Invaders from Mars (USA 1953)
Regie: William Cameron Menzies
Story und Drehbuch: John Tucker Battle, William Cameron Menzies, Richard Blake
Darsteller: Jimmy Hunt (David MacLean), Helena Carter (Dr. Pat Blake), Arthur Franz (Prof. Stuart Kelston), Leif Erickson (George MacLean), Hillary Brooke (Mary MacLean), Morris Ankrum (Col. Fielding), Max Wagner (Sgt. Rinaldi), Milburn Stone (Capt. Roth), Janine Perreau (Kathy Wilson), Lock Martin (Mutant), Max Palmer (Mutant), Luce Potter (marsianische Intelligenz) u. a.
Produzent: Edward L. Alperson
Companies: Edward L. Alperson Productions; 20th Century Fox Film Corp.
Laufzeit: 78 Min./82 Min.; Farbe
Premiere: 9. April 1953 (USA); 28. November 1958 (Deutschland)
Der kleine David MacLean beobachtet in der Nacht, wie auf dem Hügel vor dem Fenster seines Kinderzimmers ein UFO landet. Das UFO vergräbt sich tief unter der Erde – an der Oberfläche bleibt nur eine Sandfläche zurück. Aufgeregt berichtet David seinen Eltern davon, die ihm zunächst nicht glauben wollen. Als Davids Vater, ein Ingenieur für Weltraumraketen, auf den Hügel hinaufsteigt, um der Sache auf den Grund zu gehen, verschwindet er spurlos. Erst am nächsten Morgen taucht er wieder auf, ist jedoch vollkommen verändert: gefühlskalt, hart und verschlossen. Kurz darauf führt Davids Vater auch seine Frau den Hügel hinauf, und auch sie kehrt als seelenloser Roboter vom Hügel zurück.
David verzweifelt. Keiner will ihm glauben oder helfen. Als David aufgelöst zur Polizei stürzt, stellt er zu spät fest, dass auch der Polizeichef unter den Einfluss der Außerirdischen geraten ist. Der Polizeichef lässt David kurzerhand einsperren. Dank eines mitfühlenden Wachtmeisters, der noch nicht kontrolliert wird, kommt David jedoch in die Obhut der verständnisvollen Ärztin Dr. Pat Blake. Endlich wendet sich das Blatt: Blake kontaktiert den befreundeten Astronomen Dr. Kelston, der Davids Bericht von dem UFO glaubt und die Armee alarmiert. Panzereinheiten umstellen den Hügel, und Truppen versuchen, ein Loch in die Sandfläche zu sprengen, um zum darunter liegenden UFO zu gelangen. Die Ereignisse spitzen sich zu, als auch David und Dr. Blake vom Erdboden verschluckt werden . . .
Ein bizarrer Kinder-Albtraum
Invasion vom Mars ist ein anspruchsloser Science-Fiction-Film, der in den frühen Fünfzigerjahren mit geringem Budget nach einem aberwitzigen Drehbuch entstand. Ein typischer Vertreter einer ärmlichen Zunft, ließe sich also oberflächlich urteilen – und in der Tat ist der Film schon oft verlacht worden, wobei seit Jahrzehnten wirklich keine Kritik darauf verzichtet hat, sich über die Reißverschlüsse der plüschigen Mutantenkostüme zu mokieren. Connaisseurs des älteren Science-Fiction-Kinos gilt der Film hingegen zu Recht als Genreklassiker. Ich würde zwar nicht soweit gehen wie der Filmkritiker und Science-Fiction-Liebhaber Glenn Erickson, der 1999 in seiner umfassenden und sehr lesenswerten Filmbesprechung The Ultimate Invaders from Mars auf seiner Webseite DVD Savant zu dem Schluss gelangte, dass der Film „große Kunst“ sei und es verdiene, im Louvre (!) ausgestellt zu werden. Doch der Film hat ungewöhnliche, surreale Bühnenbilder, und sein geschickt aufgebauter Horror war seinerzeit enorm wirkungsvoll – auf Kinder. Dass Invasion vom Mars in Farbe gedreht wurde – eine Seltenheit für einen frühen Low-Bugdet-Movie – kam dem Film zusätzlich zugute.
Die Qualitäten von Invasion vom Mars sind das Verdienst einer Hollywoodlegende: William Cameron Menzies (1896–1957). Menzies war von Haus aus Produktionsdesigner und seit den Zwanzigerjahren für die Bühnenbilder zahlreicher Filme wie beispielsweise dem Stummfilmklassiker Der Dieb von Bagdad (1924) zuständig gewesen. 1928 gewann er den ersten Oscar, der für Art Direction vergeben wurde. Auf dem Höhepunkt seiner Karriere erschuf er die optische Pracht des unsterblichen Klassikers Vom Winde verweht (1939). Unter Science-Fiction-Fans ist er vor allem für seinen eindrucksvollen Film Things to Come (1936) bekannt, H. G. Wells’ Antwort auf Fritz Langs Metropolis (1927), bei dem er das Produktionsdesign und die Regie übernahm. Invasion vom Mars, der laut IMDb geschätzte 290.000 Dollar kostete, war Menzies vorletzte Regiearbeit in einem Spielfilm – seine letzte war The Maze, ein etwas grotesker, heute weitge-hend vergessener, schwarzweißer Science-Fiction-cheapie, der im direkten Anschluss an Invasion vom Mars entstand.
1953 befand sich die berüchtigte McCarthy-Ära auf ihrem Höhepunkt – die Hexenjagd gegen vermeintliche Kommunisten und eine wahnhafte Angst vor kommunistischer Unterwanderung prägten in den USA das gesellschaftliche Klima. Die politische Paranoia bildete die ideologische Grundlage aller Invasionsfilme dieser Zeit. Charakteristisch ist auch das in Invasion vom Mars präsentierte, weiße Selbstbild der USA: Amerikas Gesellschaft ist in ihrem Kern edel und perfekt, und im aufrichtigen Vertrauen auf sich selbst – d. h. auf die eigene Armee – siegt sie gegen jeden Feind, auch wenn dieser technisch haushoch überlegen und mit UFOs vom Mars gekommen ist.
Die politisch-ideologische Ebene ist besonders dort offensichtlich, wo die Protagonisten über die Motive der marsianischen Invasion spekulieren. Offensichtlich wollen die Marsianer die Raumfahrtversuche der USA mit atomgetriebenen Raketen unterbinden, weil sie durch die künftige irdische Raumfahrt den eigenen Lebensraum – den Mars und riesige, im Sonnensystem umherfliegende Raumschiffe – militärisch bedroht sehen.
Die Motivation der Marsianer wird allerdings eher beiläufig mitgeteilt und ist selbstredend himmelschreiend absurd. Der Zuschauer ist mehr am Schicksal der Figuren und der Stimmung interessiert, die der Film erzeugt. Und da kann Invasion vom Mars auch heute noch punkten. Der Film setzt sein Thema vor allem in der ersten Hälfte, die ganz aus der Perspektive des kleinen David erzählt, sehr gekonnt um. Davids Angst und die schockierende, wahnhafte Veränderung von Davids heiler Welt ist spannend und eindringlich inszeniert. Tatsächlich wirkt der gesamte Film wie ein schrecklicher Kinder-Albtraum – und als genau das stellt er sich auch wirklich heraus, wie der Zuschauer am Ende der ursprünglichen US-Fassung erfährt: David erwacht verängstigt in seinem Bett und wird von seinen herbeieilenden Eltern getröstet.
Dass das erzählte Geschehen als Kinder-Albtraum zu denken ist, ist von grundlegender Bedeutung. Alle irrationalen Verkürzungen der Handlung und surrealen Zerrbilder der Wirklichkeit erscheinen so als Traumgebilde, die ihre Resonanz im tatsächlichen irrationalen Erleben und Träumen von Kindern fanden – zumindest in den Kindern der paranoiden frühen Fünfzigerjahre. Glenn Errickson schreibt darüber in seiner bereits erwähnten Filmbesprechung:
Invasion vom Mars hat den Ruf, Kinder höllisch zu erschrecken, weil er einer der seltenen Filme ist, die um adoleszente Ängste herum konstruiert wurden. Der Albtraum wird nicht allein aus dem Blickwinkel des kleinen David gezeigt, er ist auch auf seinen Erfahrungs- und Verstehensrahmen beschränkt. [ . . . ] Wenn die Bedrängnisse von 1953 die Erwachsenen paranoid machten, welchen Effekt hatten sie dann auf die Kinder?
[ . . . ] Alles in Davids Albtraum ist eine verzerrte Projektion seiner wachen Welt und darf nicht für bare Münze genommen werden. [ . . . ] Die Brillanz von Invasion vom Mars ist, dass alles Bizarre sehr feinsinnigen visuellen und thematischen Sinn macht. Es überzeugt kein erwachsenes Empfinden, weil ein Zehnjähriger, David selbst, »das Drehbuch schreibt« und »die Szenerie ausmalt«. Invasion vom Mars malt eine surreale Landschaft mit unsinnigem Dialog, unlogischem Plot und verrücktem Verhalten der Charaktere aus. Aber für einen noch leicht zu beeindruckenden Zehnjährigen des Jahres 1953 haben fliegende Untertassen und Aliens aus Comics dieselbe Glaubwürdigkeit wie die Schlagzeilen über Atombomben, Gehirnwäsche oder ausländische Ränkeschmiedereien. (The Ultimate Invaders from Mars, Teil 2)
Glenn Errickson analysiert eine Reihe von Szenen und Motiven überzeugend als traumartige Montagen der Realität – so zum Beispiel das bei genauerer Betrachtung absurde Bild, in dem Colonel Fielding, seine Soldaten und David sich auf dem Dachfirst (!) von Davids Haus befinden, um den Landeplatz des UFOs zu beobachten. Andere von Errickson behauptete Sinnbezüge sind hingegen diskussionswürdig – so zum Beispiel das angebliche unbewusste erotische Interesse des zehnjährigen David an seiner Retterin und Ersatzmutter Pat Blake oder gar an seiner kleinen Nachbarin Kathy Wilson bis hin zur angeblichen sexuellen Symbolik, wenn die außerirdische Implantationsnadel den Nacken von Pat Blake zu durchbohren droht. Hier gehen Errickson dann doch die Freudschen Pferde durch . . .
In einem Traum ist prinzipiell alles möglich und erlaubt, und so sind mit einem Schlag sämtliche aberwitzigen oder unlogischen Begebenheiten des Plots – und damit auch der Drehbuchautor – entschuldigt. Wirklich? Ironischerweise hatte Drehbuchautor John Tucker Battle sein Skript ursprünglich nicht als Traumgeschichte angelegt und war über die Änderung der Story in diesem Punkt so erbost gewesen, dass er nicht in den Credits genannt werden wollte. Zumindest er wollte die Geschichte dem Publikum als (fiktive) Realität erzählen. Bill Warren erklärt dazu:
Wäre der Film in erster Linie als Realität statt als Traum gedreht worden, wären die wunderbaren Designs von Menzies wahrscheinlich nicht verwendet worden, und der so entstandene Film hätte nicht die unheimliche und verstörende Kraft, die er jetzt hat. (Keep Watching the Skies!, S. 413)
Vielleicht – vielleicht aber auch nicht. Mir scheint, dass dem Traumende des Films von Errickson und Warren zuviel Gewicht beigemessen wird. Meines Erachtens war der Erzählung ihre Albtraumhaftigkeit auf subtile, unbewusste Weise von vornherein eingeschrieben. Bill Warren verweist selbst darauf, wie wenig das Drehbuch nach seiner Erstfassung von John Tucker Battle verändert wurde. Menzies scheint sich die albtraumhafte Qualität des Drehbuchs wie von selbst aufgedrängt zu haben, sodass vielleicht von daher die Idee entstand, dem Film ein Traumende zu geben. Er hätte den Film womöglich auch ohne Traumende in genau derselben Art und Weise inszeniert. Ich selbst habe Invasion vom Mars zum ersten Mal in der europäischen Schnittfassung gesehen, in der das Traumende eliminiert ist, und kann aus dieser Erfahrung heraus, zumindest für mich, feststellen, dass es für die Durchschlagskraft des kindlichen Albtraums zweitrangig ist, ob die Schreckvision am Ende rationalisiert wird oder nicht – solange man sich nur auf die kindliche Weltsicht einlässt. Letzten Endes sind gewissermaßen alle juvenilen Science-Fiction-Filme, zumal wenn sie von Kindern gesehen werden, visualisierte Traumgebilde. Die verstörende Kraft, die Invasion vom Mars dabei auszeichnet, verdankt der Film in erster Linie William Cameron Menzies und seinem brillanten Design – nicht seinem Ende.
Von Beginn an präsentiert der Film eine vom Kind erlebte und interpretierte Welt, die zunehmend ins Schwanken gerät, in das sich mehr und mehr Unbehagen mischt. Es ist das vermeintlich naive Kind, das das UFO sieht – und natürlich wollen die Erwachsenen ihm nicht glauben und tun Davids alertes Gerede als Kinderfantasie ab. Eine selbstironische Spitze leistet sich das Drehbuch, als Davids Mutter kühl bemerkt, die Phantastereien ihres Sohnes kämen vom Lesen von Comicheften (in der deutschen Synchronfassung wurden aus ihnen Science-Fiction-Romane) – das sei schädlich für die Kinderseele. Unter der Prämisse, dass der Film Davids Albtraum erzählt, sind nämlich Comichefte tatsächlich die Quelle der geträumten Geschehnisse . . .
Der Hügel mit dem Zaun wirkt wie ein Friedhof, umheimlich, unwirklich und bedrohlich, und alle, die ihn betreten, werden buchstäblich von der Erde verschlungen. Als sich immer mehr Leute in der Umgebung des Kindes als feindlich kontrolliert herausstellen, steigert der Film unnachgiebig seine Paranoia, und Davids Verzweiflung wird hier gut spürbar. Der Horror wird mit sehr effektvoller Musik untermalt, die immer dann schaurige Choräle erklingen lässt, wenn wieder einmal jemand von den Marsianern „geschluckt“ wird. Glenn Erickson hat das unwirkliche Studioset vom Hügel hinter Davids Haus trefflich erläutert:
Es ist ein wirklich bemerkenswertes Design, aus einer Reihe von Gründen. [ . . . ] Der Hügel ist von trügerischer Künstlichkeit. Auf den ersten Blick erinnert er an die Brücke aus Robert Wienes Das Cabinet des Dr. Caligari (1919), die Brücke, über die Cesare, der Schlafwandler, sein weibliches Opfer kidnappt. Der Hügel aus Invasion vom Mars erscheint von ähnlich perspektivisch flachem, Diorama-ähnlichem Design. In statischen Szenen erscheint er wie eine gemalte Kulisse. Aber wenn ein Schauspieler den Weg hinaufgeht, geht jeder Sinn für Perspektive plötzlich drunter und drüber. Der Hügel ist wie eine zweidimensionale Malerei, aber dreidimensionale Menschen trotzen der visuellen Logik und werden kleiner, wenn sie »hinein« gehen. [ . . . ] George MacLean scheint kleiner zu werden als er sollte, wenn er die Kuppe des Hügels erreicht, und er braucht eine Menge Schritte, um dorthin zu gelangen. Aber die Bäume im hinteren Teil des Sets geben nicht die korrekten perspektivischen Hinweise, sodass es fast so aussieht, als würde George MacLean schrumpfen, während er geht. Es ist ein subtiler Effekt, der noch besser auf der großen Leinwand erkennbar wird. (The Ultimate Invaders from Mars, Teil 1)
Davids liebevolle Eltern mutieren zum Albtraum hartherziger Gewalten, die das machtlose Kind barsch herumkommandieren. Als David auf der Polizeiwache vergeblich Hilfe sucht, gewinnen die surrealen Bilder klare Freudsche Symbolik: David muss durch einen weißen, leeren Korridor auf einen mächtigen Schreibtisch zulaufen, hinter dem ein Uniformierter thront. Die klaustrophobe Szenerie ist auf die wichtigsten Elemente reduziert. Der kleine Junge tritt vor die Macht – und liefert sich ihr aus. Die heile Welt Davids fällt vollends in Scherben. Allerdings wird die Bildersprache bald entschärft, denn die Macht ist im Grunde gut, nur eben feindselig unterwandert, und ein noch nicht „umgepolter“ Polizist gewährt David schließlich die rettende Hilfe.
Davids Retterin Dr. Pat Blake (Helena Carter) sucht mit dem Jungen den Astronomen Professor Kelston auf. Kelston (gespielt von Arthur Franz, bekannt auch als Hauptdarsteller in Flight to Mars) ist ein gutaussehender, tatkräftiger Wissenschaftler, der kurzentschlossen die Armee gegen die Marsianer alarmiert. Im Fünfzigerjahre-Kino taugten Wissenschaftler noch zu aufrechten Helden! Kelston hält einen hanebüchenen Vortrag über UFOs, Außerirdische und den Mars, ein wirrer Mischmasch aus damals kursierenden UFO-Berichten und astronomischen Halbwahrheiten, der auch in einem Low-Budget-Movie anno 1953 eine bessere Recherche verdient gehabt hätte. So wird z. B. behauptet, dass der nächstgelegene Stern schlappe 50 Millionen Meilen von der Erde entfernt sei und dass auf dem Saturn (der einmal Planet, einmal Stern genannt wird) ein Raumschiff zwischenlanden könne (was wegen des Fehlens einer festen Oberfläche schwierig werden dürfte).
Fantastische Erkenntnisse der Astronomie . . .
Interessant ist, was Kelston über den Mars erzählt. Er sagt, dass es auf dem Mars bis zu 10 Grad Celsius warm wird, und behauptet, es gäbe auf dem Mars Wasser, Pflanzen und Bäume. Damals war das gar nicht zu weit entfernt von den tatsächlichen Spekulationen der Wissenschaft über den Mars. Noch in den Fünfzigern gab es Astronomen, die auf dem Mars milde Temperaturen und pflanzliches und tierisches Leben für möglich hielten. Heute wissen wir, dass es an Sommertagen am Marsäquator zwar über 25 Grad warm werden kann. Dafür fallen die Temperaturen nachts bis auf minus 70 Grad (an den Polkappen wird es noch kälter); zumeist liegen überall auf dem Planeten die Temperaturen weit unter 0 Grad. Gemäßigte, durchgängig mild temperierte Regionen gibt es keine auf dem Mars, und die Suche nach Leben, selbst nach winzigsten Mikroben, blieb bislang erfolglos.
Das grobe Durcheinander in Kelstons Vortrag frappiert und ist ein echtes Ärgernis (Traum hin oder her), denn als Pat bemerkt, dass die Marsoberfläche auf den astronomischen Aufnahmen doch so kahl und leer wirke, antwortet Kelston, dass der Mars höchstwahrscheinlich eine sterbende Welt sei, die früher einmal ein blühender Garten Eden gewesen, jetzt jedoch verödet sei (aha – und wo sind nun plötzlich die zuvor behaupteten Bäume und Pflanzen hin?). Deshalb hätten die Marsianer wahrscheinlich ihre Städte unter die Marsoberfläche verlegt, eine Mutantenrasse gezüchtet, die ihr Überleben sichert, und riesige Raumschiffe gebaut, mit der sie ihre Rasse ins All auslagern würden.
Mal abgesehen von der Frage, woher Kelston all das weiß, fragt sich der Zuschauer schon, ob denn keinem der Drehbuchautoren die schreienden Widersprüche in Kelstons Bild vom Mars aufgefallen sind. Man hielt den Kinogänger damals offenbar für nicht besonders helle. Der Mars als sehr alte, verödende, „sterbende Welt“ mit unterirdischen Marsianerstädten ist immerhin ein überaus gängiges Mars-Klischee in der Science-Fiction gewesen, das weit in die Anfänge der modernen Science-Fiction-Literatur im 19. Jahrhundert zurückreicht (vgl. dazu das Buch von Helga Abret/ Lucian Boia, Das Jahrhundert der Marsianer, sowie Rainer Eisfeld/Wolfgang Jeschke, Marsfieber). Als sterbende Welt wurde der Mars auch schon ganz ähnlich in den Filmen Rakete Mond startet (1950) und in Flight to Mars (1951) präsentiert.
Die Armee schreitet ein
In der zweiten Hälfte wird der Film zähflüssiger. Die Armee greift ein. Ihr Anführer Colonel Fielding wird von Genrestar Morris Ankrum gespielt, der schon in Rakete Mond startet (1950) als Chef des Raketenflugprojektes brillierte, in Flight to Mars (1951) selbst einen Marsianer mimte und auch in Fliegende Untertassen greifen an (1956) den markigen Militär gab. Immer und immer wieder werden Archivaufnahmen von Panzerverbänden gezeigt, die auf Züge verladen werden und im Gelände in Stellung fahren. Es dauert lange, bis endlich die Handlung in das unterirdische Tunnelsystem und auf das Raumschiff der Marsianer verlegt wird.
Das überzeugende Setdesign des Raumschiffs ist ähnlich minimalistisch wie die Polizeistation. Es dominiert grünliches Plexiglas, man sieht keinerlei Instrumente, eine unheimliche Leere beherrscht das Bild. Die Mutanten-Marsianer wirken in ihren grünen Plüsch-Overalls und aufgeklebten Glupschaugen heutzutage zwar nicht besonders bedrohlich, sondern eher lächerlich (der Hühne unter ihnen wurde von Lock Martin gespielt, dem „Gort“-Roboter aus Der Tag, an dem die Erde stillstand). Der „Spezialeffekt“ für die marsianische Strahlenwaffe („umgeformte Infrarotstrahlungen“) beschränkt sich auf eine Kanone mit einer roten Lampe, die ein- und ausgeschaltet wird (immerhin mit hübschen Soundeffekten untermalt). Effektvoll umgesetzt ist dagegen die marsianische Intelligenz selbst: ein grüner, kalt blickender Kopf mit zuckenden Tentakeln in einer Plexiglaskugel, der die Mutanten allein mit Gedankenkraft steuert. Die Idee zu diesem Wesen ist fast eins zu eins aus dem Roman Krieg der Welten von H. G. Wells entnommen: Auch bei Wells sind die Marsianer reine Gehirn- bzw. Kopfwesen mit Tentakeln, deren restlicher Körper verkümmert ist, und auch sie verständigen sich telepathisch.
Mit dem (mäßig getricksten) UFO, das am Himmel explodiert, endet der Film ziemlich abrupt – in der Schnittversion für den europäischen Markt. Der originale US-Cut hat, wie erwähnt, das effektvollere Traumende: David rennt vor den Marsianern davon, wobei noch einmal die albtraumhaften Szenen des Geschehenen über sein entsetztes Gesicht geblendet werden. Schließlich erwacht er in seinem Bett, und seine Eltern überzeugen ihn, dass alles nur ein böser Traum war. Kurz darauf blickt David aus dem Fenster – und sieht erneut dasselbe UFO auf dem Hügel vor dem Haus landen.
Der Zuschauer von heute, längst von härterer Filmkost „abgestumpft“, reibt sich die Augen: Dieser Film war einmal als Science-Fiction-Horrorstreifen gemeint gewesen! Allerdings: Auf die Fantasie der Kinder hatte der Film in den Fünfzigerjahren einen enormen Eindruck gemacht. Beispielsweise bekannte z. B. Steven Spielberg (geb. 1946) in der Dokumentation „Watch the Skies!“ (zu finden auf der Special-Edition-DVD von Alarm im Weltall), dass ihm dieser Film neben Kampf der Welten als Dreikäsehoch das Grauen gelehrt und einige schlimme Albträume beschert hatte. Meines Erachtens lässt sich das, sofern man sich auf die kindliche Perspektive des Films einlässt, auch heute noch nachvollziehen. Drei andere Filmschaffende, die als Kinder von dem Film beeindruckt gewesen waren, setzten 1986 mit Invasion vom Mars ein großzügig budgetiertes Remake ins Werk: Regisseur Tobe Hooper (geb. 1943), Drehbuchautor Dan O’Bannon (1946–2009) und Produzent Wade Williams (geb. 1942). Auch wenn ihr Remake eine Reihe geglückter Elemente hat, nicht mit Verweisen auf das Original spart und auch recht kurzweilig ist, wirkt es doch etwas steif und bleibt insgesamt eine Enttäuschung.
Invasion vom Mars ist ein eindrucksvoller und spannender Science-Fiction-Klassiker. Er hat zwar wie die meisten Genrefilme seiner Zeit seine Längen, hat tricktechnisch auch nicht allzuviel zu bieten und hat einige unfreiwillig komische Momente. Überdies hat er wie fast alle Invasionsfilme der Fünfzigerjahre einen aberwitzigen Plot. Die Motivation der Marsianer ist absurd, und ihr Handeln ist dilettantisch und unlogisch. Die logischen Schwächen lassen sich meines Erachtens auch nur bedingt damit entschuldigen, dass ja alles Geschehen nur geträumt sei. Dennoch ist die erzählte Story interessant. Vor allem aber glänzt der Film mit einer suggestiven Bildersprache und Dramaturgie, die in gewissen Grenzen auch heute noch ihre Wirkung entfaltet. Und das ist bei einem Science-Fiction-Film immer sehr willkommen.
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Invaders from Mars (USA 1953). Regie/Produktionsdesign: William Cameron Menzies. Produzent: Edward L. Alperson. Production Company: Edward L. Alperson Productions, im Vertrieb der 20th Century Fox Film Corporation. Story/Buch: John Tucker Battle, William Cameron Menzies, Richard Blake. Kamera: John F. Seitz. Schnitt: Arthur Roberts. Musik: Raoul Kraushaar; Mort Glickman (ungenannt). Art Direction: Boris Leven. Set Construction: Ralph Oberg. Set Decoration: Edward G. Boyle. Spezialeffekte: Jack Cosgrove (photographische Effekte); Irving Block, Jack Rabin (optische Effekte/mattes); Howard Lydecker (Miniaturen, mechanische Effekte).
Darsteller: Jimmy Hunt (David MacLean), Helena Carter (Dr. Pat Blake), Arthur Franz (Prof. Stuart Kelston), Leif Erickson (George MacLean), Hillary Brooke (Mary MacLean), Morris Ankrum (Col. Fielding), Max Wagner (Sgt. Rinaldi), Milburn Stone (Capt. Roth), Janine Perreau (Kathy Wilson), Lock Martin (Mutant), Max Palmer (Mutant), Luce Potter (marsianische Intelligenz) u. a.
Laufzeit: 78 Min./82 Min.; Farbe. Premiere: 9. April 1953 (USA); 28. November 1958 (Deutschland)
© Michael Haul; veröffentlicht auf Astron Alpha am 30. Oktober 2016
Szenenfotos © 20th Century Fox