Moon – Die dunkle Seite des Mondes

Film Moon (GB 2009) DVD Cover

Moon (GB 2009)

 

Regie: Duncan Jones

Drehbuch: Duncan Jones (Story), Nathan Parker (Drehbuch)

Musik: Clint Mansell

Darsteller: Sam Rockwell (Sam Bell), Kevin Spacey (Stimme von GERTY), Dominique McElligott (Tess Bell), Rosie Shaw (Little Eve), Adrienne Shaw (Nanny), Kaya Scodelario (Eve), Benedict Wong (Thompson), Matt Berry (Overmeyers), Malcolm Stewart (Techniker), Robin Chalk (Sam Bell Klon)

Produzenten: Stuart Fenegan, Trudie Styler

Companies: Liberty Films UK, Xingu Films, Limelight, Lunar Industries Ltd. Premiere: 23. Januar 2009 (USA); 20. Juni 2009 (GB); 15. Juli 2010 (Deutsch­land)

 

In naher Zukunft ist “Lunar Industries” der führende Energielieferant der Erde. Auf dem Mond schürfen mächtige Bag­ger Mondgestein und gewinnen daraus Helium-3, das auf der Erde als Brennstoff für Kernfusionskraftwerke benötigt wird. Der Betrieb verläuft fast vollautomatisch, es bedarf nur weniger Arbeiter, die in einsamen, verstreuten Mond­stationen die Kontrolle und Wartung übernehmen, mit Rovern die Helium-3-Ernte einfahren und sie schließlich in ab­schuss­bereite Raumkapseln verladen.

 

Astronaut Sam Bell ist einer von ihnen. Drei lange Jahre hat Sam in einer Schürfstation auf der Rückseite des Mondes seinen stumpfsinnigen Dienst geschoben – ganz allein. Gespräche konnte Sam in dieser Zeit nur mit seinen Pflanzen und dem intelligenten Computer GERTY führen, da die Live-Funkverbindung mit der Erde aufgrund eines Defekts am Kommunikationssatelliten ausgefallen ist. Regelmäßige Videobotschaften von seiner Ehefrau Tess und seiner kleinen Tochter Eve konnte Sam jedoch weiterhin empfangen; durch sie hielt er seine Moral aufrecht.

 

Da ereignet sich zwei Wochen vor der geplanten Rückkehr zur Erde ein Unfall. Als Sam zu einem der Schürfbagger hinausfährt, wird er von einer Halluzination irritiert, verliert die Kontrolle über seinen Rover und kollidiert mit dem Bagger. Er erwacht auf einer Liege im Krankenquartier seiner Mondstation, kann sich jedoch an nichts mehr erinnern. GERTY erklärt Sam, dass er einen Unfall gehabt habe. Als Sam später feststellt, dass einer der Schürfbagger nicht mehr arbeitet, weigert sich GERTY zunächst, ihn aus der Mondstation hinauszulassen. Sam gelingt es jedoch mit einer List, GERTY zum Öffnen der Schleuse zu bewegen. Er fährt zum defekten Bagger hinaus und entdeckt den verunglückten Rover. Im Cockpit sitzt ein bewusstloser Astronaut, der exakt so aussieht wie er selbst – und GERTY zögert, Sam zu erklären, wer dieser Mann ist . . .

 

Ein faszinierendes Science-Fiction-Juwel

 

Nur zwei Jahre nach Danny Boyles brillantem Raumfahrtdrama Sunshine (2007) sorgte Moon – Die dunkle Seite des Mondes für eine weitere Science-Fiction-Überraschung aus England: Der Film wurde für seine exzellente Produktion und sein kluges Drehbuch gefeiert, gewann auf mehreren Filmfestivals den Titel „bester Film des Jahres“, und mancher Genrefreund mag sich gefragt haben, ob von einer Renaissance des britischen Science-Fiction-Kinos gesprochen werden kann. Zumindest ist Moon seit Nathan Jurans und Ray Harryhausens Die erste Fahrt zum Mond (1964) und der Siebzigerjahre-TV-Serie Mondbasis Alpha 1 (Space: 1999) die längst überfällige Rückkehr der Engländer auf den Mond. Mission geglückt: Das intelligent und fesselnd erzählte Drama von der Krise eines vereinsamten Mondbewohners bie­tet wohltuende Abwechslung vom hektischen Actionkrawall, der für gewöhnlich das Science-Fiction-Kino dominiert.

 

Moon ist das Erstlingswerk von Regisseur Duncan Jones (geb. 1971), dem Sohn von David Bowie, und wurde für gerade einmal 5 Millionen Dollar realisiert. Jones tüftelte auch die Story aus. Sein Film verneigt sich überdeutlich vor den Genreklassikern 2001: Odyssee im Weltraum (1968), Lautlos im Weltraum (1972) und Solaris (1972) und strebt ganz be­wusst einen Retro-Look an, der an Raumfahrtfilme der Siebziger- und Achtzigerjahre erinnert. Die Bühnenbilder für das Innere der Mondbasis sind sehr elegant, und die tadellose Tricktechnik präsentiert sich auf der Höhe der Zeit. Der Film sieht viel teurer aus, als er gewesen ist. Dank der immer perfekter und gleichzeitig immer günstiger gewordenen CGI-Technik lässt sich heutzutage auch mit einem schmalen Budget ein hochwertiger, sehr cooler Look realisieren. Die Sze­nen auf der Mondoberfläche wirken jedenfalls makellos und vermitteln dem Zuschauer fast das Gefühl, sich wirklich auf dem Mond zu befinden.

Sam Rockwell in Moon (GB 2009) als Mondarbeiter Sam Bell auf der Mondoberfläche
Der Mond ist tot – Sam Bell (Sam Rockwell) als vereinsamter Mann auf dem Erdtrabanten

Das schicke, kühle Design der Mondbasis wird lediglich vom Computer GERTY durchbrochen, der für meinen Ge­schmack sehr unglücklich gestaltet ist. GERTY sieht aus wie ein unförmiger Metallkasten mit einem lächerlichen klei­nen Smiley-Bildschirm, ist an Füh­rungsschienen an der Decke aufgehängt und fährt so in der Mondstation umher – nicht gerade das, was man sich unter einer hochentwickelten Künstlichen Intelligenz vorstellen würde. Möglicherwei­se standen hier die ähnlich ulkigen Roboter Huey, Dewey und Louie aus Douglas Trumbulls Lautlos im Weltraum (1972) Pate, die ihrerseits wie wat­scheln­de TV-Geräte aussehen (eine andere Remineszenz an Lautlos im Weltraum ist Sam Bells liebevolle Pflege seiner Pflanzen, die Sams Einsiedlertum wundervoll zum Ausdruck bringt). Man fragt sich, wa­rum GERTY überhaupt mobil ist, wenn dieser Computer alle Systeme der Mondstation kontrolliert und quasi ein Teil von ihnen ist. Der immobile HAL 9000 aus Stanley Kubricks 2001: Odyssee im Weltraum (1968) wäre sicherlich das logischere Vorbild für GERTY gewesen.

 

Rätselhafter „Mann im Mond“

 

Sam Rockwell spielt den einsamen Mondbewohner Sam Bell, der in der Abgeschiedenheit etwas kauzig geworden ist und kurz vor Ablauf seiner drei Dienstjahre rasch dahinsiecht. Gleichzeitig verkörpert er den zweiten, neu aufge­tauch­ten Sam Bell, der im Gegensatz zum verbrauchten „alten“ Sam vor Vitalität und Temperament strotzt. Rockwells dar­stellerische Leistung ist großartig. Er trägt den Film praktisch ganz allein; andere menschliche Gesichter wie die von Sam Bells Frau, seiner Tochter oder seinen Vorgesetzten erscheinen nur ab und zu auf Bildschirmen. Auch GERTY, im Original immerhin von Kevin Spacey gesprochen, vermag es nicht, Rockwell die Show zu stehlen. Indem der Film auf Actionszenen verzichtet und sich ganz auf die einsiedlerische Figur des Sam Bell konzentriert, entfaltet er ein fesseln­des Kammerspiel, das von Clint Mansells ruhiger Musik perfekt untermalt wird. Der Konflikt beider Sam Bells, die sich gegenseitig ihre Identität streitig machen, wird spannend und wendungsreich erzählt und enthält viele nachdenkens­werte Facetten. Zunächst spekuliert der Zuschauer über die absurd erscheinenden Ereignisse. Und auch als klar wird, dass mindestens einer der beiden Sam Bells ein Klon ist, bleibt das Verwirrspiel offen. Schließlich erkennen beide Sams, dass sie beide Klone sind, nach Strich und Faden belogen von ihrem „Arbeitgeber“ – tatsächlich ihrem Eigen­tümer –, dem Konzern “Lunar Industries”, der ihnen die Erinnerungen eines ursprünglichen Sam Bell ins Gehirn implan­tieren ließ. Jener originäre Sam Bell befindet sich schon seit Jahren wieder auf der Erde. Der Einsatz von Klonen, die in der Mondstation eingelagert sind, ist für den Konzern günstiger, als ständig neue Mondschürfer auszubilden und auf den Mond zu schicken.

 

Die Idee der programmierten Erinnerung im Kopf eines Klons oder künstlichen Geschöpfs ist gewiss nicht neu – im Science-Fiction-Kino figurierte sie bereits in Rainer Werner Faßbinders Welt am Draht (1974) oder Ridley Scotts Blade Runner (1982), auch fühlt man sich an Paul Verhoevens Total Recall (1990) erinnert. In Moon wird sie jedoch kompro­miss­los in den Mittelpunkt der Erzählung gestellt und so für den Zuschauer zu einer intensiven tragischen Erfahrung. Die „innere Wahrheit“ einer einprogrammierten Vergangenheit in einem künstlich gezüchteten Klon ist letztlich um nichts ge­ringer als die eines tatsächlich gelebten Lebens. Sam Bells Schicksal ist zutiefst anrührend, denn Sam muss die Tat­sache verkraften, dass seine Erinnerungen, seine Liebe zu seiner Frau und seiner Tochter, seine Verbundenheit mit der Welt – sein Ich – aus Lügen bestehen. Der innere Verlust schmerzt, denn Sams falsifiziertes Ich war für ihn bis dahin unumstößlich „wahr“ und lässt sich auch durch nichts ersetzen.

 

Auch industrielle KIs haben Gewissensbisse . . .

 

Leider fallen auch einige logische Schwachpunkte ins Auge. Der schwerwiegendste: Warum hilft GERTY den beiden Sam-Bell-Klonen bei ihren Fluchtplänen? GERTY erklärt, dass in seiner Programmierung die Hilfe und Unterstützung der Sam-Bell-Klone höchste Prioriät hat, doch kann dies unmöglich eine hinreichende Begründung für GERTYs Ver­hal­ten sein. Noch vor das Wohl der Klone geht das Wohl von “Lunar Industries”, und wenn ein auf die Erde entflohener Klon das öffentliche Image des Konzerns massiv beschädigt, hätte GERTY auf die Vernichtung der aufbegehrenden Klone hinarbeiten müssen – insbesondere, da die Klone nach Ablauf von drei „Betriebsjahren“ ohnehin mitleidlos aus­gelöscht werden und somit von relativ geringem Wert zu sein scheinen.

Die Künstliche Intelligenz GERTY in der Mondbasis in Moon (GB 2009)
KI im Industrieroboter-Design – GERTY

Zu Anfang handelt GERTY auch entsprechend, indem er dem neu eingesetzten Sam Bell verweigert, die Station zu verlassen, da dieser dann auf den älteren Klon im havarierten Mondrover stoßen würde. Doch Sam überredet GERTY zum Einlenken, und GERTY setzt in Sam Vertrauen, indem er ihm nur erlaubt, die Außenhülle der Station und nicht den defekten Schürfbagger zu untersuchen. In einer späteren Szene berät sich GERTY im Live-Feed mit Vertretern des Konzerns und erfährt von ihnen, dass ein Trupp zur Station unterwegs ist, um die aufsässigen Klone auszulöschen. GERTYs Aufgabe muss demgemäß darin bestehen, beide Klone in der Mondstation gefangen zu halten. Stattdessen klärt GERTY die Klone über ihre wahre Herkunft auf und verhilft einem von ihnen zur Flucht. Am Ende fordert er sogar von Sam die Löschung seiner eigenen Memory Caches und den Reboot seines Systems, um sein Fehlverhalten vor dem Konzern zu vertuschen. Offensichtlich ist in GERTY so etwas wie Menschlichkeit und Mitleid entstanden, sodass die KI gegen ihre ursprüngliche Programmierung handelt – ein deus ex machina, der das Happy End ermöglicht, aber nicht hinlänglich motiviert wird.

 

Andere Ungereimtheiten betreffen die Störsender, die Sam Bell vorgaukeln, dass eine Live-Verbindung zur Erde nicht möglich sei – wäre ein entsprechendes Computerprogramm im Funksystem der Mondstation nicht effizienter? –, die schlafenden, bereitgehaltenen Klone in den Katakomben der Station – sind ihrer nicht viel zu viele? – und das grund­legende Konzept der geklonten, unwissenden Arbeitssklaven – wären Sam Bells Aufgaben nicht viel billiger durch Roboter und GERTY selbst zu bewerkstelligen? Erweist sich der Grundriss des Plots somit als nicht gänzlich plausibel, ist die auf ihm errichtete Story eine faszinierende psychologische Studie.

 

Dass Moon das Nachdenken über das Bewusstsein und die Identität des Menschen anregt, auch und gerade in einer geklonten Zukunft, macht den Film zu einem intellektuellen Genuss; er ist ein seltenes Beispiel für einen wirklich intel­ligenten Science-Fiction-Film. Das Anknüpfen an die bereits erwähnten Genreklassiker, die Moon als Vorbild dienten, ist somit nicht nur optisch, sondern auch intellektuell geglückt. Ob Moon dereinst auch als „Klassiker“ bezeichnet werden wird, wird die Zukunft zeigen. Dass der Film ein höchst ansprechendes Science-Fiction-Erlebnis ist, steht jetzt schon unumstößlich fest.

 

 

© Michael Haul

Veröffentlicht auf Astron Alpha am 6. Mai 2016

Covermotiv und Szenenfotos © Lunar Industries Limited