Sunshine (GB 2007)
Regie: Danny Boyle
Drehbuch: Alex Garland
Kamera: Alwin H. Küchler
Musik: John Murphy, Underworld
Darsteller: Cillian Murphy (Capa), Rose Byrne (Cassie), Cliff Curtis (Searle), Michelle Yeoh (Corazon), Hiroyuki Sanada (Kaneda), Benedict Wong (Trey), Chris Evans (Mace), Troy Garity (Harvey), Mark Strong (Pinbacker), Paloma Baeza (Capas Schwester) u. a.
Produzenten: Andrew Macdonald; Bernard Bellew (Koproduzent)
Companies: DNA Films, Ingenious Film Partners, Moving Picture Company, UK Film Council; im Vertrieb der 20th Century Fox
Laufzeit: 107 Min.; Farbe
Premiere: 5. April 2007 (GB); 19. April 2007 (Deutschland)
Die Sonne verliert aus nicht geklärten Gründen an Strahlkraft, und auf der Erde ist bereits eine Eiszeit angebrochen. Um zu verhindern, dass die Sonne gänzlich verlöscht, wurde im Jahr 2057 ein Raumschiff, die Icarus I, mit einer gewaltigen Atombombe von der Masse Manhattan Islands zur Sonne ausgeschickt. Die Bombe hätte in den Kern der Sonne geschossen werden sollen, um – so die Hoffnung – das Sonnenfeuer wieder voll zu entfachen.
Der Kontakt zur Icarus I riss jedoch während ihrer Reise ab, und das Schiff blieb verschollen. Sieben Jahre später befindet sich die baugleiche Icarus II mit acht Astronauten und einer weiteren Mega-Atombombe auf dem Weg zur Sonne, um einen zweiten verzweifelten Versuch des Experiments zu wagen. Als das Schiff dicht am Merkur vorbeifliegt, empfängt es plötzlich ein Notrufsignal: Es kommt von der Icarus I, die in einem engen Orbit um die Sonne kreist. Als man sich entschließt, den vorprogrammierten Kurs zu verlassen, um das verloren geglaubte Schiff anzusteuern und aufzuklären, was mit der Mannschaft geschehen ist, kommt es zu einer fatalen Verkettung von Ereignissen, die die Mission und damit das Überleben der gesamten Menschheit in Gefahr bringt . . .
Grandioses Raumfahrtdrama in gleißendem Sonnenlicht
Der 1956 geborene britische Starregisseur und Oscarpreisträger Danny Boyle (Trainspotting, 28 Tage später, Slumdog Millionär) hat mit seinem Ausflug ins Genre des Raumfahrtfilms auf Anhieb ein großartiges Werk geschaffen. Sunshine ist ein Fest für jeden Science-Fiction-Fan, ein Film, der nach langen Jahren den Beweis antritt: Ja, es ist noch immer möglich, neben allem Krawallkino und oberflächlichen CGI-Actionorgien einen intelligenten, visuell überwältigend schönen und ungeheuer packenden Science-Fiction-Film zu drehen! Sunshine ist, obwohl er an der Kinokasse nur mäßig abschnitt, einer der besten Science-Fiction-Filme der 2000er-Jahre.
Dass sich Sunshine unverkennbar von einigen Science-Fiction-Klassikern inspirieren ließ – 2001: Odyssee im Weltraum (1968), Lautlos im Weltraum (1972) und Alien (1979) sind da zu nennen, ferner Solaris (1972) und Dark Star (1974) –, spricht nicht gegen ihn. Wenn der Film „klaut“, dann immerhin bei Produktionen, die zu den besten des Genres zählen. Das intelligente Drehbuch von Alex Garland (geb. 1970) wartet durchaus mit einer Menge eigener Ideen auf und hat eine originelle, interessante Geschichte zu erzählen. Diese gerät zum Ende hin leider in die konventionellen Bahnen eines typischen Horrorthrillers und lässt den Zuschauer etwas enttäuscht zurück. Dennoch fasziniert der Film als Ganzes. Er brilliert mit hervorragenden Darstellern, allen voran Cillian Murphy (geb. 1976) als Capa, Rose Byrne (geb. 1979) als Cassie und Chris Evans (geb. 1981) als Mace, und mit der großartigen Kameraführung des deutschen Kameramanns Alwin H. Küchler (geb. 1965), die in flirrenden Bildern immer wieder den gleißenden Glanz der Sonne an Bord des Raumschiffs in Szene setzt und in zahlreichen Einstellungen spannende Perspektiven findet.
Sunshine variiert das alte, fast schon archetypische Science-Fiction-Thema der einsam durchs All fliegenden Raumschiffbesatzung, die in der klaustrophobischen Enge ihres Schiffs miteinander auskommen muss. Von Anfang an entsteht eine fesselnde Kammerspiel-Atmosphäre, in der die vielschichtigen Charaktere der achtköpfigen Besatzung das Interesse des Zuschauers in den Bann ziehen. Der Film beginnt ruhig, an Bord des Raumschiffs, im All: 16 Monate ist die Icarus II bereits unterwegs, die Absetzung der Bombe über der Sonne steht bald bevor. Die Stimmung ist nach so langer Flugzeit aufgekratzt. Die Astronauten (sechs Männer und zwei Frauen) sind keine coolen Haudegen, keine hollywoodtypischen Helden à la Armageddon (1998), die entschlossen mal eben hinausfahren, um die Erde zu retten. Sie sind hochgebildete, konzentrierte Spezialisten, Wissenschaftler, Kopfmenschen. Sie sind durchaus beseelt von ihrem idealistischen Ziel, von dem sie wissen, dass es von größerer Wichtigkeit ist als ihr eigenes Überleben. Ihre abgeklärte Rationalität ist jedoch nur die Oberfläche, unter der sich menschliche Schwächen, Sorgen und Ängste verbergen.
Soviel psychologischer Tiefgang, der sich im Verlauf des Films noch steigern wird, ist allemal selten in einem Science-Fiction-Film zu sehen. Sunshine erzählt nicht von außerirdischen Monstern oder bedrohlichen, außer Kontrolle geratenen Robotern – er erzählt von der menschlichen Psyche in nervenzerreißenden Extremsituationen. Von schlichtweg berauschender Schönheit sind dabei die Bilder, in denen die Geschichte erzählt wird. Immer wieder sehen wir Ansichten des majestätischen Raumschiffes, von außen, von innen, langsam rotierend, antiseptisch sauber, in der dunklen Stille des Alls. Wer hier das Vorbild 2001 im Hinterkopf hat, liegt völlig richtig – Danny Boyle verhehlt das bahnbrechende Vorbild im Film keineswegs, und warum sollte er auch? Dass der Computer der Icarus II mit ähnlich sanfter Stimme mit den Astronauten kommuniziert wie seinerzeit HAL 9000, macht den Bezug überdeutlich.
Das in üppigem grün gedeihende Gewächshaus an Bord lässt unweigerlich an Lautlos im Weltraum denken, ein Film, der eine ähnliche kammerspielartige Atmosphäre hat und wie Sunshine von vereinsamten Astronauten in einer Ausnahmesituation erzählt. Das Raumschiff wirkt verloren in der tiefschwarzen Einsamkeit des Weltalls, abgeschnitten von der Erde und allem Lebendigen. Das Schiff nähert sich dem Merkur, diesem kleinen, steinernen Planeten, dem engsten Begleiter der Sonne. Noch nie wurde dieser kraterübersäte, tote Planet in einem Science-Fiction-Film so wunderschön und zugleich so schauerlich und trostlos in Szene gesetzt. Die Mannschaft sitzt im Beobachtungssaal vor dem riesigen Bildschirm, auf dem der Merkur als kleiner schwarzer Fleck langsam vor der riesigen, feurigen Sonnenscheibe vorbeizieht, und genießt verzückt lächelnd dieses Naturschauspiel. Später sieht man das Schiff über Merkurs Globus hinwegziehen, während langsam die Schatten in den sich gestochen scharf abzeichnenden Kratern länger werden. Wunderschöne Szenen, die endlich wieder die alte Faszination der Raumfahrt, den alten lustvollen Traum vom leibhaftigen Hinauswagen in ein unerforschtes All in einem Science-Fiction-Film erfahrbar machen. Da sieht man gern über bewusst in Kauf genommene Absurditäten hinweg, die sich der Film in wissenschaftlicher Hinsicht erlaubt – neben der Ausgangsidee, dass die Sonne plötzlich verlöschen könnte, und der Vorstellung, dass eine im Vergleich zur Sonne winzig kleine Atombombe irgendeinen nennenswerten Effekt auf den Stern haben könnte, sei hier nur noch ein alter Bekannter genannt: die künstliche Schwerkraft an Bord des Raumschiffs.
Die Sonne übt eine ganz besondere Faszination auf die Besatzung des Raumschiffs aus. Die Astronauten finden sich im großen Beobachtungssaal ein und betrachten andächtig die riesige, abgeblendete Sonnenscheibe mit ihrer brodelnden Oberfläche, ihren Proteburanzen und Sonnenflecken. Oberflächlich gesehen sind hier die Wissenschaftler von einer gigantischen, unfassbaren Naturgewalt gefesselt. In Hinblick auf den Schluss des Films ist die „Sonnenandacht“ der Astronauten aber auch als quasireligiöses Geschehen zu deuten: Die Astronauten nähern sich Gott – oder der Transzendenz des Universums –, um zugleich mit ihrem Eingriff in die Sonnenaktivität Gott zu spielen. Die ungeheure, brutale Macht der Sonne, von der alles Wohl und Wehe des Lebens abhängt und die im gesamten Film durch ihr strahlendes Gleißen immer wieder spürbar wird, legt die Gottesmetapher in der Tat nahe. Besonders Searle ist der Faszination der Sonne erlegen. Er versucht, sie so hell wie möglich anzusehen – soweit der Computer der Icarus II das zulässt –, und scheint dabei eine Erweiterung seines Bewusstseins spüren zu wollen. In einer Szene erklärt er seinen Kollegen, dass die Finsternis das absolute Nichts repräsentiert, das Baden im intensiven Licht der Sonne hingegen eine ganz besondere Erfahrung sei.
Visuell gilt für die Sonne dasselbe wie für den Merkur: Der Film setzt den feurigen Stern mit wunderschönen, gleißenden Bildern in Szene und vermittelt ein Gefühl dafür, dass seine Strahlung immer tödlicher und erbarmungsloser wird, je mehr sich das Schiff der Sonne nähert. Die Sonne ist, dem Titel entsprechend, der eigentliche Hauptdarsteller des Films, der so zu einer „Reise ins Licht“ und zu einer „prächtigen Halluzination“ gerät (Spiegel Online).
Nachdem die Icarus II ihr Vorgängerschiff in einer gefährlich engen Umlaufbahn um die Sonne ausgemacht hat, entspinnt sich ein Konflikt in der Mannschaft. Dieser Konflikt ist großartig gestaltet und markiert einen Höhepunkt des Films. Mace, der entschlusskräftige Techniker der Crew, plädiert energisch dafür, die Icarus I zu ignorieren, den vorprogrammierten Kurs beizubehalten und die Mission wie geplant durchzuführen. Die Mission sei viel zu wichtig, um sie eigenmächtig abzuändern. Searle indes verweist auf die Möglichkeit, dass die Bombe an Bord der Icarus I noch intakt sein könnte – man könnte sie nutzen, falls der Versuch mit der eigenen Bombe fehlschlägt. Am Ende überträgt man Capa, dem jungen und sanftmütigen Physiker, die Entscheidung, weil er der einzige ist, der sich näher mit der komplizierten Bombe auskennt. Capa entscheidet sich nach langer Überlegung für die Kursänderung: „Zwei verzweifelte Hoffnungen sind besser als eine“, erklärt er.
Diese Sequenz ist deshalb so großartig, weil sie beispielhaft das vordergründig rationale Denken und Handeln der verschiedenen Menschen an Bord vor Augen führt. Alle acht Besatzungsmitglieder sind aufgefordert, stets nüchtern und wissenschaftlich die Dinge zu beurteilen, abzuwägen und zu entscheiden. Das entspricht dem Ethos ihrer Ausbildung und der an sie gestellten Erwartungshaltung. Tatsächlich aber suchen die Befürworter der Kursänderung so lange nach einem rational stichhaltigen Argument, bis sie sich damit durchgesetzt haben – und verhehlen dabei ihre eigentlichen, zutiefst menschlichen Beweggründe: Neugier, Mitgefühl und Hoffnung. Sie stehen genau so neugierig und elektrisiert wie der Zuschauer vor der Frage, was mit der Icarus I geschehen ist. Und sie hegen die mitfühlende, wenn auch schwache Hoffnung, vielleicht doch noch einen Teil der Besatzung retten zu können.
Capas Entscheidung, zum havarierten Schwesterschiff zu fliegen, gerät allerdings zu einem katastrophalen Fiasko, das nach und nach immer mehr Besatzungsmitgliedern das Leben kostet. Zunächst begeht der Navigator Trey unter dem extremen Stress, den neuen Kurs der Icarus II zu berechnen, einen fatalen Fehler, der zu einer Beschädigung des Hitzeschildes des Schiffs führt. Bei der anschließenden Außenbord-Reparatur verglüht der Captain der Mission Kaneda in der Sonnenstrahlung. Trey dreht schuldbewusst vollkommen durch, wird als selbstmordgefährdet eingestuft und muss mit Medikamenten ruhig gestellt werden. Später, als man an die Icarus I angedockt hat und an Bord des dunklen Schiffes zwar intakte Lebenserhaltungssysteme, aber nur noch umherschwirrenden Leichenstaub und im Beobachtungssaal die von der Sonne verkohlten Überreste der Besatzung findet, schleicht sich der wahnsinnig gewordene, einzig überlebende Captain der Icarus I Pinbacker unbemerkt an Bord der Icarus II, dockt das Schiff manuell ab und sorgt so für zwei weitere tote Astronauten. Anschließend setzt Pinbacker alles daran, ein Besatzungsmitglied nach dem anderen umzubringen, was ihm weitgehend auch gelingen wird. Aficionados werden im Namen Pinbacker natürlich den Bezug auf Seargant Pinback (Dan O’Bannon) aus Dark Star (1974) wiedererkennen. Selbst die Mission der Icarus II – der gezielte Einsatz einer Bombe – hat seine Parallele zu John Carpenters Raumfahrt-Farce. Doch während Dark Star den Wahnsinn, in den die Menschen in der Isolation ihres Raumschiffs getrieben werden, nur sardonisch lächelnd entlarvt, gerät der Wahnsinn in Sunshine zur tödlichen Bedrohung der Expedition.
Oder? Plädiert der Film gegen Capas Emotionalität und für das Festhalten an der reinen, kühlen Vernunft? Vordergründig ließe sich der Verlauf des Geschehens so interpretieren. Allerdings würde der Film mit diesem Fazit eine in letzter Konsequenz unmenschliche Verhaltensmaxime als Ideal hinstellen – eine kaum denkbare Botschaft in einem Danny-Boyle-Film. Tatsächlich wertet Sunshine nicht. Der Film studiert das Verhalten von Menschen in Extremsituationen wie unter einem Brennglas und zeigt, dass Menschen immer auch emotional bestimmt sind und zu Fehlern neigen, wenn die Situation ihr Wissen und ihre Möglichkeiten übersteigt.
Die abgeklärte Rationalität ist ein Mythos. Das zeigt sich an der Figur von Mace, dem entschiedensten Gegner der Kursänderung. Sein entschlossenes Plädoyer für die planmäßige Fortsetzung der Mission wirkt kalt und mitleidslos, besticht indes mit lupenreiner Logik. Gleichwohl ist aber auch Maces Haltung psychologisch getrieben, und zwar von einem verdeckten Führungsanspruch, der sich später nach dem Tod des Captains immer deutlicher artikuliert. Mace ist ein „Macher“, vor allem dann, wenn andere ängstlich zurückscheuen, und er weiß, dass er für die Führung im Zweifelsfall auch über Leichen gehen muss, wenngleich ihm das durchaus schwer fällt. Als die überlebenden Astronauten nach einem verheerenden Brand im Sauerstoff liefernden Gewächshaus darüber diskutieren, den ruhiggestellten Trey zu töten, um einen Sauerstoffkonsumenten einzusparen und damit die Mission zu Ende führen, ist es Mace, der sich bereit erklärt, den Mord auszuführen. Für das Missionsziel scheint der Mord unabdingbar, es geht um das Abwägen eines Menschenlebens gegen das Überleben der gesamten Menschheit. Moralisch führt der Film hier an eine extreme Schmerzgrenze, aber er bewertet die Entscheidung der Mannschaft und Maces Handeln nicht. Dass Mace den Mord schließlich nicht begehen muss, weil Trey sich inzwischen selbst gerichtet hat, ist eine dankbare Entlastung für den Zuschauer. Aber man fragt sich: Was wäre geschehen, wäre der Film hier konsequenter gewesen? Mit welchen Augen hätte man Mace gesehen? Und vor allem: Wie hätte man selbst in dieser prekären Situation entschieden?
Übersehen werden sollte bei der Beurteilung dieser Szene nicht, dass die Ermordung Treys nicht das gewünschte Resultat herbeigeführt hätte. Denn Mace und die anderen wissen zu diesem Zeitpunkt nicht, dass sich bereits Pinbacker von der Icarus I an Bord des Schiffes befindet, der Sauerstoff also ohnehin nicht mehr reichen würde, solange nicht ein weiterer Mensch an Bord stirbt. So ist die geplante Ermordung Treys ein Beispiel dafür, dass auch eine Entscheidung, die logisch und rational erscheint, unabsehbare Konsequenzen nach sich ziehen und ihr Ziel verfehlen kann. Nicht immer verfügt der Entscheidende über alle relevanten Informationen. Es ist eine interessante Frage, inwiefern sich dieser Umstand auf die moralische Bewertung des geplanten Mordes auswirkt.
Von dem Moment an, als Capa feststellt, dass sich der wahnsinnig gewordene und von der Sonne völlig verbrannte und vernarbte Pinbacker an Bord der Icarus II geschlichen hat, fällt der Film leider stark ab und erzählt nur noch eine konventionelle und unmotivierte Schlitzerstory, in der ein übermächtiger, unaufhaltsamer Killer, der zum Verdruss des Zuschauers auch noch aussieht wie ein nackter Freddy Krüger, ein Besatzungsmitglied nach dem anderen abschlachtet. Das ist ungeheuer nervenzerrend und nach allen Regeln des Horrorthrillers inszeniert – Danny Boyle gibt sich hier keine Blöße. Aber es enttäuscht doch sehr, dass dem Drehbuchautor offenbar keine andere Option eingefallen ist, um die psychologische Spannung, die der Film bis dahin aufgebaut hat, glaubwürdig weiter aufrecht zu erhalten.
Pinbacker, so stellt sich heraus, hat bereits die Mission der Icarus I sabotiert, seine Crew ermordet und will nun verhindern, dass die Icarus II ihren Auftrag ausführt. Zur Begründung erklärt Pinbacker, dass er in der Sonne Gott begegnet sei und es dem Menschen nicht zustehe, mit seinem Eingriff in die Sonne selbst Gott zu spielen (in diesem Punkt ergibt sich übrigens eine interessante inhaltliche Parallele zu George Pals Film Die Eroberung des Weltalls von 1955, in dem ebenfalls ein Raumschiffkapitän in religiösen Wahn verfällt und die Mission seines Schiffs zu sabotieren versucht). Eine überzeugende Erklärung für Pinbackers Wahnsinn und seine Durchtriebenheit, mit der er kaltblütig diesen Eingriff verhindern will, ist seine angebliche Begegnung mit Gott nicht. Denn der Mensch hat immer schon mit technischen Mitteln, mit „Eingriffen in Gottes Plan“, um sein Überleben gekämpft. Der Eingriff in die Sonne mag auf den ersten Blick größenwahnsinnig erscheinen. Doch sofern die technischen Mittel zur Verfügung stehen, die allein die Rettung der Erde ermöglichen könnten, erscheint es dem Zuschauer als weitaus wahnsinniger, angesichts des drohenden Aussterbens der Menschheit nichts zu tun. Darin stimmt der Film mit dem Zuschauer auch unmissverständlich überein, wie das heroisch erkämpfte Happy End – die Bombe zündet in der Sonne, die Erde wird wieder in wärmendes Licht getaucht – offenbart. So bleibt der Gottesbegriff in Sunshine offen und erscheint als der missglückte Versuch, Pinbackers Handeln nach den traditionellen Kategorien des Horrorfilms zu motivieren und dem Plot insgesamt einen übergeordneten, transzendenten Sinn einzuhauchen. Letzteres kommt dadurch zum Ausdruck, dass auch Capa im Inneren der Sonne, im Augenblick seines Todes, eine intensive transzendente Erfahrung zu haben scheint. Bevor Capa zerstrahlt wird, lächelt er.
Der Film- und Fernsehkritiker John Kenneth Muir (geb. 1969) hat versucht, Pinbackers Verhalten als erzähltechnischen Antagonismus zur Mannschaft der Icarus II zu deuten: Dem positiven, aufopferungswilligen Heldentum der Astronauten, der sie ohne Raumanzüge durchs Weltall fliegen und in das eisige Kühlbad des Schiffscomputers steigen lässt, steht Pinbacker als Chiffre für das radikal Negative der menschlichen Psyche gegenüber:
Auf der anderen Seite der Gleichung steht ein Mann namens Pinbacker, der glaubt, dass wenn die Menschheit stürbe, er dann „allein“ mit Gott wäre. Er glaubt, schätze ich, dass sich dann eine gewisse Intimität in dieser verdrehten Beziehung einstellen würde. Das ist die Mission, zu der er sich anschickt, und sie beinhaltet Mord, Sabotage und Chaos. Pinbacker ist von seinem Selbst eingenommen, während die Überlebenden auf der Icarus II davon eingenommen sind, den Planeten zu retten . . . und die menschliche Spezies. Beides sind zwei diametral entgegengesetzte Standpunkte, und doch sind beide menschlich. (John Kenneth Muir’s Reflections on Cult Movies and Classic TV)
Die Opposition von Selbstsucht und Selbstlosigkeit erscheint einleuchtend; allerdings fällt es auch Muir schwer, hier etwas mit dem Begriff „Gott“ anzufangen – zumal ein wirklich selbstsüchtiger Mensch auch auf irgendeinen Gott pfeifen würde. Die Signifikanz von Pinbackers Gotteserfahrung bleibt somit enigmatisch – wenn nicht vorgeschoben.
Es ist eine Stärke von Sunshine, dass der schwache Schluss den Film als Ganzes nicht beschädigt. Er bleibt ein ungemein packendes und nervenzerrendes psychologisches Kammerspiel mit zahlreichen Facetten, die hier noch gar nicht alle angesprochen wurden. Ein Science-Fiction-Film zum Nachdenken, der zudem mit wundervollen Bildern und Trickszenen erzählt wird. Ein grandioses Meisterwerk, das schon jetzt zu den ganz großen Klassikern des Genres gezählt werden muss.
© Michael Haul
Veröffentlicht auf Astron Alpha am 12. August 2017
Szenenfotos © 20th Century Fox