenfassung des Films mit dem sensationellen Fund eines 2008 im Museo del Cine Pablo Ducros Hicken in Buenos Aires entdeckten 16mm-Duplikatnegativs, das etwa 30 fehlende Minuten des Films überliefert hat, endlich zu einem vorläufigen Abschluss gelangt ist. Das Buch erschien anlässlich der Uraufführung der wiederhergestellten Fassung von Metropolis bei den 60. Internationalen Filmfestspielen Berlin, die am 12. Februar 2010 im Berliner Friedrichstadtpalast stattfand, und der Ausstellung „The Complete Metropolis“, die in der Deutschen Kinemathek – Museum für Film und Fernsehen Berlin vom 21. Januar bis 25. April 2010 zu sehen gewesen war. Zeitgleich zur Aufführung im Friedrichstadtpalast wurde der Film auf einer großen Leinwand am Brandenburger Tor sowie in der Frankfurter Alten Oper und auf dem TV-Sender arte gezeigt. Ab dem 12. Mai 2011 lief die neue Filmfassung bundesweit in den Kinos, und im Dezember 2011 wurde sie von der Friedrich-Wilhelm-Murnau-Stiftung, die die Rechte an dem Film hält und die Restaurierung übernommen hat, auch auf DVD und Bluray veröffentlicht.
Die Freude über den Fund des fast vergessenen argentinischen Dupnegativs wurde zwar von der sehr schlechten Bildqualität des Films getrübt – die im Bild beschnittene Kopie eines Originalnegativs, das im Januar 1927 vom argentinischen Filmverleiher Alfonso Z. Wilson in Berlin eingekauft und nach Argentinien gebracht wurde. Die in den Siebzigerjahren gezogene 16mm-Kopie konservierte alle Kratzer und Schlieren, die das Originalnegativ durch jahrzehntelangen Gebrauch erlitten hatte. Aber: Die Szenen sind da – und sie vervollständigen fast alle Teile, die in der 2001 erfolgten Rekonstruktion der legendären, ungekürzten Premierenfassung von Metropolis vom 10. Januar 1927 noch gefehlt hatten. Das neu entdeckte Negativ aus Buenos Aires zwang zudem an einigen Stellen zu Korrekturen in der Schnittfolge der 2001er Rekonstruktion. Die Premierenfassung hatte eine Länge von 4189 Metern, was bei einer Vorführgeschwindigkeit von 24 Bildern/Sekunde 153 Minuten entspricht (die tatsächliche Vorführgeschwindigkeit am 10. Januar 1927 ist nicht mehr exakt festzustellen, aber zeitgenössische Rezensionen nennen Vorführzeiten von 140 bis 150 Minuten, sodass 24 Bilder/Sekunde bzw. leicht darüber in etwa dem damaligen Tempo des Films entspricht). Die 2010 vollendete neuerliche Restaurierung des Films umfasst jetzt 3945 Meter bzw. eine Laufzeit von 144 Minuten, 12 Sekunden (bei 24 Bildern/Sekunde, vgl. S. 390). Es fehlen zur Premierenfassung noch 244 Meter, das entspricht 8 Minuten, 55 Sekunden.
Metropolis Behind the Scenes
Das Buch ist in einen Textteil, einen Bildteil und einen Anhang aufgeteilt. Den Löwenanteil des Buchs nimmt der Bildteil ein (S. 89–386), der eine wundervolle Fülle von großformatigen Abbildungen in erstklassiger Qualität liefert. Der Bildteil enthält neben Szenenfotos, die direkt dem Film entnommen oder während der Drehs von den Szenen fotografiert worden sind, vor allem Massen von ausgezeichneten Fotos, die mehrere Fotografen vom Umfeld der Dreharbeiten in Babelsberg gemacht haben. Man erhält durch die Fotos einen außerordentlich detaillierten Einblick in die Dreharbeiten: Fritz Langs gestikulierende Regie, die oft schwierige und einfallsreiche Arbeit der Kameraleute Karl Freund, Günther Rittau und Robert Baberske, das Schauspiel der Darsteller und der Komparsen – deren Anzahl zunächst die Ufa-Propaganda und später unkritische Filmhistoriker maßlos übertrieben haben, wie sich auch auf den Fotos deutlich erkennen lässt –, die Drehpausen, die aufwendigen Bauten im Außengelände für die Katakomben, die Arbeiterstadt oder den Dom, der Aufbau der großzügigen Bühnenbilder und Modellbauten im Studio und die vielen, zum Teil neu entwickelten Tricktechniken, die eingesetzt wurden.
Ergänzt werden die Fotos mit Abbildungen von zeitgenössischen Produktionszeichnungen. Den Fotos und Abbildungen zur Seite gestellt werden Auszüge aus dem Drehbuch, die auf die jeweiligen Szenen bezogen sind, und Texte, die die technischen Schwierigkeiten der mit den Fotos illustrierten Dreharbeiten erläutern. Diese Texte sind verschiedenen Quellen entnommen: Zeitgenössische Zeitschriftenartikel, von der Ufa verbreitetes zeitgenössisches Pressematerial oder spätere Erinnerungen Mitwirkender wie beispielsweise von dem Bildhauer Walter Schulze-Mittendorff (1893–1976), die in seinem Fall in Walter Jacobsen: Babelsberg. Ein Filmstudio (Berlin 1992) veröffentlicht wurden.
Eine besonders wichtige und sehr häufig zitierte Quelle sind die detaillierten Memoiren des Filmarchitekten und Malers Erich Kettelhut (1893–1979); das posthum veröffentlichte Buch Erich Kettelhut: Der Schatten des Architekten. Herausgegeben von Werner Sudendorf (München 2009) liefert zahlreiche erhellende Einblicke. Allerdings sind auch Kettelhuts Erinnerungen nicht immer zuverlässig, wie sich aus der Schilderung der Dreharbeiten zum Turmbau zu Babel ableiten lässt (vgl. S. 174). So behauptet Kettelhut, dass der aus Holz gezimmerte, gut zehn Meter hohe Wagenaufbau, der einen gigantischen, von Sklaven gezogenen Monolithen für den Turm darstellte, beweglich auf Walzen aus echten Baumstämmen gestanden habe und „innerhalb von zwei Tagen 270 Meter durch den Sand geschleift worden“ sei. Im Film selbst ist keine Bewegung des Monolithen zu sehen, nur dass das Heer der kahlgeschorenen Sklaven sich vor dem Monolithen drängt und sich an den vielen Schlepptauen abplagt. Und die auf S. 174 abgebildete, zu Kettelhuts Text gestellte Fotografie von der Rückseite des Wagenaufbaus zeigt, dass dieser unbeweglich auf einem hölzernen Unterbau aufgebaut worden war, und statt Walzen aus Baumstämmen sind nur fest an die Wagenseite genagelte Baumscheiben zu sehen, die die Stämme vortäuschen sollten.
Der Bildteil ist topografisch nach den einzelnen Sets und Bühnenbildern gegliedert. Diesen Unterabteilungen sind jeweils drei Seiten lange zusätzliche Essays verschiedener Filmspezialisten vorangestellt, die zu den einzelnen Orten und Themen des Films – die große Metropolis, die Katakomben, die Vision Babel, die Stadt der Arbeiter usw. – weitere Hintergrundinformationen und interessante Interpretationen liefern.
Metropolis Resurrected
Im Textteil des Buches (S. 7–88), der von verschiedenen Autoren verfasst wurde, finden sich neben einem Gruß- und einem Vorwort fünf sehr interessante längere Artikel und ein Interview. Die Texte beschäftigen sich vor allem mit der neuesten Restaurierung von Metropolis. Viele der hier versammelten Informationen werden Besitzer der Bluray-Ausgabe des Films zwar auch schon aus den dort versammelten Specials kennen, aber es ist trotzdem schön, sie hier noch einmal minutiös nachlesen zu können.
In „Wir haben Metropolis!“ interviewt die Journalistin Karen Naundorf (geb. 1975) die Direktorin des Museo del Cine Pablo Ducros Hicken in Buenos Aires, Paula Félix-Didier (geb. 1967), die nach Hinweisen des mit ihr gut bekannten Filmhistorikers Fernando Martín Peña (geb. 1968) die 16mm-Kopie von Metropolis aus dem Archiv ihres Museums hervorgeholt und mit Peña gemeinsam gesichtet hat. Beide erkannten sofort, dass sie da etwas ganz Besonderes ausgegraben hatten, und es ist kurios, dass ihnen in Europa zunächst nicht geglaubt wurde und sie zunächst einige Mühen hatten, die Friedrich-Wilhelm-Murnau-Stiftung davon zu überzeugen, dass sie wirklich neues Material zu Metropolis in Händen hielten. Im Interview erfährt man auch eine Menge über das von Félix-Didier geleitete, notorisch unterfinanzierte Kinomuseum, über den weiteren Werdegang des von Alfonso Z. Wilson angekauften Metropolis-Negativs in Buenos Aires und über die schon in den Zwanzigerjahren quicklebendige Kinokultur in Argentinien.
Martin Koerber (geb. 1956), Leiter der Abteilung Film der Deutschen Kinemathek, zeichnet in seinem Beitrag „Erneute Notizen zur Überlieferung von Metropolis“ den Weg der verschiedenen Verleihkopien nach, die 1926/27 von Metropolis für die verschiedenen internationalen Märkte gezogen wurden. Er stellt fest, dass alle Kopien, die heute weltweit existieren, letztlich auf drei ursprünglich gezogene Negative zurückgehen; die Überlieferungswege sind dabei ziemlich komplex und aufgrund zahlreicher Um- und Neuschnitte, eingeschnittener neuer Titelkarten und Viragierungen für die Filmhistoriker und Restaurateure nicht immer leicht nachzuvollziehen.
Die in der Murnau-Stiftung beschäftigte Filmrestauratorin Anke Wilkening (geb. 1973) stellt in ihrem Beitrag die Frage: „Das Ende eines Mythos?“, womit sie sich auf den Mythos der legendären, für Jahrzehnte verschollenen Premierenfassung bezieht. Dabei zeichnet sie die vielfältigen Schwierigkeiten bei der Restaurierung nach – auch in Hinblick auf die Philosophie und die Zielsetzungen, die im Restaurationshandwerk ständig einem historischen Wandel unterliegen –, verweist auf Korrekturen, die das argentinische Negativ in der Restaurierung von 2001 nach sich gezogen hat, und macht klar, dass auch die neueste Fassung des Films nur eine Annäherung an die Premierenfassung darstellt, der die Zeichen ihrer Überlieferungsgeschichte unauslöschlich eingeprägt sind und die an einigen Stellen auch immer noch mit kleineren Unsicherheiten bezüglich der Schnittfolge behaftet ist – ganz abgesehen davon, dass natürlich noch immer knapp 9 Minuten des Films ganz fehlen. Der Mythos wird also weiterleben – und möglicherweise noch neue Überraschungen in der Zukunft liefern.
Der Dirigent und künstlerische Leiter des Orchesters der „Europäischen FilmPhilharmonie“ Frank Strobel (geb. 1966) zeichnet in seinem hochinteressanten Beitrag „Rekonstruktion und Originalmusik von Metropolis“ die Entstehungsgeschichte der von Gottfried Huppertz (1887–1937) für ein großes Orchester komponierten Musik von Metropolis nach. Metropolis war einer der wenigen Stummfilme, für die überhaupt eigene Originalmusik komponiert wurde, und dies geschah schon während der Dreharbeiten in sehr enger Abstimmung zwischen Gottfried Huppertz, der oft das Filmgelände und die Studios in Babelsberg besuchte, mit Fritz Lang und Thea von Harbou, die den Komponisten an der Gestaltung des Films teilhaben ließen. So gelang ein aus Film und Musik zusammengesetztes Kunstwerk aus einem Guss, das sehr viel von der Theatralik einer großen Oper hat, und es kann nicht oft genug unterstrichen werden, welch enorme Bedeutung der großartigen Originalmusik für die überwältigende Wirkung des Kunstwerks Metropolis – „die enge gestische und illustrative Verzahnung [der Musik] mit dem Film“ (S. 77) – zukommt. Zeitgenössische Kritiker würdigten die besondere Bedeutung, die die Musik in Metropolis entfaltet; so stellte ein Kritiker der Zeitschrift Signale für die musikalische Welt in der Ausgabe vom 19. Januar 1927 fest: „Man kann natürlich bei einmaliger Bekanntschaft mit diesem phantastischen Film und seiner Musik nur allgemeine Eindrücke in sich aufnehmen. Ihr bedeutsamster war die geschlossene Wirkung beider Wesenheiten, zugleich der einer wichtigen Orientierung im komplizierten Film durch die Musik von Huppertz“ (S. 83).
Huppertz’ handschriftliche Originalpartituren mit den besonders wichtigen Synchronpunkt-Angaben (Markierungen, die Bezug auf bestimmte Bilder und Ereignisse im Film nehmen) und eine von Huppertz mit zahlreichen Notizen versehene Kopie des Drehbuchs aus seinem Nachlass lieferten außerordentlich wichtiges Material zur annähernden Wiederherstellung der Schnittfolge der Premierenfassung des Films, zugleich aber auch zur Musik derselben sowie zum Tempo, mit dem der Film bei der Premiere wahrscheinlich über die Leinwand flimmerte. Strobel macht in seinem Beitrag, der mit Abzügen aus diesem Material und mit Bildern von Huppertz, Lang, von Harbou und Brigitte Helm an den Drehorten von Metropolis illustriert ist, auch deutlich, dass für ihn die Aufgabe zu lösen war, das unvollständige Partiturmaterial von Huppertz an den immer noch unvollständigen Film anzupassen, Fehlstellen hinzuzuarrangieren und mit Widersprüchlichkeiten zwischen Schnitt und überlieferter Partitur umzugehen.
Einen insbesondere für die Interpretation des Films interessanten Textbeitrag hat der Filmhistoriker und Filmübersetzer Bernard Eisenschlitz (geb. 1944) zum Buch hinzugesteuert. In seinem Essay „Wege und Umwege zu Metropolis“ zeichnet er noch einmal, im Lichte der neuesten Erkenntnisse und Forschungsarbeiten, die Entstehung und die Geschichte des Films Metropolis nach: von den ersten Inspirationen und Ideen über die erste Ankündigung des Films in der Licht-Bild-Bühne im Juni 1924 und Fritz Langs und Erich Pommers Reise nach Amerika im Herbst 1924, dem Casting, den langwierigen Dreharbeiten, den Verstümmelungen, die der fertiggestellte Film dann Ende 1926 und 1927 im Zusammenhang mit seiner Vermarktung durch die neugegründete amerikanisch-deutsche Parufamet-Kooperation erlitt – hier sind, wie sich zeigt, die Motivationen der Entscheidungsprozesse noch immer nicht restlos geklärt, insbesondere bleibt unklar, warum der Film nicht von Anfang an flächendeckend in ganz Deutschland anlief –, bis hin zu seinem negativen Echo in der Filmkritik, seinem Misserfolg an den Kinokassen und seiner erst viel später erkannten Bedeutung für die Geschichte des Kinos insgesamt. Eisenschlitz rückt dabei einige Ungenauigkeiten und Verzerrungen gerade, die bis heute durch die Literatur über den Film geistern. So kann er nachweisen, dass die von Filmkritikern schon sehr früh vorgenommene Aufspaltung des Films in einen „guten“ Fritz-Lang-Teil und einen „schlechten“ Thea-von-Harbou-Teil – in ein cineastisches Kunstwerk und ein schwülstig-kitschiges Drehbuch – falsch ist, da sich in den früheren Drehbüchern und Filmen, die Fritz Lang noch vor seiner Bekanntschaft und Zusammenarbeit mit Thea von Harbou realisierte, eine ganze Reihe von christlichen, mythischen, sagenhaften und okkulten Erzählmotiven entdecken lassen, die später auch in Metropolis auftauchen und dort regelmäßig Thea von Harbou als unausgegorenes Durcheinander zur Last gelegt wurden (vgl. S. 28–31).
Eisenschütz zeigt sich als engagierter Verteidiger des Films und weist einige der Angriffe, denen Metropolis notorisch ausgesetzt gewesen ist, zurück. Dabei ordnet er auch den berüchtigten Sinnspruch des Films, an dem sich seit jeher die Kritiker sattsam abgearbeitet haben, richtig ein:
Bestimmt wollten beide Autoren [Lang und von Harbou] alles in den Film packen (nach der Modernität von Dr. Mabuse und dem Ursprungsmythos der Nibelungen nun die Zukunft), und nicht nur – und nicht in erster Linie – die Sozialutopie und die Moral, nach denen der Film beurteilt wird. „Mittler zwischen Hirn und Händen muss das Herz sein!“, diese Floskel aller Reformisten, aller Konservatismen, steht als Schriftzug zu Beginn und am Schluss auf der Leinwand, ebenso banal und vorhersehbar wie die Moral in The Thief of Bagdad: „Happiness must be earned“. In den Augen der Kommentatoren erscheint sie bedeutend genug, um den ganzen Film zu überdecken. Diese Plattitüde hat jedoch etwas Altmodisches, während die Fabel von Metropolis in der unmittelbaren Gegenwart verankert ist, mit ganz präzisen und für die Zeitgenossen gut verständlichen Parallelen. Es gibt keinen Grund, sich als Referenz auf später gehaltene Reden von Goebbels zu berufen wie es Kracauer, der Spezialist für Vorhersagen in die Vergangenheit, in simpler Weise macht. (S. 31)
Das ist trefflich gesagt und artikuliert die notwendige Kritik an der von Kracauer 1947 gestellten Diagnose vom moralischen Bankrott deutscher Kultur, der sich in historischer Zwangsläufigkeit schon Jahre und Jahrzehnte vor Hitler auf dem vielbemühten „deutschen Sonderweg“ abgezeichnet habe. Die fatalistische Verengung der deutschen Zwanzigerjahre und insbesondere des deutschen Films aus jener Zeit als eine homogene und zwangsläufige präfaschistische Bewegungsrichtung, in der sich ein tief eingewurzeltes, dämonisches Kollektivbewusstsein der Deutschen Ausdruck verschaffte, wird der kulturellen Vielfalt und Vieldeutigkeit, auch der Zukunftsoffenheit jener Zeit nicht gerecht. In Fritz Lang selbst will Eisenschütz diese zeitgeschichtliche Ambivalenz erkennen: Seiner Ansicht nach war Lang fasziniert vom technischen Fortschritt, den mächtigen, aufstrebenden Wolkenkratzern, dem Futurismus einer modernen Stadt wie New York, aber Lang sah auch, wie der solche Wunder ermöglichende technische Fortschritt die Menschen, die Arbeiter, unterwarf. „Lang glaubt nicht an die Erlösung“, meint Eisenschlitz, und diese ist ja auch bei genauerem Hinsehen überhaupt nicht das eigentliche Thema des Films – nur ihr möglicher, utopischer, aber nicht wirklich ausgefüllter Ausblick.
Als bester Ausdruck des Imaginären in Deutschland während der „relativen Stabilität“ – wie Mabuse es für die Inflationszeit war –, wird dem Film das vorgeworfen, was dieses Deutschland ist. Der Botschafter wird als der Schuldige bezeichnet. Seine wenig konsequente Allegorie wird als Schlüssel für das Verständnis eines Regisseurs angesehen, der nach den Phrasen der Ideologen „Monumente der aufsteigenden Burgeosie errichtet“ [Zitat aus der WDR-Dokumentation Fritz Langs deutsche Filme von 1971 von Klaus Kreimeier]. Dennoch taucht Metropolis immer wieder auf und hat seinen Weg durch die Jahre gemacht, was Zeichen eines Reichtums und einer Komplexität sind, die H. G. Wells entgingen (S. 32).
Der Reichtum und die Komplexität von Metropolis ist schier unerschöpflich. Sie bieten jeder Generation immer wieder neue Deutungsansätze, immer wieder neue Details, und fordern immer wieder aufs Neue zur Stellungnahme heraus. Als komplexes Kunstwerk präsentiert sich der Film als ein symbolisch stark aufgeladener Mythos reinsten Wassers, der sich einer vollständigen Durchdringung und Umfassung bis heute erfolgreich widersetzt hat. Seine Allegorie mag „wenig konsequent“ sein, wie Eisenschlitz sagt, doch wäre eine konseqentere Gestaltung interpretatorisch wohl schon vor Jahrzehnten vollständig durchleuchtet und auserzählt worden. In der eklektischen Popkultur der pluralistischen und widersprüchlichen Postmoderne, so eine These von Thomas Elsaesser in seinem Buch Metropolis. Der Filmklassiker von Fritz Lang (Hamburg/Wien 2000), hat gerade der vielgescholtene allegorische Mischmasch von Metropolis, diesem „Emblem der Weimarer Kultur“, wie Elsaesser den Film nennt (ebda., S. 102), zu seinem Überleben und seiner noch immer empfundenen Aktualität entscheidend beigetragen.
Fritz Langs Metropolis ist ein wunderschönes, hochwertig gestaltetes Buch mit einer Fülle exzellenter Fotos und Abbildungen und intelligenten Textbeiträgen. Das Buch feiert den Film in all seinen Facetten, bietet vor allem Einblicke in die Dreharbeiten zum Film, und ist jedem zu empfehlen, der sich intensiver mit Metropolis, seiner Entstehung und seiner Ausdeutung auseinandersetzen will.
© Michael Haul
Veröffentlicht auf Astron Alpha am 4. August 2016
Produktionszeichnung Kettelhut © Stiftung Deutsche Kinemathek; Foto von den Dreharbeiten © Cinémathèque Francaise