The Lost City (USA 1935)
Kinoserial, 12 Episoden von ca. 20 Minuten, insgesamt ca. 240 Min., Schwarzweiß
Regie: Harry Revier
Drehbuch: Zelma Carroll, George M. Merrick und Robert Dillon
Kamera: Edward Linden, Roland Price
Musik: Lee Zahler
Darsteller: William „Stage“ Boyd (Zolok), Kane Richmond (Bruce Gordon), Claudia Dell (Natcha Manyus), Josef Swickard (Dr. Manyus), George „Gabby“ Hayes (Butterfield), Billy Bletcher (Gorzo), Eddie Fetherston (Jerry Delaney), Gino Corrado (Scheich Ben Ali), Margot DʼUse (Königin Rama), Sam Baker (Hugo), Jerry Frank (Appollyn) u. a.
Produzent: Sherman S. Krellberg
Company: Super Serial Productions Inc.
Premiere: 6. März 1935 (USA)
Als gewaltige elektrische Entladungen weltweit Naturkatastrophen auslösen, sind die Wissenschaftler über die Ursachen ratlos. Dem Ingenieur Bruce Gordon gelingt es jedoch, einen „magnetischen Detektor“ zu entwickeln, der die geografische Quelle der Störungen im Dschungel Afrikas ortet. Flugs wird eine Expedition unter der Leitung Gordons nach Afrika ausgesandt. Nahe dem Zielgebiet stößt die Expedition auf den englischen Abenteurer Butterfield, dessen Helfer Andrews von fürchterlichen Riesen erzählt, die er in der Umgebung der „Magnetischen Berge“ gesehen haben will. Gordons Team macht sich auf den Weg – und wird von dem wahnsinnigen Wissenschaftler Zolok gefangengenommen, dem letzten Herrscher der Vergessenen Stadt Liguria, die sich im Inneren der Magnetischen Berge befindet und einst die Heimat einer mächtigen, wissenschaftlich weit fortgeschrittenen Zivilisation gewesen war.
Zoloks Ziel ist die Weltherrschaft. Für diesen Zweck hält er bereits seit geraumer Zeit den genialen Wissenschaftler Dr. Manyus und dessen Tochter Natcha gefangen. Dr. Manyus hat für Zolok verschiedene elektromagnetische Apparaturen geschaffen – unter anderem ein Gerät, mit dem Zolok Eingeborene in zweieinhalb Meter große, bedingungslos gehorsame Zombies verwandeln kann, jene „Riesen“, von denen Andrews berichtet hatte. Als Natcha Gordon heimlich um Hilfe bittet und über Zoloks finsteres Treiben aufklärt, verhilft Gordon Dr. Manyus und Natcha zur Flucht. Sie entkommen in den Dschungel, werden jedoch von zweien von Zoloks Gefolgsleuten, dem athletischen Appollyn und dem Riesen Hugo, verfolgt. Als Butterfield von Dr. Manyusʼ Fähigkeit, Riesen zu erschaffen, erfährt, will auch er sich des Wissenschaftlers bemächtigen. Wenig später erscheint der arabische Scheich und Sklavenhändler Ben Ali, und auch er ist bald hinter Dr. Manyus her. Wird es Gordon aber gelingen, nach Liguria zurückzukehren, um Zoloks Wahn von der Weltherrschaft zu stoppen
The City of Lost Minds
Dieses vom Poverty-Row-Studio Super Serial Productions gedrehte Kinoserial ist nach Ansicht von Phil Hardys Science Fiction Filmenzyklopädie „wohl das melodramatischste Serial, das es je gegeben hat“ (S. 98); obendrein wird ihm bescheinigt, wegen seines „technischen Einfallsreichtums interessant“ zu sein. Dieser Irreführung ist entschieden zu widersprechen. Tatsächlich ist dieses freudlose, zynische und sich zäh dahinschleppende Machwerk ein einziges Desaster.
The Lost City ist eine weitere Variante der Fantasie von einer „vergessenen Zivilisation“, die bereits in uralten Mythen von Atlantis bis El Dorado erscheint. In der Neuzeit griff H. Rider Haggard den Topos in seinem Roman She (1887) auf und schuf ihn zu einem glänzenden Mythos der viktorianischen Kolonialzeit um. She wurde ein Bestseller, fesselte die Imagination seiner Zeit außerordentlich, und durch eine Flut von Nachahmungen und Variationen in der Massenliteratur und in Verfilmungen blieb das Thema der vergessenen Zivilisation bis zum Zweiten Weltkrieg überaus populär. Die Spielarten, die bis heute am lebendigsten geblieben sind, dürften neben She das paradiesische Shangri-La aus dem Roman The Lost Horizon (1933) von James Hilton und Skull Island aus King Kong (1933) von Merian C. Cooper und Ernest B. Shoedsack sein. Von der Faszination jener machtvollen Vorbilder ist The Lost City allerdings mindestens sieben Weltmeere weit entfernt. Dabei stört nicht, dass alles in The Lost City derivativ ist – vom Thema und Filmtitel über die abgedroschenen Figuren und einzelnen Erzählzüge bis hin zu den technologischen Gadgets, die keineswegs so zahlreich sind, wie Phil Hardys Filmenzyklopädie suggeriert –, denn derivativ verfahren die meisten Kinoserials. Es ist die ideen-, witz- und schwunglose Handhabung des Materials in nahezu allen Belangen, die die Produktion praktisch ungenießbar macht.
Der Beginn ist noch recht vielversprechend. Die üblichen stock footages von Blitzen, Stürmen und Überschwemmungen, zusammengeschnitten mit Trickszenen, in denen Modelle von Brücken und Gebäuden zersprengt werden, zeigen die Folgen der weltweiten elektrischen Entladungen. Es wird der adrett-heroische Ingenieur Bruce Gordon eingeführt, der in seinem Labor den von ihm erfundenen „magnetischen Detektor“ ausprobiert und die Quelle der Entladungen in Zentralafrika lokalisiert. Bald darauf wechselt die Szene zum finsteren Zolok und Dr. Manyus, die gemeinsam mit ihren knisternd blitzenden und summenden Apparaturen im großen Labor der vergessenen Stadt die elektrischen Ladungen auslösen. Zoloks Labor ist das einzige ansprechende Science-Fiction-Set, das der Zuschauer in diesem Serial zu sehen bekommen wird. Spätestens mit dem Erscheinen von Zolok, der von William “Stage” Boyd (1889–1935) völlig hysterisch verkörpert wird, gerät die Show unerbittlich ins Rutschen. Mit schnarrender Reibeisenstimme donnert Zolok wie tollwütig auf Dr. Manyus ein und wirkt dabei wie ein missglücktes Zerrbild Adolf Hitlers. Josef Swickard (1866–1940) gibt derweil als Dr. Manyus die grenzdebile Karikatur eines zerstreuten Professors, der mit schleppender Betonung theatralische Bonmots aufsagt wie “When I invented these instruments, I did it for the benefit of mankind!”, oder “Science can accomplish anything!”
Auch das Schauspiel aller anderen Beteiligten ist schauderhaft schlecht. Die wenig attraktiven weiblichen Darsteller – Claudia Dell (1910–1977) als Natcha und Margot DʼUse als Königin Rama – vermögen es weder darstellerisch noch optisch, das dürre Vergnügen an der Show zu mehren. Am tapfersten schlagen sich noch Serialroutinier Kane Richmond (1906–1973) als all american hero Bruce Gordon und Eddie Fetherston (1896–1965) als sein Buddy Jerry, doch können auch sie nicht das desaströse Drehbuch retten.
Abgesehen von den explodierenden Miniaturen ganz am Anfang, zuckenden Blitzen und sparsam eingesetzten Strahlenwaffen gibt es keinerlei Spezialeffekte zu bestaunen; der Science-Fiction-Anstrich ist marginal. Die spektakulärste, genau genommen aber auch einzige Effektszene ist jene, in der Zolok einen Eingeborenen, der auf einem Tisch im Laboratorium liegt, unter zuckenden Blitzen zu einem „Riesen“ vergrößern lässt – eine halbwegs passable Nachäffung der Erweckung der Maschinen-Maria aus Fritz Langs Metropolis (1927). Die Gadgets: Es gibt den in Serials zur Standardausrüstung gehörenden „Televisor“, mit dem Zolok die gesamte Umgebung ausspionieren kann, eine “freezing gun”, die elektrische Ströme einfriert, eine “paralyzing gun”, eine Art „Gedanken-Fotoapparat“ – der leider nur erwähnt wird, aber nicht zum Einsatz kommt –, einen “destroying ray” – der sich wie in Guy Hamiltons Goldfinger (1964) langsam auf den gefesselten Helden zubewegt, allerdings nicht dessen Männlichkeit, sondern nur sein Handgelenk zu versengen droht – und die damals noch ins Reich der Science-Fiction gehörende Fernbedienung von Türschlössern per „Lichtschlüssel“.
Sämtliche Gadgets mit Ausnahme des Televisors spielen jedoch keine tragende Rolle, da die Handlung nur im ersten Viertel der Laufzeit und dann erst wieder ganz zum Schluss in der titelgebenden, unter den Magnetbergen verborgenen Lost City stattfindet. Ihr Bühnenbild ist eine Farce: Die angebliche „Stadt“ ist beengter als das Innere eines Ausflugsdampfers und beschränkt sich neben dem großen Laboratorium nur auf ein paar enge Korridore und Räume – kaum ein würdiger Rahmen für einen Superschurken, der nach der Weltherrschaft trachtet. Der weitaus größte Teil der Handlung spielt draußen im afrikanischen Urwald und plätschert dort als stumpfsinniges Dschungelabenteuer vor sich hin, in dem ständig eine Gruppe des Personals eine andere Gruppe verfolgt und gefangen nimmt, woraufhin die Gefangenen sich wieder befreien oder befreit werden und das ewige Geiselnehmerspiel von vorn beginnt.
Besonders abstoßend, zumal aus heutiger Sicht, ist der unreflektierte Rassismus, der freilich in vielen kolonialen Abenteuergeschichten der Vorkriegszeit (und oft noch danach) enthalten ist. Die weiße Herrenrasse missbraucht Afrika als Arena eines Machtkampfs, der mit wissenschaftlichen Spielzeugen ausgefochten wird; die schwarzen Eingeborenen sind lediglich gefügige Lakaien, die halbnackt mit Speeren, Schilden und Kriegsbemalung ihren weißen Gebietern hinterherlaufen und kaum mehr als dumpfe Affenlaute von sich geben. Da sie ohnehin als dumme und willenlose Sklaven dargestellt werden, fragt man sich, weshalb Zolok sich überhaupt die Mühe macht, sie in riesige “living dead men” zu verwandeln. Der hünenhafte Sam Baker spielt den schwarzen „Riesen“ Hugo als zähnefletschende, brutale Bestie, die unaufhaltsam wie ein Roboter voranschreitet, und wird so gezwungen, als personifiziertes Vorurteil vom „schwarzen Mann“ durch den Film zu schlafwandeln. Der Gipfel rassistischer Verachtung ist eine Maschine, mit der Dr. Manyus Schwarze in Weiße verwandelt. Die so „verbesserten“ Eingeborenen freuen sich wie kleine Kinder, während Gordon, der weiße Held, dem Wissenschaftler die Hand auf die Schulter legt feierlich erklärt: “Dr. Manyus, youʼre truly a genius!”
Zur weißen Selbstherrlichkeit gesellt sich eine widerwärtige Lust am Sadismus: Unter frenetischem Gekreische foltert Zolok in eiskaltem Wahn seine eingeborenen Opfer und stellt mit ihnen seine perfiden Experimente an. Der herrische Butterfield, der alkoholabhängige Andrews und die großspurige Königin Rama sind nicht besser und jederzeit bereit, ihre Opfer mit Schusswaffen, Speeren oder Dolchen zu erledigen oder reißenden Löwen zum Fraß vorzuwerfen. Eine unappetitliche Brutalität durchweht das gesamte, streckenweise albtraumhafte Serial, das sich in seinem beharrlichen Streben nach Dramatik keinen Funken von Humor leistet – und seine Spröde noch dadurch unterstreicht, dass es auf jegliche Musikuntermalung verzichtet.
So liegt Phil Hardys Filmenzyklopädie letztlich nicht völlig falsch, nur in anderem Sinne: The Lost City ist in der Tat eine übertrieben „melodramatische“ Veranstaltung, die möglicherweise unter den Serials ihresgleichen sucht. Nur wirklich melodramatisch in einem ästhetisch-positiven Sinne, dass das Geschehen beim Zuschauer verfängt und ihn bewegt und mitreißt, ist das Serial keinesfalls. Mehr als eine Mischung aus Langeweile und Widerwillen mag dieses zu Recht vergessene Relikt von der Müllhalde der Kinogeschichte nicht hervorzurufen.
© Michael Haul
Veröffentlicht auf Astron Alpha am 8. April 2017