Yosei Gorasu (Japan 1962)
Regie: Ishiro Honda
Drehbuch: Takeshi Kimura, Jojiro Okami
Kamera: Hajime Koizumi. Musik: Kan Ishii
Darsteller: Ryo Ikebe (Dr. Tazawa, Astrophysiker), Jun Tazaki (Raizo Sonoda, Kapitän der XJ-1 und Vater von Tomoko), Yumi Shirakawa (Tomoko Sonoda, Raizo Sonodas Tochter), Akira Kubo (Kanai Tatsuma, Raumfahrer und Tomokos Freund), Takashi Shimura (Prof. Kensuke Sonoda, Großvater von Tomoko), Haruo Nakajima (Maguma-Monster) u. a.
Produzent: Tomoyuki Tanaka
Company: Toho Company
Laufzeit: 85 Minuten; Farbe
Originaler deutscher Verleihtitel: UFOs zerstören die Erde
Premiere: 21. März 1962 (Japan); 15. Mai 1964 (USA); 10. Juli 1975 (Deutschland)
Astronomen entdecken Anfang der Achtzigerjahre des 20. Jahrhunderts am Rande des Sonnensystems eine rotglühende Sonne, die nur ein Viertel des Erddurchmessers, aber das Sechstausendfache der Erdmasse besitzt. Da der Himmelskörper, der auf den Namen Gorath getauft wird, direkt auf die Erde zurast, erhält das japanische Raumschiff XJ-1, das eigentlich das Saturnsystem erforschen sollte, den Auftrag, Gorath entgegenzufliegen und genauere Messdaten zu gewinnen. Die Mission endet in einem Desaster: Das Raumschiff gerät in Goraths starkes Schwerefeld, wird unaufhaltsam angezogen und verglüht über Goraths wabernder Oberfläche.
Die Messdaten, die die XJ-1 zuvor noch zur Erde funken konnte, bestätigen, dass Gorath sich auf direktem Kollisionskurs mit der Erde befindet. Der japanische Wissenschaftler Dr. Tazawa hat den rettenden Einfall, die Erde mittels atomgetriebener gigantischer Schubdüsen, die auf einem Arreal von 600 km² am Südpol gebaut werden müssten, aus ihrer Umlaufbahn hinauszuschieben und so Gorath auszuweichen. Nach Beratungen in der UNO wird der Plan angenommen und Tazawa mit den Bauarbeiten in der Antarktis betraut. Gleichzeitig schickt Japan mit der XJ-2 eine weitere Expedition nach Gorath, um weitere Messungen vorzunehmen. Als das Antarktis-Projekt – trotz zeitweiliger Störung durch ein radioaktives Riesenwalross, das jedoch mit einer Laserwaffe getötet werden kann – vollendet wird und die Schubdüsen gezündet werden, ist der Stern bereits soweit herangekommen, dass er den Erdenmond verschlingt und als glutrote Scheibe drohend am Himmel steht. Das Ausweichmanöver scheint zu klappen, doch löst Goraths Vorbeiflug gigantische Tsunamis aus, die weltweite Zerstörungen anrichten . . .
Ishiro Honda in Top-Form!
Godzilla-Regisseur Ishiro Honda (1911–1993) und die Toho-Studios ziehen in diesem Streifen alle Register: Gorath begeistert als lebendig inszeniertes und auf Hochglanz geschliffenes, actiongeladenes Science-Fiction-Abenteuer, das für seine Zeit ziemlich cool wirkt und auch heute noch eine Menge Spaß macht. Handwerklich entspricht der Film mit seinen höchst aufwendigen Modellbauten und Tricks dem damaligen state of the art, und wie lebensfroh und übermütig er die feiernden, singenden und frei ihren Liebesdingen nachstrebenden jungen Leute darstellt, ist beinahe revolutionär zu nennen und dürfte dem damaligen jungen japanischen Publikum, sonst eher streng autoritär erzogen, gut gefallen haben. Schwung und Glaubwürdigkeit gewinnt der Film überdies durch tadellos spielende, symphatische Darsteller: Zu ihnen zählen der adrette Ryo Ikebe als tatkräftiger, geradliniger Wissenschaftler, der knorrige Jun Tazaki als heroischer Raumschiffkapitän, die bildschöne Yumi Shirakawa als Freundin des feschen Raumfahrers Kanai und zuguterletzt der japanische Charakterdarsteller und Godzilla-Veteran Takashi Shimura (1905–1982) als weiser, ratgebender Professor Kensuke Sonoda.
Nach Chikyu Boeigun (Weltraumbestien, 1957) und Uchu daisenso (Krieg im Weltenraum, 1959) war Yosei Gorasu der dritte und letzte Weltraumfilm, den Ishiro Honda im „Golden Age“ der Toho-Studios drehte. Dass der Streifen trotz seiner superben Qualitäten lange Zeit im Westen eine ziemlich miese Reputation erdulden musste, ist wohl nur seiner herablassenden Vermarktung in Amerika und Europa zu verdanken, die ihn als minderwertiges B-Filmchen verramschte. Insbesondere die erst 1975 entstandene deutsche Synchronisation und Verleihwerbung, die von der gekürzten englischsprachigen Fassung abgeleitet ist, hat den Inhalt des Films bis zur Unkenntlichkeit verstümmelt, verzerrt und verschlimmbessert. Man verpasste dem Film den Gaga-Titel UFOs zerstören die Erde und rotzte eine unerträglich unlogische und dümmliche Synchronisation hin, angereichert mit bescheuertem science babble, der jeder Beschreibung spottet. Selbst der Name des Regisseurs wurde im Vorspann zu „G. Welles“ amerikanisiert – derart ruppig war man nicht einmal in Amerika mit dem Film umgegangen. So erklärt sich, dass beispielsweise Ronald M. Hahn und Volker Jansen in ihrem Lexikon des Science Fiction Films den Film – in gewohnter Herablassung, ist man geneigt hinzuzufügen – als „zweitklassiges Farbspektakel voller Ungereimtheiten und Pappdeckelkulissen“ abtun konnten (7. Aufl., S. 933). Erst im Januar 2013 ist der Film in seiner ungekürzten japanischen Originalfassung mit deutschen Untertiteln auf DVD erschienen, und es ist jedem, der den Film sehen will, dringend zu raten, sich diese Originalfassung anzusehen – erst hier ergibt die Handlung einen logischen Sinn.
Was genau Gorath allerdings ist, bleibt dennoch vage, zumindest für jene, die nicht des Japanischen mächtig sind. Dass Gorath kein „UFO“ ist, wie die deutsche Fassung behauptet, dürfte klar sein. Die deutschen Untertitel der japanischen Fassung nennen den Himmelskörper durchgängig „Planet“, während die englische Fassung von einem „Meteoriten“ und die englisch untertitelte Ausgabe der japanischen Fassung von einem „Stern“ sprechen. Tatsächlich sieht Gorath wie eine rotglühende Sonne aus, und ein Stern, ein „roter Zwerg“, würde auch in Hinblick auf Goraths physikalischen Eckdaten – nur ein Viertel des Erddurchmessers groß, aber 6000 Erdmassen schwer – am meisten Sinn ergeben.
Obwohl der Film drei Subgenres miteinander vermengt – die Space Opera, den Monsterfilm und den Weltuntergangsfilm –, wirkt er dennoch nahezu wie aus einem Guss. Das Drehbuch von Takeshi Kimura (1912–1988) und Jojiro Okami (1918–2003) ist straff und logisch gut durchdacht, alle Handlungsfäden sind gut miteinander verflochten und es gibt auch kaum lose Enden. Damit macht der Film inhaltlich eine wesentlich bessere Figur als das holprige Durcheinander, das Koji Shima (1901–1986) und die Daiei-Studios dem Zuschauer in Warning from Space (1956) auftischten, einem Film, der ganz ähnliche Zutaten verwendete – schon dort rast ein rotglühender „Planet“ auf die Erde zu –, sie aber leider zu einem völlig unlogischen Mischmasch verrührte (Warning from Space dürfte übrigens Gorath stärker beeinflusst haben als George Pals When Worlds Collide, mit dem Gorath sonst oft in Verbindung gebracht wird). Die melodramatischen Garnierungen in Gorath sind wohlplatziert und wirkungsvoll: Die Besatzung der XJ-1 sieht mit trotzigem „Banzai!“-Gebrüll und versteinerten Mienen mannhaft ihrem Untergang auf Gorath entgegen, ehrenvollen Kamikaze-Kriegern gleich; Kanai wirbt vergeblich um seine angebetete Tomoko, die noch um ihren auf der XJ-1 gestorbenen Verlobten trauert, und bricht verbittert mit der XJ-2 ins All auf. Das engagierte Spiel der Darsteller, die stets mit Ernst bei der Sache sind, sorgt dafür, dass die menschlichen Dimensionen des Dramas – selbstlose Aufopferung, Trauer, Liebe und verzweifelter, gemeinsamer Kampf – wirklich berühren. Auch der bombastische, orchestrale Score von Kan Ishii (1921–2009) gefällt und unterstreicht die Größe dieses Science-Fiction-Dramas, in das gewiss ein überdurchschnittliches Budget investiert worden sein dürfte.
Lediglich das antarktische Monster in Gorath wirkt überflüssig und war ursprünglich auch nicht vorgesehen; Produzent Tomoyuki Tanaka (1910–1997) bestand gegen Hondas Willen darauf, es einzufügen, um ein eindrucksvolles Kaiju auf den Filmplakaten zu haben. Immerhin sei zugegeben, dass ein radioaktives gigantisches Walross, entstanden aus den atomaren Aktivitäten der Menschen am Südpol, eine recht originelle Idee ist (unter Kaiju-Fans firmiert dieses Monster unter dem Namen „Maguma“; ob dieser Name auch im Film selbst fällt, vermag ich nicht zu sagen). Schwach motiviert ist auch der Flug der XJ-2, der für die Abwendung der Katastrophe nichts erbringt und dem jungen Raumfahrer Kanai, als er sich mit einem Beiboot der XJ-2 gefährlich nah an Gorath heranwagt, einen mysteriösen Gedächtnisverlust beschert, der am Ende des Films dann ganz von selbst wieder verschwindet – ein blasser Abglanz der gängigen SF-Trope vom Raumfahrer, der nach dem Rendezvous mit dem Ganz Anderen seltsam verändert zurückkehrt. Von diesen Schnörkeln abgesehen macht das Drehbuch jedoch einen erfreulich aufgeräumten Eindruck.
Die sicherlich originellste Idee ist, dass hier die Erde selbst mittels riesiger Atomraketen aus dem Kollisionskurs mit Gorath hinausgeschoben wird – und nicht, wie in thematisch vergleichbaren Filmen wie Warning from Space oder Armageddon (1998) sonst üblich, die Menschen versuchen, den herannahenden Himmelskörper zu verschieben oder zu zerstören. Freilich ist die Idee (möglicherweise inspiriert von dem nur ein Jahr früher erschienenen Film Der Tag, an dem die Erde Feuer fing von Val Guest, wo die Erdachse durch gezielte Atombombenzündungen verschoben wird) bei Tageslicht betrachtet völlig aberwitzig und überdies eine technokratische Monstrosität, bei der die Wissenschaftler keinen einzigen Gedanken an die verheerenden klimatischen Auswirkungen auf die Erde verschwenden. Doch Anfang der Sechzigerjahre wurde der Glaube an den Fortschritt und die Allmacht der Wissenschaft noch nicht hinterfragt, wofür Gorath ein beredtes Zeugnis ablegt.
Um die Verschiebung der Erde im Sonnensystem zu erreichen, bauen die Nationen der Welt mit vereinten Kräften in kürzester Zeit am Südpol Hunderte von gigantischen, von Atomkraft gespeisten Raketenschubdüsen. Die gewaltigen Bauarbeiten mit emsig arbeitenden Planierraupen, Kränen, Hubschraubern und Stahlgerüstkonstruktionen, die bis zum eisgrauen Horizont reichen, haben Eiji Tsuburaya (1901–1970) und sein Team mit beeindruckenden Modellbauten inszeniert. Gewiss sind sie als Modelle erkennbar und mögen an die späteren, ähnlich aufwendigen Modellbauten in Gerry-Anderson-Filmen und -Serien erinnern, doch sind sie sehr gut gelungen und überzeugend inszeniert. Außerorentlich gut sind auch die Tricks für die Szenen im Weltraum, mit Raketenschiffen, verschiedenen Raumstationen und Planeten und natürlich Gorath selbst, einem drohenden, rotglühenden, wabernden Ball. Die Raketenschiffe der Japaner setzen Bremsraketen ein, vollziehen Wendemanöver und versuchen unter vollem Schub der Gravitation Goraths zu entkommen – alles unter Berücksichtigung der Massenträgheit im All. Beeindruckend sind zuguterletzt auch die von Gorath verursachten mächtigen Springfluten inszeniert, die über ein Modellbau-Tokio hinwegbrausen und es völlig zerstören.
Selbstredend geschieht die Rettung der Erde, wie in japanischen Genrefilmen üblich, unter der Führung Japans, da sich seine Wissenschaftler Tazawa und Kensuke Sonoda zuvor schulterklopfend selbst bestätigt haben, ihren Fachgenossen im Ausland weit voraus zu sein. „Die Amerikaner sind noch lange nicht so weit“, stellen sie fest, was übrigens auch für die Raumfahrt gilt, weshalb auch die Erkundungsflüge nach Gorath von Japan durchgeführt werden. Bei den Beratungen des Wissenschaftsrates der UNO sind zwar auch andere Wissenschaftler beteiligt – unter anderem ein Deutscher, der mit schwerem deutschen Akzent Englisch spricht. Doch Japans Führungsrolle bleibt unangetastet. Immerhin schließt der Film mit dem hehren Aufruf, dass die Menschheit auch in Zukunft vereint für gemeinsame Ziele kämpfen solle. Eine kosmopolitische Botschaft – und ein würdiger Schluss für einen der besten Weltraum- und Katastrophenfilme, die in Japan oder anderswo in den Sechzigerjahren gedreht wurden.
© Michael Haul
Veröffentlicht auf Astron Alpha am 28. Mai 2017