Panic in Year Zero! (USA 1962)
Regie: Ray Milland
Drehbuch: Jay Simms, John Morton, nach den Kurzgeschichten Lot (1953) und Lot’s Daughter (1954) von Ward Moore
Kamera: Gilbert Warrenton. Schnitt: William Austin. Musik: Les Baxter
Darsteller: Ray Milland (Harry Baldwin), Jean Hagen (Ann Baldwin), Frankie Avalon (Rick Baldwin), Mary Mitchel (Karen Baldwin), Joan Freeman (Marilyn Hayes), Richard Bakalyan (Carl), Rex Holman (Mickey), Neil Nephew (Andy), Richard Garland (Ed Johnson), Willis Bouchey (Dr. Powell Strong), O. Z. Whitehead (Hogan, der Gemischtwarenhändler) u. a.
Produzenten: Arnold Houghland, Lou Rusoff
Companies: Roger Corman Productions; AIP
Laufzeit: 93 Min.; Schwarzweiß
Premiere: 5. Juli 1962 (USA); 6. April 1996 (Deutschland; TV-Premiere)
Als Harry Baldwin mit seiner Familie zu einem Camping-Urlaub in die kalifornischen Berge fährt, rettet ihnen das das Leben: Helle Lichtblitze und ein aufsteigender Atompilz am Horizont zeigen an, dass Los Angeles von einer Atombombe vernichtet worden ist – der Dritte Weltkrieg hat begonnen. Tausende Überlebende fliehen aus der Umgebung der Stadt, und Ströme von Autos verstopfen die Hauptstraßen. Harry ist sich sofort bewusst, dass nach dem Atomschlag, dem auch andere amerikanische Städte zum Opfer gefallen sind, die Zivilisation zusammenbrechen wird. Grimmig erklärt er: „Von nun an herrscht das Gesetz des Stärkeren!“
In einer Ortschaft kauft Harry große Mengen Vorräte ein und will in einem Eisenwarengeschäft auch Schusswaffen erwerben. Als er feststellt, dass sein Bargeld dafür nicht mehr ausreicht, raubt er den Händler kurzerhand aus. Harrys Frau Ann ist über die Skrupellosigkeit ihres Ehemannes entsetzt, doch Harry erklärt, dass sie unumgänglich sei. Die Familie durchbricht auf der Fahrt eine Straßensperre, die die Anwohner errichtet haben; später schlägt Harry für eine Tankfüllung den Tankwart nieder. Als drei kriminelle Herumtreiber die Familie auf einer Landstraße überfallen wollen, schießt Harrys Sohn Rick einem von ihnen mit dem Gewehr in die Schulter und vertreibt sie. Schließlich erreicht die Familie ihr Ziel: eine abgelegene Höhle in den Bergen. Die Baldwins verstecken ihr Auto und ihren Wohnanhänger, richten sich in der Höhle ein und hoffen, die Zeit schadlos zu überstehen, bis die überall entfesselte Anarchie von der Nationalgarde und der Armee wieder eingedämmt sein wird.
Eines Tages wird Harrys Tochter Karen an einem Bach in der Nähe der Höhle zufällig von zwei Kriminellen entdeckt – dieselben, die zusammen mit ihrem Komplizen die Baldwins auf der Landstraße ausrauben wollten. Die beiden Männer packen die junge Frau, um sie zu vergewaltigen. Die Mutter hört Karens Schreie und kann mit Gewehrsalven die Angreifer vertreiben. Harry sinnt auf Rache, spürt gemeinsam mit Rick die Übeltäter in einer nahegelegenen Farm auf und erschießt sie. In der Farm entdecken sie Marilyn, eine junge Frau, die von den hingerichteten Kriminellen gefangen gehalten und mehrfach vergewaltigt wurde. Die Baldwins nehmen Marilyn in ihrer Höhle auf, und zwischen ihr und Rick entwickelt sich bald zärtliche Zuneigung. Als jedoch plötzlich Carl, der Komplize der beiden Erschossenen, erscheint, wird Rick in einem Feuergefecht lebensgefährlich verletzt. Die Baldwins sind gezwungen, ihre Höhle zu verlassen und Rick in den nächsten Ort zu einem Arzt zu fahren . . .
Ein ausgekochtes Doomsday-Drama
Panik im Jahre Null entstand zu einer Zeit, als die Angst vor einem Atomkrieg einem neuen Höhepunkt zustrebte – nur drei Monate nach dem Kinostart des Films drohte die Kubakrise den Atomkrieg wirklich zu entfesseln. Das Science-Fiction-Kino hatte die Maskierung der Atomkriegsangst mit radioaktiven Monstern in Filmen wie Panik in New York (1953) oder Godzilla (1954) hinter sich gelassen und malte stattdessen schockierend realistische Szenarien des nuklearen Holocaust aus. Stanley Kramers starbesetztes Melodrama Das letzte Ufer (1959) war eine bittere, wenn auch verkitschte Vision vom nuklearen Weltuntergang, und Ranald MacDougalls Die Welt, das Fleisch und der Teufel (1959) zeigte, wie schon Arch Obolers Die letzten Fünf (1951), eine vom Strahlentod gekennzeichnete Welt nach einem Atomkrieg.
Panik im Jahre Null stellt sich neben jenen pathetischen Filmen als bemerkenswert nüchterne Fabel dar, die sich auf die Frage konzentriert, wie die Gesellschaft auf einen Atomschlag und die Zerrüttung der staatlichen Ordnung reagieren würde. Die Antworten, die der Film liefert, sind radikal: Die Zivilisation würde auseinanderfallen, Anarchie und ein gnadenloser Kampf ums eigene Überleben wären die Folge. Nur wer sich rücksichtslos durchsetzt und auch vor dem Töten nicht zurückschreckt, hätte im barbarischen Chaos eine Chance. Auf diesen Prämissen baut der Film eine Erzählung auf, die sich wie eine praktische Anleitung für das Überleben nach dem Großen Knall ausnimmt.
Der Film hatte nur ein winziges Budget und setzt daher seine Geschichte mit äußerst sparsamen Mitteln um: Abgesehen von den Lichtblitzen der Bombenexplosionen, die durch schlichtes Überbelichten des Films erzielt wurden, gibt es nur einen einzigen, allerdings hervorragend gelungenen visuellen Effekt zu bestaunen: einen am Horizont aufsteigenden Atompilz. Für die Autoströme, die sich über die Landstraßen ergießen, halten Aufnahmen von dicht befahrenen städtischen Highways her, und panisch fliehende Menschenmengen oder atomare Verwüstungen zeigt der Film nicht. Die Erzählperspektive bleibt stets auf die Baldwin-Familie gerichtet, und die Anzahl der übrigen Figuren ist auf ein Minimum beschränkt. So reduziert sich die Anarchie, die der Film für das „Jahr Null“ prognostiziert, auf das Treiben der drei jungen Unholde, die raubend, mordend und vergewaltigend die Gegend unsicher machen; neben ihnen tauchen im Film keine Übeltäter auf.
Manche Kritiker haben dem Film sein geringes Budget zum Vorwurf gemacht, ihn als typische AIP-Produktion eingeordnet und damit in eine Reihe mit zahlreichen Roger-Corman-Filmen gestellt. So schrieb Glenn Erickson auf seiner Website DVD Savant: „Der Film sieht einfach zu billig aus, als dass er in irgendeiner Hinsicht als Klassiker überdauern könnte“. Meines Erachtens gereichen dem Film seine begrenzten Mittel dagegen zum Vorteil – ohne viel Spektakel, fokussiert auf ein überschaubares Personal in begrenzter Szenerie, entsteht ein Kammerspiel von überraschender Intensität und Spannung – Post-Doomsday im Reagenzglas. Der Horror des Atomschlags und der gesellschaftlichen Apokalypse wird sehr gut spürbar, obwohl oder vielleicht gerade weil das meiste davon der Vorstellungskraft des Zuschauers überlassen bleibt.
Ray Milland (1907–1986) verkörpert die Hauptfigur Harry Baldwin und übernahm in Panik im Jahre Null auch die Regie. Milland war ein hervorragender Schauspieler gewesen, der für seine Rolle als Alkoholiker in Das verlorene Wochenende (1945) mit dem Oscar geehrt worden war. Später erschien er jedoch fast nur noch in B-Filmen und Telemovies. Genrefans ist Milland vor allem durch seine Rollen in Roger Cormans Filmen Lebendig begraben (1962) und Der Mann mit den Röntgenaugen (1963), George McCowans Frogs (1972), Lee Frosts The Thing With Two Heads (1972) und Glen A. Larsons Kampfstern Galactica (1978) bekannt. Hier spielt er den beinharten Patriarchen Harry Baldwin mit spröder Präsenz. Baldwins Härte macht die Figur wenig sympathisch, doch Millands Darbietung ist stimmig und glaubwürdig, wobei er skurrilerweise fast nie den Hut absetzt – fast so, als sei der Hut neben dem Gewehr in den Fäusten ein Insignium seiner Macht.
Bemerkenswert gut ist auch Jean Hagen (1923–1977), berühmt geworden als Lina Lamont in der Musical-Komödie Du sollst mein Glücksstern sein (Singin’ In The Rain, 1952). Hier spielt sie Harrys verzweifelte Ehefrau, die ihrem Mann immer wieder ins Gewissen redet. Durch sie wird Harrys Handeln unablässig reflektiert und in Frage gestellt. Frankie Avalon (geb. 1939) als Harrys Sohn Rick wirkt etwas weniger überzeugend, während Mary Mitchel (geb. 1940) als Karen und Joan Freeman (geb. 1942) als Marilyn nicht allzuviel abverlangt wird. Mit sichtlicher Spiellaune sind hingegen Richard Bakalyan, Rex Holman und Neil Nephew als die drei linkischen Schurken Carl, Mickey und Andy bei der Sache. Die tödliche Bedrohung, die von ihnen ausgeht, ist beständig spürbar – außer in Bakalyans letzter Szene, in der er sich viel zu leicht von Avalon und Freeman austricksen und schlussendlich erschießen lässt.
Das Drehbuch von Jay Simms und John Morton basierte auf den Kurzgeschichten Lot (1953) und Lot’s Daughter (1954) von Ward Moore (1903–1978), ohne dass vorher die Rechte gekauft worden waren, sodass die Veröffentlichung des Films einen juristischen Streit mit Moore nach sich zog. Moore hatte in beiden Kurzgeschichten das Post-Doomsday-Thema mit biblischen Anklängen verflochten, die sich zum Teil im Film wiederfinden, worauf Jack G. Shaheen im von ihm herausgegebenen Buch Nuclear War Films (1978) hingewiesen hat. So nennt Harry die Flüchtlingswelle den „neuen Exodus“, und wenn Harry einen nicht enden wollenden Autostrom auf dem Highway mit Flammen unterbricht, um die Straße mit dem eigenen Wagen überqueren zu können, kann dies als symbolische Anspielung auf Moses’ Teilung des Roten Meeres interpretiert werden. Allerdings bleiben die biblischen Remineszenzen nebensächlich und erbringen für die Aussagen des Films nichts.
Joe Dante behauptete in Castle of Frankenstein No. 22, dass die Drehbuchautoren auch beim Roman The Death of Grass (1956) von Samuel Youd alias John Christopher (1922–2012) „schamlos geklaut“ hätten. Dieser Roman wurde später die Vorlage für den britischen Science-Fiction-Film No Blade of Grass (1970) von Cornel Wilde und erzählt eine ähnlich radikale Survival of the Fittest-Geschichte wie Panik im Jahre Null; beide Filme werden daher oft miteinander verglichen. Daneben erinnert Panik im Jahre Null auch stark an einen anderen Doomsday-Film, der ebenfalls 1962 entstand: This Is Not a Test von Frederic Gadette. Beide Filme sind mit ihrem minimalen Budget, der nur angedeuteten Darstellung des Atomschlags, der Prognose über die ausbrechende Barbarei, der kammerspielartigen Machart und sogar der Szenerie – die Highways rund um Los Angeles – einander sehr ähnlich. Leider ist über die Produktion und den Regisseur von This Is Not a Test nur wenig bekannt – es ist nicht einmal sicher, ob der Film je im Kino lief. Da beide Filme annähernd gleichzeitig erschienen, ist es unwahrscheinlich, dass der eine Film den anderen inspiriert haben könnte. Umso interessanter sind die Parallelen zwischen ihnen.
Jeder ist sich selbst der Nächste
Ray Millands markige Inszenierung ist schnörkellos und von hohem Tempo. Der Film baut von Beginn an eine hohe dramatische Spannung auf und vermag sie bis zu seinem Ende zu halten, wofür die meisten Kritiker auch Lob zollten. Gewisse Zugeständnisse an das Publikum sind wohl erkennbar. So bleibt der Film bewusst etwas vage darüber, ob Karen tatsächlich oder nur beinahe vergewaltigt worden ist (die deutsche Synchronfassung ist hier eindeutiger und tut so, als sei Karen unbehelligt davongekommen) – womit nahegelegt sein dürfte, dass eigentlich eine vollzogene Vergewaltigung gemeint ist bzw. vorgestellt werden soll. Auch das schwache positive Ende des Films – der Krieg wird rasch beendet, nachdem nur wenige Atombomben gefallen sind, und Armee und Nationalgarde stellen die staatliche Ordnung wieder her – kann als Zugeständnis an das Publikum aufgefasst werden. Das Problem der Radioaktivität wird nur beiläufig erwähnt und spielt kaum eine Rolle – sogar das verstrahlte Los Angeles wird, wie ein Sprecher im Radio verkündet, sofort nach dem Krieg wieder aufgebaut! Das Happy End steht in groteskem Widerspruch zur Apokalypse, von der der Film erzählt, und ist der berechtigten Angst vor dem Atomkrieg keinesfalls angemessen.
Davon abgesehen ist der Film jedoch erschreckend kompromisslos; ihn durchweht ein gehöriges Maß verstörender Subversivität. Die Haltung des Films stieß vielen Kritikern denn auch sauer auf, und so genießt Panik im Jahre Null allgemein eine schlechte Reputation. Die gnadenlose, sozialdarwinistische Verhaltensmaxime, die Millands Film propagiert, mochte kein Kritiker guten Gewissens unterschreiben. In der Tat verteidigt Harry Baldwin die Belange seiner Familie mit außerordentlicher Kaltblütigkeit. Als Harry den Eisenwarenhändler Ed Johnson ausraubt, hält sein Sohn Rick den Händler mit einer Waffe in Schach, und Harry befiehlt ihm: „Wenn er eine falsche Bewegung macht, schieß ihn über den Haufen!“ Johnson verhält sich ruhig und kommt mit dem Leben davon, aber Harrys Frau ist entsetzt. Später begegnet Harry Ed Johnson zufällig wieder, als dieser ebenfalls in die Wildnis geflohen ist, und Johnson bittet für sich und seine Frau bei den Baldwins um Unterschlupf. Harry aber lehnt kaltherzig ab – er könne mit seinen Vorräten nicht noch zwei weitere Mäuler mehr stopfen. Schließlich erschießt Harry ohne Skrupel die beiden Schurken, die seine Tochter vergewaltigt haben.
Der neuseeländische Science-Fiction-Kritiker Richard Scheib bringt auf seiner Webseite Moria die Problematik von Harry Baldwins Verhalten auf den Punkt, wenn er schreibt: „Der Film scheint völlig blind dafür zu sein, dass wenn jede Person die egoistischen Überlebensmethoden beherzigen würde, die Millands Charakter wählt (ob sie als gerechtfertigt empfunden werden oder nicht), dabei dann exakt jene unzivilisierte Anarchie herauskäme, die Milland fürchtet.“ Scheib sieht in Panik im Jahre Null eine „libertäre Überlebensfantasie in ihrer brutalsten Ausprägung“. Auch Bill Warren lässt an den Aussagen und der Weltsicht des Films in seinem Buch Keep Watching the Skies! kein gutes Haar. „Die Idee, dass die Menschen möglicherweise durch eine Katastrophe enger zusammenrücken könnten, anstatt zu verzweifelten Feinden zu werden, scheint in der Welt von Panik im Jahre Null nicht einmal eine Möglichkeit darzustellen“ (Skies, S. 650). Er nennt den Film „sensationalistisch“ und zieht das Fazit: „[Der Film] hat einen wirren moralischen Standpunkt, eine TV-orientierte Sichtweise von der Familie, eine bedauerliche Handhabung der weiblichen Rollen und bizarrerweise ein positives Ende. Aber es ist ein Film, den man immer noch ernst nehmen kann“ (Skies, S. 652).
Der letzte Satz lässt aufmerken, scheint er doch anzuzeigen, dass Warren dem eigenen Urteil nicht vollends über den Weg traut. Ist mit der Verurteilung von Baldwins mörderischem Egoismus wirklich alles gesagt? Oder liegt in dieser „libertären Überlebensfantasie“ – und „Gewaltfantasie“, wie man hinzufügen darf – nicht doch auch diskussionswürdiges Potenzial? Zunächst: Dass die menschliche Gesellschaft nach einem Atomschlag in die Barbarei zurückfallen würde, ist ein altbekanntes Science-Fiction-Klischee. Einen Beweis für diese Prognose gibt es selbstredend nicht, und wie wahrscheinlich sie ist, wäre einige Diskussion wert. Aber die Science-Fiction fragt nicht primär danach, was sein wird – sie fragt vielmehr danach, was sein könnte. Wenn man also der Prämisse des Films, dass der Atomschlag eine radikale Anarchie entfesselt, fiktive Geltung einräumt, so wären Harry Baldwins Maßnahmen zum Schutz und zur Überlebenssicherung seiner Familie nicht vollkommen falsch – vom Grad der Brutalität, mit der Harry vorgeht, einmal abgesehen. Tatsächlich nämlich kann die Moral, die Richard Scheibs Kritik anmahnt, das bezeichnete Dilemma nicht auflösen: Wenn jeder mit allen Mitteln um sein Überleben kämpft, kämpft jeder gegen jeden – und wer sich an diesem Kampf nicht beteiligt, hat gute Chancen, zu unterliegen und zu sterben.
Richard Scheib meint, dass dem Film „jegliche erkennbare Kritik“ an Baldwins Handeln fehle, doch ist das nicht wahr. Die Kritik kommt durchaus zum Ausdruck, nur räumt der Film ihr keine durchschlagende Kraft ein, was freilich nicht bedeutet, dass der Zuschauer sich nicht seine eigenen Gedanken über das moralische Dilemma machen darf. Harrys Frau Ann redet ihrem Mann immer wieder ins Gewissen und mahnt zivilisierte Werte und Verhaltensnormen an, und auch wenn Harry Anns Einwände regelmäßig in den Wind schlägt und der Film seine Haltung obsiegen lässt, wird doch die Schattenseite seiner Unerbittlichkeit in Anns wachsender Verzweiflung spürbar.
Als Ann den vollständigen Verlust ihrer Werte und moralischen Gewissheiten nicht mehr ertragen kann, fleht sie ihren Mann um ein kleines Zeichen der Hoffnung an, das ihr das Weiterleben ermöglichen könnte. Sie will nicht akzeptieren, dass alle Menschen zu Feinden geworden sind, wie ihr Mann behauptet. „Es muss doch noch ein paar anständige Menschen geben“, insistiert sie verzweifelt. Um sie zu beruhigen, willigt Harry ein, das Johnson-Ehepaar, dem er zuvor seine Hilfe verweigert hatte, zum Essen einzuladen. Als er und Rick den Wohnwagen der Johnsons aufsuchen, ist es jedoch zu spät: Johnsons Frau liegt geschändet und erschossen im Gras, Johnson selbst erschossen im Wohnwagen. Und Harry ist – unausgesprochen – damit ein schwerer Fehler nachgewiesen.
Nachdem Harry die beiden Angreifer seiner Tochter, die auch die Johnsons auf dem Gewissen haben, getötet hat, quält sich Harry mit Selbstzweifeln: „Ich habe das Böse in den anderen gesucht und fand es in mir selbst“. Bill Warren nennt diese Klage mit einigem Recht „scheinheilig“ (Skies, S. 649), solange sie keine Veränderung des Verhaltens herbeiführt. Allerdings stellt er dabei nicht in Rechnung, dass Harry immerhin Marilyn aus den Händen der Schurken gerettet und zu seiner Familie in die Höhle mitgenommen hat, er mithin nicht denselben Fehler wie mit den Johnsons wiederholt. Gewiss, die kritischen Zwischentöne des Films sind schwach ausgeprägt, und ihnen wird auch an keiner Stelle ein klarer Sieg über Harrys selbstsüchtigem Treiben eingeräumt. Der Zuschauer aber erhält in den kritischen Momenten die Möglichkeit, die im Film entwickelten Konfliktsituationen selbst zu reflektieren und sich ein moralisches Urteil zu bilden.
Panik im Jahre Null ist ein grimmiger kleiner Doomday-Film, der seine minimalen Produktionswerte zur Tugend macht und seine exemplarische Fabel vom brutalen Überlebenskampf nach dem nuklearen Weltuntergang auf die dramatischen Geschicke einer amerikanischen Durchschnittsfamilie beschränkt. Das radikale Szenario mag überzeichnet sein, ist aber ohne Frage auch heute noch von verstörender Kraft. Ob man den plakativ propagierten, gewalttätigen Sozialdarwinismus des Films unterschreibt oder nicht, ist zweitrangig, denn der Film liefert auch für jene, die sie ablehnen, genügend kritische Momente, um sich an ihr zu reiben. Die Radikalität des Films regt zum Nachdenken an und fordert zur Antwort heraus – Qualitäten, die nur wenigen Science-Fiction-Filmen zueigen sind.
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Panic in Year Zero! (USA 1962). Alternativer Titel: End of the World. Regie: Ray Milland. Drehbuch: Jay Simms und John Morton, nach den Kurzgeschichten Lot (1953) und Lot’s Daughter (1954) von Ward Moore. Kamera: Gilbert Warrenton. Schnitt: William Austin. Musik: Les Baxter. Bauten/Art Direction: Daniel Haller. Bühnenbild/Set Decoration: Harry Reif. Spezialeffekte: Lawrence W. Butler, Pat Dinga; Ray Mercer (visuelle Effekte). Darsteller: Ray Milland (Harry Baldwin), Jean Hagen (Ann Baldwin), Frankie Avalon (Rick Baldwin), Mary Mitchel (Karen Baldwin), Joan Freeman (Marilyn Hayes), Richard Bakalyan (Carl), Rex Holman (Mickey), Neil Nephew (Andy), Richard Garland (Ed Johnson), Willis Bouchey (Dr. Powell Strong), O. Z. Whitehead (Hogan, der Gemischtwarenhändler) u. a. Produzenten: Arnold Houghland, Lou Rusoff. Ausführende Produzenten: Samuel Z. Arkoff, James H. Nicholson. Laufzeit: 93 Min.; Schwarzweiß. Premiere: 5. Juli 1962 (USA); 6. April 1996 (Deutschland; TV-Premiere).
© Michael Haul
Veröffentlicht auf Astron Alpha am 13. Februar 2018
Szenenfotos © AIP