John Baxter: Science Fiction in the Cinema

Buchcover von John Baxter, "Science Fiction in the Cinema" (1970)

Science-Fiction-Sachbuch (London/New York 1970). Aus der Reihe The International Film Guide Series. Mit zahlreichen schwarzweißen Abbildungen und einer Filmografie. Taschenbuch, 240 Seiten.

 

Wer sich jenseits der Flut von Rezensionen und Artikeln, die im Internet über Science-Fiction-Filme zu finden sind, in­ten­siver mit der Diskussion und Interpretation des Science-Fiction-Kinos auseinandersetzen möchte, wird mit Gewinn das umfangreiche (und meist englischsprachige) gedruckte Schrifttum zum Thema heranziehen. Bei der Lektüre meh­rerer Abhandlungen zum Thema wird dem Leser rasch deutlich, wie häufig sich die Autoren aufeinander beziehen, ohne die Herkunft der Argumente näher zu benennen als mit einer Angabe in der Bibliografie. Das macht neugierig auf die Quellen, die „Vordenker“. Eine der frühesten Monografien, die in den Bibliografien zum Thema auftaucht, ist John Baxters 1970 erschienenes Science Fiction in the Cinema. Das Werk ist ein unscheinbares, kleines Taschenbüchlein. Doch der äußere Anschein trügt, denn dieses Buch gehört auch heute noch zum Aufschlussreichsten und Besten, was man über das (ältere) Science-Fiction-Kino lesen kann. Mehr noch: Es gilt unter Filmschaffenden, Filmkritikern und Afi­cionados längst als ein Klassiker (vgl. John Brosnan, The Primal Screen, S. 380).

 

John Baxter, 1939 in Australien geboren, ist ein renommierter Autor zahlreicher Filmbücher. In den frühen Sechziger­jah­ren begann er, Science-Fiction-Storys und -Romane zu verfassen und zu veröffentlichen. Bald darauf interessierte er sich auch für Filme und wurde auf diesem Feld journalistisch tätig. Er hat zahlreiche Bücher über das Kino und Biogra­fien über Filmgrößen wie Federico Fellini, Steven Spielberg oder George Lucas verfasst. Nachdem er viele Jahre in Eng­land und später in den USA gelebt hat, ist er seit 1989 in Paris zuhause. Seither hat er zahlreiche Bücher über seine neue Heimatstadt, die er offenbar inniglich liebt, geschrieben.

 

Vor dem Erscheinen von Baxters Buch hatte die intellektuelle Auseinandersetzung mit dem Science-Fiction-Film fast ausschließlich in Rezensionen, Filmzeitschriften, Artikeln und Monografien zu speziellen Themen stattgefunden. Science Fiction in the Cinema war einer der ersten Versuche, das Science-Fiction-Kino als Ganzes synoptisch darzu­stel­len. Baxter geht es dabei vor allem um die Ästhetik des Science-Fiction-Films, um das Verstehen der Faszination, die dieses Genre im Kino ausübt. Informationen über die Umstände der Produktionen treten demgegenüber in den Hintergrund, wenngleich Baxter sie nicht gänzlich ignoriert. Umsichtig, mit profunder Sachkenntnis und stilistisch geschliffen diskutiert Baxter das Genre, und wenn auch einige Argumente und Schlussfolgerungen aus heutiger Sicht veraltet sind und Vieles in einer überblickenden Darstellung oberflächlich bleiben muss, ist Science Fiction in the Cinema noch immer ein anregend und mit Gewinn zu lesender Diskurs.

 

“An Intellectual Impossibility”: Der Science-Fiction-Film

 

Im ersten Kapitel “What Science Fiction Films Where?” diskutiert Baxter die Grundlagen des Genres und verweist zu­nächst auf die bemerkenswerte Diskrepanz zwischen dem Renommée und der Akzeptanz des Science-Fiction-Kinos, die damals noch wie eine unüberbrückbare Kluft schien (und auch heute noch nicht ganz überwunden ist). Anspruchs­vol­le Science-Fiction-Autoren einerseits und die Verehrer großer Kinokunst andererseits haben das Science-Fiction-Kino immer wieder als ärmliche und grobschlächtige Vergewaltigung ihrer heiligsten Güter geschmäht. Während die Autoren die spekulative Reife und technisch-wissenschaftliche Plausibilität vermissten, rieben sich Cineasten an den naiven, unlogischen und eindimensionalen Plots, den schablonenhafen Figuren sowie den niedrigen Produktions­stan­dards. Regie, Schauspiel, Ausstattung, auf nahezu jedem Gebiet präsentierte sich der Science-Fiction-Film als defizitär, sieht man einmal von den wenigen hochwertigen Produktionen wie zum Beispiel Metropolis (1927) oder 2001: Odyssee im Weltraum (1968) ab.

 

Und doch war der Science-Fiction-Film immer auch ein höchst erfolgreiches Genre gewesen. Zwar waren bis 1970 die Filme fast immer mit wenig Geld realisiert worden, wodurch es leichter war, Gewinne zu erzielen. Dessen ungeachtet ist es bemerkenswert, dass das Genre regelmäßig Scharen von Menschen ins Kino lockte. “Whatever we may think of science fiction films”, erklärt Baxter, “the field remains a lively and popular form of entertainment, but unlike the wes­tern it has never achieved a sufficiently large audience to rate serious study” (S. 7).

 

Baxter zufolge gibt es einen radikalen Unterschied zwischen der Science-Fiction-Literatur und dem Science-Fiction-Film. Die belletristische Science-Fiction-Literatur definiert er in ihren Grundfesten als idealistisch: Sie bejaht die Wis­sen­schaft, glaubt an die mathematische Bestimmtheit der Welt, hat den Fortschritt im Zeichen der Wissenschaft im Blick und ist in erster Linie an der logisch durchdachten Formulierung von Ideen und Konzepten interessiert. Der Science-Fiction-Film hingegen kann aufgrund seiner Bildhaftigkeit, die direkt die Sinne anspricht, Ideen und Konzepte nur in unmittelbare bildliche Symbole übersetzen; und da es kein gemeinsames Inventar von Symbolen gibt, das so­wohl Science-Fiction-Autoren als auch Science-Fiction-Filmemacher verwenden – beide Gruppen hatten höchst sel­ten miteinander zu tun, und während die Filmschaffenden die logisch fundierten, wissenschaftlichen Spekulationen der Science-Fiction-Literatur kaum einbezogen, schöpften sie stattdessen den visuellen Stil und die einfachen Er­zähl­weisen ihrer Filme vor allem aus Comics –, ist der Science-Fiction-Film der Science-Fiction-Literatur völlig fremd. “Science fiction film, then, is an intellectual impossibility” (S. 8).

 

Überdies lassen sich inhaltlich für beide Felder völlig unterschiedliche Quellen ausmachen. Die Science-Fiction-Lite­ra­tur ist im Wesentlichen ein Kind der Industrialisierung und des fortschrittsgläubigen späten 19. Jahrhunderts. Sie steht der Wissenschaft positiv gegenüber, und folglich herrschen in ihr Logik und Ordnung. Im Science-Fiction-Film hin­ge­gen herrschen Unlogik und Chaos; im Bestreben, die Angst vor der Ungeheuerlichkeit des technischen Fortschritts zum Ausdruck zu bringen, greift er, zumindest in seinen Anfängen, auf mittelalterliche Mystik, gotischen Horror und Aberglaube zurück. Mit seinen mad scientists, strafenden Monstern, einfallenden Außerirdischen und der abschlie­ßen­den Mahnung, die Grenzen unerlaubten Wissens nicht zu überschreiten und die Schöpfung herauszufordern, gebärdet sich der Science-Fiction-Film im Grunde wissenschaftsfeindlich. Er ist “anti-science fiction” (S. 10).

 

Für den größten Teil des älteren Science-Fiction-Kinos ist Baxters Argumentation zweifellos plausibel. Die Filme waren überwiegend unlogisch und von Drehbuchautoren geschrieben, die sich kaum in der Science-Fiction-Literatur aus­kann­ten und sich wenig um wissenschaftliche Plausibilität kümmerten. Positive Utopien waren seltene Ausnahmen, die Filme spielten fast ausnahmslos auf der Klaviatur unterschwelliger Angst. Der mad scientist symbolisierte sowohl die Angst vor dem Verlust der Individualität als auch vor der Bedrohung durch neues Wissen, das dem Menschen nicht zukomme – zwei Hauptthemenkreise, die Baxter für den Science-Fiction-Film ausmacht.

 

Andererseits liegt es auf der Hand, dass die Bestimmung des Science-Fiction-Kinos als “intellectual impossibility” und “anti-science fiction” eine Zuspitzung darstellt, die auf Baxters idealisierter Beurteilung der Science-Fiction-Literatur gründet; sie schreibt ein altes Vorurteil der Science-Fiction-Autoren fort. Dabei ist bei Lichte besehen die von den Autoren immer wieder behauptete Überlegenheit der geschriebenen Science-Fiction fragwürdig. Ihre intellektuelle Qualität war immer schon disparat, während ihre angebliche optimistische Grundhaltung schon lange nicht mehr das Genre hinlänglich charakterisiert. In ihren Anti-Utopien hat die Science-Fiction-Literatur die wissenschaftsfeindliche Gebärde nicht minder kultiviert als der Science-Fiction-Film. Auf der anderen Seite begann der Science-Fiction-Film mit Stanley Kubricks 2001: Odyssee im Weltraum (1968), „erwachsen“ zu werden. Das Genre wurde von den Filme­machern zu­neh­mend ernst genommen; die Budgets wuchsen und man bemühte sich immer häufiger um durchdachte Drehbücher, wissenschaftliche Akkuratesse und intelligente Spekulationen.

 

Heutzutage sind die alten Grabenkämpfe zwischen den Science-Fiction-Autoren und dem Filmgewerbe weitgehend Geschichte. Die Grenzen zwischen beiden Feldern sind weitaus durchlässiger geworden – in beide Richtungen. So lassen sich viele Science-Fiction-Autoren inzwischen vom Science-Fiction-Film inspirieren, wenn sie ihre Ideen und Gadgets von dort entlehnen, sie ähnlich wie in Star Wars (1977) nur noch zum futuristischen Dekor verwenden und betont „visuell“ und in raschen Schnitten erzählen.

 

Logische Defizite des Science-Fiction-Kinos sind natürlich auch dadurch bedingt, dass die reale zeitliche Beschränkung des Films auf maximal zwei Stunden zur verkürzenden Darstellung zwingt. Andererseits kann der Science-Fiction-Film die phantastischsten und absurdesten Vorstellungen unmittelbar in Bilder umsetzen und auf diese Weise staunen­er­re­gen­de, spektakuläre Visionen erschaffen, wie es die Science-Fiction-Literatur niemals könnte. “Sf cinema is basically a sensuous medium”, unterstreicht Baxter (S. 13) und benennt damit den zentralen Grund für die Attraktivität dieses Filmgenres, der häufig nicht gebührend in Rechnung gestellt wird.

 

“What Science Fiction Films Are?”: Das Genre im Überblick

 

Im Anschluss an die anfänglichen theoretischen Erwägungen unternimmt Baxter in mehreren Kapiteln, die an den Themenkreisen der Filme orientiert sind, einen Streifzug durch die Geschichte des Science-Fiction-Kinos. Dabei lässt er keinen Klassiker des Genres aus, beschäftigt sich aber auch mit zahlreichen B-Pictures von geringerer Relevanz. Es offenbart sich die imposante Fülle und Bandbreite des Genres. Das Kapitel “First Contact” behandelt die Anfänge des Genres im Stummfilm. “The Doctor Will See You Now” beschäftigt sich mit den mad scientists der Dreißiger- und Vierzigerjahre. Es gibt “A Note on the Serials” und ein Kapitel über “British Science Fiction Films”. In “The World Next Door” interpretiert Baxter die fantastischen Reisen in exotische Länder in Filmen wie The Lost World (1925)L’At­lan­tide (1932), King Kong (1933) und She (1935) als verspäteter Reflex des viktorianischen Strebens, die koloniale Welt zu erforschen und sich untertan zu machen.

 

Drei Themen diskutiert Baxter besonders ausführlich. In “Utopischefilme” (sic!) beschäftigt sich Baxter ausgiebig mit Fritz Langs Klassiker Metropolis (1927) und dem Einfluss der „Deutschen Gotik“ auf das amerikanische Science-Fiction-Kino. Zwei oder drei Details über Fritz Langs Film haben sich inzwischen, seit Metropolis in den letzten Jahren fast vollständig wiederhergestellt werden konnte, als fehlerhaft herausgestellt. Baxters Analyse und Bewertung von Me­tro­polis als cineastisches Meisterwerk ist dessen ungeachtet noch heute brillant. “William Cameron Menzies and ‘Things To Come’” bietet eine ausführliche Interpretation dieses 1936 in England entstandenen Films. “Lucifer: The Films of Jack Arnold” würdigt das Schaffen dieses großartigen Science-Fiction-Regisseurs. Arnolds Meisterwerk The Incre­dible Shrinking Man (1957) krönt Baxter gar zum König des gesamten Genres; er nennt den Film “the peak of sf film in its long history” (S. 126).

 

“Springtime for Caliban” untersucht die Raumfahrtfilme und Space Operas der Fünfzigerjahre. Baxters Urteil, dass Ju­lian Blausteins und Robert Wises The Day the Earth Stood Still (1951) kein “serious competitor with written sf in the areas of ideas” sei, ist fragwürdig (S. 107), doch das Schnippchen, das Baxter dem Snobismus der Science-Fiction-Au­to­ren in der Diskussion von Nicholas Nayfacks und Fred M. Wilcox’ Forbidden Planet (1956) schlägt, lässt schmunzeln:

 

Smooth and cynical, Forbidden Planet makes nonsense of the idea that only people who know science fiction can create a good sf film. Director Fred McLeod Wilcox is a routine craftsman whose most successful film was Lassie, Come Home. Folsey, designer Arthur Lonergan and the other technicians are film makers first, sf fans last, if at all. What attraction the film has stems from their consummate use of the film medium; Ferris Webster cutting between Alta’s nightmare and her father suffering in the lab as he drives his monster to attack Adams and his ship; Cyril Humes crisp if unlikely dialogue for the crew members and their captain; special effects by Disney’s Joshua Meador who had created those for the “Rite of Spring” sequence of Fantasia. The scientific accuracy or otherwise of the film seems immaterial beside their ingenuity. (S. 115)

 

Dem letzten Satz will man widersprechen, macht doch die “scientific accuracy”, herbeigeführt vor allem durch Cyril Humes Drehbuch, heute einen gewichtigen Bestandteil der Reputation dieses Films aus. Gleichwohl hat Baxter Recht, wenn er auf die cineastischen Qualitäten des Films verweist, die von einem Team geschaffen wurden, das für ge­wöhn­lich wenig mit Science-Fiction zu tun hatte. Allerdings hat Cyril Hume unverkennbar Ideen aus der Science-Fiction-Literatur aufgegriffen, und diese wurden vom Filmteam würdevoll umgesetzt.

 

Die Kapitelüberschrift “The Monsters” spricht für sich, ebenso “The Bomb, and After”. In “The End of the World, Plus Big Supporting Programme” geht es um Filme, die sich mit dem Zusammenbruch der Weltordnung beschäftigen und häu­fig starke religiöse Untertöne haben. George Pals und Rudolph Matés When Worlds Collide (1951) ist der prominentes­te von ihnen, aber auch Alfred Hitchcocks The Birds (1963) wird hier diskutiert.

 

“Renaissance in 2001” untersucht das Science-Fiction-Kino der Sechzigerjahre. Obwohl Baxter einige Kritik an Stanley Kubricks Meisterwerk 2001: A Space Odyssey (1968) anzubringen hat (“It’s story, it might be noted, bears even less serious study than Red Planet Mars”; S. 182), lobt er die visuellen Qualitäten, vor allem aber den utopischen Grundton des Films und konstatiert: “With 2001: A Space Odyssey, science fiction came as close as it could to alliance with sf film” (S. 185).

 

“A Note On SF For Television” und das Kapitel “New Bottles, Old Wine”, in dem die damals jüngsten Strömungen des Science-Fiction-Kinos in den Blick genommen werden, beschließen das Buch. In einem Schlusswort zieht Baxter das Fazit, dass der Science-Fiction-Film ein entschieden amerikanisches Kulturphänomen sei.

 

Most countries have attempted sf, some have succeeded to an extent, but the form remains aggressively American, an ex­pres­sion of a national impulse that, like the Western, lies too deep under the American skin ever to be revealed by any but a native son. [ … ] It is the soul of American technology, the modern shadow of the Western, the hobbies magazine made flesh, or at least celluloid. If it seems to disregard the established rules of cinema, and especially the modern visual techniques of the field, it is because these are irrelevant to a form of art which issues direct from the emotions, from the basic spirit rather than the thinking mind. (S. 208f.)

 

Als Australier ist Baxter eines amerikanischen Chauvinismus unverdächtig. Inwieweit der Science-Fiction-Film tat­säch­lich so amerikanisch wie der Western ist, ist dennoch diskussionswürdig. Die Dominanz des übermächtigen Hollywood ist natürlich unverkennbar; Hollywood hat das Genre so nachhaltig geprägt, dass daneben andere, zum Beispiel euro­pä­ische oder japanische Erscheinungsformen, so sie denn nicht das amerikanische Vorbild kopieren, marginal bleiben. Gleichwohl: Sie sind da, und obwohl sie bescheidenere Produktionen darstellen, sind sie mit dem gleichen Recht dem Science-Fiction-Film zuzurechnen. Der Science-Fiction-Film zielt direkt auf die Emotionen, wie Baxter feststellt. Zu träumen und Phantastisches zu imaginieren aber sind Regungen, die nicht allein unter der “American skin” zu finden sind.

 

Science Fiction in the Cinema ist eine brillant geschriebene und auch heute noch anregend zu lesende Studie und über das Science-Fiction-Kino. Für das „klassische“ Science-Fiction-Kino, hinter das 2001: A Space Odyssey einen Schlusspunkt gesetzt hat, gehört das Buch immer noch zu den besten Gesamtdarstellungen. Eine Sternstunde der Filmkritik!

 

 

© Michael Haul

Veröffentlicht auf Astron Alpha am 1. Februar 2016