Logan’s Run (USA 1976)
Regie: Michael Anderson
Drehbuch: David Zelag Goodman, nach dem Roman Logan’s Run (1967) von William F. Nolan und George Clayton Johnson
Darsteller: Michael York (Logan 5), Jenny Agutter (Jessica 6), Richard Jordan (Francis 7), Roscoe Lee Browne (Box), Farah Fawcett (Holly), Peter Ustinov (alter Mann), Michael Anderson Jr. (Doc), Lara Lindsay (Läuferin) u. a.
Produzenten: Saul David und Hugh Benson (Associate Producer)
Company: Metro-Goldwyn-Meyer (MGM)
Premiere: 23. Juni 1976 (USA); 4. März 1977 (Deutschland)
Laufzeit: 119 Minuten; Farbe
Nachdem die Zivilisation infolge von Umweltzerstörung, Überbevölkerung und Krieg untergegangen ist, lebt der Rest der Menschheit im 23. Jahrhundert in einer futuristischen Großstadt, die unter mehreren gigantischen Kuppeln von der Außenwelt völlig abgeschottet ist. Die schöne neue Welt ist eine hochtechnisierte, sorglose Freizeitgesellschaft: Die Menschen sind jung, müssen nicht arbeiten und genießen ihr heiteres Nichtstun. Ehe und Familie sind unbekannt, die freie, unverbindliche Liebe selbstverständlich. Niemand kennt seine Eltern, da alle Menschen in künstlichen Brutstationen gezüchtet werden. Kontrolliert wird die Stadt von einem Supercomputer.
Das lässige Leben in der Zukunft hat nur einen einzigen, unschönen Haken: Um die Einwohnerzahl konstant zu halten, darf kein Mensch älter als dreißig Jahre alt werden. Am dreißigsten Geburtstag eines Menschen beginnt seine „Lebensuhr“, ein in der Handfläche eingelassener Kristall, rot zu blinken, und er muss in das „Karussell“ eintreten, einer Arena, in der in einem Ritual unter großem Jubel des Publikums die Dreißigjährigen zur Decke der Arena emporschweben und „erneuert“ werden. Tatsächlich werden sie in Flammenstrahlen liquidiert. Nicht alle glauben vorbehaltlos, wirklich „erneuert“ – wiedergeboren – zu werden. Immer wieder versuchen einige Skeptiker, sich ihrer „Erneuerung“ zu entziehen und unterzutauchen. Diese sogenannten „Läufer“ aufzuspüren und zu töten ist die Aufgabe einer besonderen Polizeitruppe, der „Sandmänner“.
Logan 5 ist einer von ihnen. Logan 5 erfüllt seine Aufgaben tadellos – bis der Computer ihn eines Tages beauftragt, das „Sanktuarium“ zu suchen und zu vernichten, ein geheimnisvoller Zufluchtsort außerhalb der Kuppelstadt, von dem die Läufer gerüchteweise berichtet haben. Damit sich Logan 5 unerkannt unter die Läufer mischen kann, stellt der Computer Logans Lebensuhr um vier Jahre vor: Der Kristall in der Handfläche beginnt rot zu blinken. Logan gerät in Panik.
Er macht Bekanntschaft mit Jessica 6, die Kontakt zum Untergrund der Läufer hat, und kann sie davon überzeugen, dass er nicht an der Erfüllung seines Auftrages interessiert ist und selbst zum Läufer werden will. Nach mehreren Widrigkeiten und Verfolgungen weisen die im Untergrund lebenden Läufer Logan und Jessica einen Fluchtweg, der aus der Stadt hinausführen soll. Am Ende des Weges gelangen Logan und Jessica jedoch in eine riesige Eishöhle, die von dem arroganten Roboter „Box“ kontrolliert wird. Box hat bisher jeden, der es bis zu ihm geschafft hat, tiefgefroren und eingelagert, doch im Gegensatz zu allen früheren Läufern besitzt Logan 5 eine Handfeuerwaffe und kann Box vernichten.
Logan und Jessica gelingt es, aus der Eishöhle ins Freie zu gelangen. Zum ersten Mal in ihrem Leben sehen sie voller Staunen die freie Natur und einen Sonnenuntergang – und haben keine Begriffe dafür. Mühsam schlagen sie sich durch die menschenleere Wildnis, verspüren erstmals in ihrem Leben Verantwortung für einen Gefährten – und verlieben sich ineinander. Sie entdecken die völlig überwucherten Ruinen Washingtons und treffen im Capitol auf einen kauzigen, uralten Mann, einen der letzten Menschen, die nach der Katastrophe außerhalb der Kuppelstadt überlebt haben. Als plötzlich Logans Kollege Francis 7 auftaucht, der sich hartnäckig an Logans und Jessicas Fersen geheftet hatte, um beide zu eliminieren, liefert sich Logan einen Kampf mit Francis und erschlägt ihn mit einer US-Fahne. Logan ist von Francis’ Fanatismus erschüttert und fasst den Entschluss, mit Jessica und dem alten Mann zur Kuppelstadt zurückzukehren, um die unmenschliche Computerherrschaft der Stadt zu stürzen.
Nach ihrer Rückkehr werden Logan und Jessica von Sandmännern festgenommen, und Logan muss sich einer Befragung durch den Supercomputer unterziehen. Logan leistet mentalen Widerstand, und der Computer wird mit „nicht programmierten“ Antworten aus Logans Gehirn „überlastet“ – er wird von Fehlfunktionen gestört und geht schließlich nach einigen Salven aus Logans Waffe in Rauch auf. Die Kuppelstadt geht in Explosionen und Flammen unter. Die Menschen strömen hinaus in die Außenwelt und bleiben vor dem alten Mann stehen, der wie ein Wesen von einem anderen Stern bestaunt wird. Sie erkennen, dass es tatsächlich möglich ist, alt zu werden und ein Leben in Freiheit zu leben. Eine neue Zeit beginnt.
„Eine große, dumme Extravaganz“ – Dystopia als Popcorn-Kino
Flucht ins 23. Jahrhundert ist ein visuell ansprechender, sehr unterhaltsamer Science-Fiction-Film, der auch heute noch großen Spaß macht. Der Film war mit neun Millionen Dollar Produktionskosten das bis dahin zweitteuerste Science-Fiction-Spektakel aller Zeiten (nach Stanley Kubricks 2001: Odyssee im Weltraum, 1968), eine pompöse Schau riesiger, extravaganter Sets und zahlloser Spezialeffekte. Die Abenteuerhandlung hat Schwung und bleibt über die gesamten zwei Stunden spannend, wenngleich zuzugeben ist, dass sie altbekannten Science-Fiction-Strickmustern folgt und an zahlreichen logischen Schwächen krankt. Dem Vergnügen schadet das jedoch kaum. An der Kinokasse war der Film ein Bombenerfolg und spielte etwa das Dreifache seiner Kosten wieder ein.
In der Geschichtsschreibung des Science-Fiction-Films spielt Flucht ins 23. Jahrhundert hingegen eine unglückliche Rolle. Nur ein Jahr später kam Krieg der Sterne in die Kinos – und stellte alles bisher Dagewesene in den Schatten. Krieg der Sterne hatte nur zwei bis drei Millionen Dollar mehr gekostet, aber seine atemberaubenden Tricks und halsbrecherischen Kamerafahrten ließen Michael Andersons Film mit einem Male alt aussehen. Und da Flucht ins 23. Jahrhundert anders als Krieg der Sterne vorgab, intelligente, sozialkritische Science-Fiction zu sein, bot der Film auch mehr Angriffsfläche für den geharnischten Zorn des wie üblich engstirnigen Science-Fiction-Ghettos.
Der Film hat viele Verrisse hinnehmen müssen, doch es gab durchaus auch andere Stimmen. Der Filmkritiker Roger Ebert beispielsweise nannte den Film damals mit einigem Recht „eine große, dumme Extravaganz, die aber einigen Spaß bereitet, sobald der Film aufgehört hat, sich zu ernst zu nehmen“ (Movies vom 25. Juni 1976). Und das Branchenblatt Variety meinte, der Streifen sei „ein lohnender futuristischer Film, der sowohl als spektakuläres, eskapistisches Abenteuer als auch als intelligentes Drama gut gefällt“ (Variety vom 16. Juni 1976, zitiert nach James Chapman/Nicholas J. Cull, Projecting Tomorrow, S. 157). Die Genrefans hingegen ließen kein gutes Haar an dem Film. John Brosnan hielt ihn für „teuren, fantasielosen, schlecht inszenierten Schund“; er zitierte eine Kritikermeinung aus Cinefantastique, die sich damals über die „Vergewaltigung der Science-Fiction“ empörte, und schäumte, dass „dies ein typischer Science-Fiction-Film [sei], der von Leuten gemacht wurde, die keine Achtung vor Science-Fiction haben“ (The Primal Screen, S. 172–174). Seltsamerweise lobte Brosnan in demselben Buch Krieg der Sterne als perfekte Inszenierung der Bilderwelten der Pulp-Magazine und Science-Fiction-Comics über den grünen Klee, ohne zu sehen, dass Flucht ins 23. Jahrhundert im Prinzip nichts anderes macht. Auch dort sind die Bilder und Ideen aus Pulps und Comics entnommen. Der intellektuelle Gehalt des Films, für den Flucht ins 23. Jahrhundert vor allem angefeindet wurde, ist gewiss nicht so gewichtig wie er vorgibt zu sein, andererseits aber auch nicht so banal wie das archetypische Märchenabenteuer von Krieg der Sterne.
Vom Roman zum Film
Der Film basiert auf dem 1967 erschienenen Science-Fiction-Roman Logan’s Run von William F. Nolan (geb. 1928) und George Clayton Johnson (1929–2015). Beide Autoren haben sich neben ihrem Roman mit zahlreichen Kurzgeschichten für SF- und Fantasymagazine hervorgetan, während Johnson darüber hinaus Drehbücher für verschiedene TV-Serien, insbesondere für Rod Serlings The Twilight Zone (1959–1964), verfasste. Unter Trekkies genießt er außerdem besondere Bekanntheit, weil er kurz vor Logan’s Run das Drehbuch für die erste je ausgestrahlte Star Trek-Episode „Das Letzte seiner Art“ (“Man Trap”, 1966) schrieb.
Der Roman ist ein galliger Kommentar auf die Jugendbewegung der Sechzigerjahre. Nolan und Johnson schrieben ihn von Beginn an mit Blick auf eine mögliche Verfilmung, und tatsächlich hatte MGM die Filmrechte bereits vor der Veröffentlichung des Romans für 100.000 Dollar erworben. Da der geplante Film für viele Jahre in der Entwicklungsphase stecken blieb, während der sich mehrere Drehbuchautoren ablösten und am Skript herumschraubten, weicht die schlussendliche Handlung des Films erheblich von der des Romans ab. Deshalb erscheinen manche Elemente des Romans im Film aus ihrem ursprünglichen Zusammenhang gerissen und erfahren dort leider keine schlüssige Erklärung mehr. Im Roman ist die von einem Computer regierte Diktatur das Resultat einer Revolte der Jugend gegen die Älteren. Der Roman beginnt mit der Einleitung:
Die Saat des „Kleinen Krieges“ wurde in einem ruhelosen Sommer Mitte der Sechzigerjahre gepflanzt, mit Sit-Ins und Studentendemonstrationen, als die Jugend ihre Macht probierte. In den frühen Siebzigerjahren waren mehr als 75 % der Menschen, die auf der Erde lebten, unter einundzwanzig Jahre alt. Die Bevölkerungszahl wuchs weiter – und mit ihr der Anteil der Jungen. In den Achtzigern betrug ihr Anteil 79,7 %. In den Neunzigern: 82, 4 %. Im Jahre 2000: Kritische Masse.“
Die Jugend übernimmt weltweit die Macht und installiert im Folgenden die Herrschaft des Supercomputers. Die dogmatische Ablehnung der Älteren (des Establishments) führt dazu, dass der Computer die Euthanasie gegen alle Menschen durchsetzt, die das einundzwanzigste Lebensjahr vollendet haben. Im Roman werden die Einundzwanzigjährigen sogenannten Sleep Shops zugeführt und mit Deep Sleep, einem drogenhaltigen Giftgas, getötet. Der Euphemismus des „Tiefen Schlafs“ erklärt, weshalb die Polizeitruppe, die die „Läufer“ jagen – jene, die sich dem „Tiefen Schlaf“ entziehen wollen –, „Sandmänner“ genannt werden. Im Film bleibt die Bezeichnung „Sandmann“ hingegen unerklärt.
Im Roman herrscht die Diktatur der Jugend auf der gesamten Erde; es gibt keine Kuppelstadt, die sich gegen eine ruinierte Außenwelt abgekapselt hat. Die zweite Hälfte des Romans ist sehr actionorientiert, und Logan und Jessica erleben auf ihrer Suche nach dem sagenumwobenen Sanktuarium, der Zuflucht der Läufer, eine halsbrecherische Odyssee kreuz und quer durch Amerika, die sie unter anderem an den Nordpol führt. Dort stoßen sie auf eine Gefangenenkolonie, die von einem Roboter namens Box geleitet wird. Am Ende verlassen Logan und Jessica die Erde mit einer Rakete, um zum Mars zu fliegen, denn im Orbit des roten Planeten, so haben sie schließlich herausgefunden, befindet sich tatsächlich das Sanktuarium: eine alte Weltraumkolonie, scheinbar das letzte Refugium der individuellen Freiheit im Sonnensystem.
Als MGM die Filmrechte an dem Stoff erwarb, hatten zunächst Nolan und Johnson selbst zwei verschiedene Drehbücher abgeliefert, die sehr eng an ihrem Roman orientiert waren. MGM waren mit diesen Entwürfen jedoch unzufrieden und beauftragten stattdessen Richard Maibaum (1909–1991), Drehbuchautor fast aller James-Bond-Filme bis 1989, ein neues Skript für Logan’s Run zu verfassen. Als Produzent für den Film wurde indessen kein Geringerer als George Pal (1908–1980) eingesetzt. Maibaum sah das Grelle und die Actionlastigkeit in Nolans und Johnsons Roman. Ihm schwebte eine Art „James Bond im Land der Zukunft“ vor, wie er sich selbst ausdrückte, und er wollte aus dem Film eine mit hintergründigem Witz versehene Parodie auf die Pulp-SF machen. Maibaum nahm in seinem Drehbuch zahlreiche Änderungen am Plot vor. Unter anderem eliminierte er Logans und Jessicas Flucht ins All und ließ sie stattdessen am Ende in die futuristische Stadt – bei Maibaum das Los Angeles des Jahres 2107 – zurückkehren, um den Supercomputer zu zerstören. Der für den Film avisierte Regisseur Richard Rush (geb. 1929) mochte sich jedoch nicht mit Maibaums Drehbuch anfreunden, weil er das Potenzial von Nolans und Johnsons Story als gesellschaftskritische Allegorie sah, das in Maibaums Skript jedoch nicht zum Tragen kam. Die Studiobosse kamen ins Grübeln, ob nicht an Rushs Argumenten etwas dran sein könnte, während George Pal Maibaums Skript favorisierte und langsam ungeduldig wurde, weil das Projekt bis zum Frühling 1969 noch immer kein grünes Licht bekommen hatte. Sein Vorschlag, das Projekt an eine andere Filmfirma zu verkaufen, scheiterte: Sowohl American International Pictures als auch die westdeutsche Produktionsfirma Filmkunst zeigten Interesse, doch war beiden der von MGM geforderte Preis von 350.000 Dollar zu hoch.
Das Projekt lag schließlich für Jahre auf Eis. Erst 1974, nachdem MGM mit den dystopischen Streifen Westworld (1973) und Jahr 2022 . . . die überleben wollen (1973) gute Gewinne erzielt hatte, fühlte sich das Studio ermuntert, Logan’s Run wieder aus der Schublade zu holen. Es betraute Saul David (1921–1996) mit dem Film, der mit Die phantastische Reise (1966) schon einen ähnlich extravaganten Science-Fiction-Film produziert hatte. Zunächst wurde Stanley R. Greenberg (1927–2002), der Drehbuchautor von Jahr 2022, mit einem neuen Drehbuch betraut, doch währte seine Mitarbeit an dem Projekt nur kurz. Immerhin geht auf ihn die Idee zurück, die Sleep Shops durch das „Karussell“ zu ersetzen.
Die Arbeit am Drehbuch ging schließlich an David Zelag Goodman (1930–2011) über, der es von Grund auf neu schrieb. Maibaums Idee einer Parodie war endgültig vom Tisch, denn Dystopien waren im Science-Fiction-Kino längst in Mode, und Goodman behandelte die Story dementsprechend ernst. Er übernahm viele Elemente seiner Vorgänger wie beispielsweise Greenbergs Karussell, verwarf jedoch auch Vieles, was noch aus dem Roman stammte, und nahm eine Reihe weiterer Änderungen vor. So setzte er unter anderem das Alter der Todgeweihten von einundzwanzig auf dreißig herauf – womöglich, um MGM damit bessere Optionen beim Casting zu geben, wie James Chapman und Nicholas J. Cull in ihrem Buch Projecting Tomorrow (2013) vermuten (vgl. S. 154). Goodman erfand Peter Ustinovs Rolle des alten Mannes, der in den Ruinen des Capitols lebt, und auf ihn geht auch der tödliche Kampf gegen Francis 7 im Showdown des Films zurück. Mit Logans Entschluss, am Ende des Films zur Kuppelstadt zurückzukehren, um die Menschheit vom Joch des Supercomputers zu befreien, fügte Goodman schließlich ein utopisches Happy-End ein, das im Roman fehlt.
Die Dreharbeiten begannen im Sommer 1975. Dass für die Regie die Wahl auf den routinierten Briten Michael Anderson fiel, der zwanzig Jahre zuvor eine von der Kritik ungeliebte Fassung von George Orwells 1984 und zuletzt den George-Pal-Flop Doc Savage – Der Mann aus Bronze (1975) inszeniert hatte, ließ Science-Fiction-Fans nichts Gutes ahnen. Anderson lieferte jedoch entgegen der kanonisierten Meinung im Fandom eine durchaus passable Leistung ab. Seine Regie in Flucht ins 23. Jahrhundert ist lebendig und einfallsreich genug, um den Film auf sicherem Gleis in Fahrt zu halten. Ins Straucheln gerät Anderson eigentlich nur in den zu steif geratenen „Actionszenen“, in denen Sandmänner ihre Feuerwaffen einsetzen. Man fragt sich, warum es selbst auf zwei Meter Entfernung nicht möglich ist, mit dem Blaster ein sich kaum bewegendes Ziel zu treffen.
Die Schauspieler sind symphatisch und gut ausgewählt. Insbesondere gefallen die Hauptdarsteller Michael York (geb. 1942), Jenny Agutter (geb. 1952) und Richard Jordan (1937–1993), obwohl ironischerweise York und Jordan während der Dreharbeiten bereits älter als dreißig Jahre waren. Michael York gibt einen überzeugenden Helden ab, obgleich seine Mordlust als Sandmann am Anfang des Films etwas unglaubwürdig erscheint. Jenny Agutter, eine typisch passive Heldin der Siebzigerjahre, wirkt anfangs etwas spröde, zumal der Zuschauer so gut wie nichts über ihre Figur Jessica 6 erfährt. So bleibt es zum Beispiel völlig unklar, warum sie Kontakt zum Untergrund der Läufer hat. Agutter blüht schauspielerisch erst in der Wildnis außerhalb der Stadt auf – hier gewinnt sie Vitalität und Persönlichkeit. Peter Ustinov spielt den kauzigen alten Mann mit Augenzwinkern und Schalk, zuviel Schalk, aber da ihm das Drehbuch nicht erlaubte, auch nur irgendein Detail über seine eigene Herkunft zu wissen – seine Vergesslichkeit in allem ist wirklich grotesk –, war es Ustinov auch kaum möglich, seiner Figur mehr Tiefe und Glaubwürdigkeit einzuhauchen. Farah Fawcett schließlich ist kaum mehr als schmückendes Beiwerk für die Kinoplakate – sie sollte in ihrer knappen screen time als Holly lediglich gut aussehen, und das gelingt ihr auch, selbst als Leiche am Ende ihres Parts.
Things to Come Reloaded: Das Design und die Effekte
Flucht ins 23. Jahrhundert ist ein prachtvoller Science-Fiction-Film und wurde völlig zu Recht für die Spezialeffekte mit dem Oscar prämiert. Das bunte, überbordende Produktionsdesign strotzt nur so vor glattem Plastik, Chrom und Spiegelglas und ist sehr stylish. Auch wenn der Film eine reichlich „discoeske“ Siebzigerjahre-Atmosphäre atmet – Gipfelpunkt ist Farah Fawcetts blonde Fönwellenfrisur –, liefert er wunderschönes Augenfutter und wirkt immer noch überzeugend futuristisch.
Besonders gelungen ist die Inszenierung des „Karussells“ – gewiss die eindrucksvollste Szene des Films. Unter dröhnenden Gongschlägen, einer gigantischen Totenglocke gleich, stehen die maskierten Todgeweihten inmitten der von Zuschauerrängen eingefassten Arena im Kreis auf einer sich langsam drehenden Scheibe. In der Mitte der Scheibe glüht rot ein mächtiges Modell der „Lebensuhr“, des leuchtenden Kristalls, den jeder Mensch als sichtbares Implantat in seiner Handfläche trägt. Ein Strahlenkranz legt sich über die Drehscheibe, und nach und nach schweben die Maskierten trudelnd und sich drehend zur Decke empor. Während das ekstatische Publikum jubelt und sich am Spektakel ergötzt, gehen die „Erneuerten“ über ihnen in Flammen auf. Die Szene ist höchst einfallsreich und bringt die schockierende Schattenseite der präsentierten Gesellschaft effektiv zum Ausdruck.
Für die Kamerafahrten über die Stadt wurde ein ausladendes, dutzende Meter großes Modell geschaffen: elegante Hochhäuser mit geschwungenen Betonpfeilern, zwischen ihnen hängende Glasröhren, durch die Verkehrsgleiter hin und her zischen, und weiträumige Parkanlagen mit großzügigen Wasserflächen. Vieles entspricht hier den gängigen Science-Fiction-Bildern von blitzsauberen Städten der Zukunft; Aspekte wie die lockere Bebauung und die geometrischen Parkanlagen sind dagegen eher zeitgenössisch und erinnern an die damaligen Visionen von mustergültigem Städtebau. Es ist für den Zuschauer zwar ständig der Eindruck präsent, tatsächlich nur ein Modell vor Augen zu haben, aber schön anzuschauen ist es trotzdem.
Bei den weitläufigen Innenhöfen und Hallen, bevölkert von flanierenden Menschen in luftigen Tuniken und Kleidern, fühlt man sich unweigerlich an Things to Come (1936) von William Cameron Menzies erinnert. Kein Wunder: Vor Jahren hatte John Brosnan spöttisch über Menzies’ utopische Modellbaustadt angemerkt, sie wirke so futuristisch wie ein modernes Einkaufszentrum (Future Tense, S. 56 und 60). Die Innenaufnahmen von Flucht ins 23. Jahrhundert wurden tatsächlich in Einkaufszentren gefilmt – Drehorte waren das Dallas Market Center und die Fort Worth Hulen Mall. Die Setdesigner dekorierten die weitläufigen Betonbauten jedoch adäquat um und schufen ein überzeugendes Bühnenbild.
Für die visuellen Effekte wurde außerordentlich häufig mit mattes gearbeitet. Sie sind nicht so makellos wie die Bild für Bild von Hand ausgeführten mattes in Stanley Kubricks bahnbrechendem 2001: Odyssee im Weltraum, sodass häufiger dunkle matte-Linien sichtbar sind. Der Einsturz der Eishöhle von Box ist sogar enttäuschend schlecht umgesetzt. Dennoch begeistert die Kompromisslosigkeit, mit der überall im Film der futuristische Look durchgehalten wurde. So blicken beispielsweise in einer kurzen Szene Logan und Jessica durch ein Fenster auf die Stadt hinab, die hinter ihnen zu sehen ist, bevor sie in das Refugium der verurteilten Verbrecher, die „Kathedrale“, eintreten. Es wäre ein Leichtes gewesen, aus Kostengründen auf diese kurze matte-Szene zu verzichten, doch der Film will überall üppig aussehen, will eine staunenerweckende Zukunft vorführen – sehr zur Freude des Zuschauers. Für die mattes der Ruinen von Washington bemalte matte painter Matthew Yuricich vergrößerte Fotos der Originalgebäude mit üppigen Efeu- und Weinranken und erzeugte damit einen beeindruckenden Effekt. Am überzeugendsten aber wirkt das verfallene Washington in den Einstellungen, in denen Logan, Jessica und der alte Mann durch einen mit Schilfgras bestandenen, trüben Tümpel waten – der einmal der Lincoln Memorial Reflecting Pool vor dem Washington Monument gewesen war.
Hervorzuheben ist schließlich die gelungene Filmmusik von Jerry Goldsmith, bei der sich konventionelle, orchestrale Thrillermusik mit amelodischen Synthesizer-Sounds abwechseln, die an Bebe und Louis Barrons Score für Fred M. Wilcox’ Alarm im Weltall (1956) erinnern.
Das Ende des Trübsinns im Science-Fiction-Kino
Dystopien waren im Science-Fiction-Kino seit den späten Sechzigerjahren groß in Mode; die mit der Studentenbewegung aufkommende Empörung gegen allerlei gesellschaftliche Missstände fand ihren Reflex in düsteren Menetekeln einer bedrohlichen, nicht mehr lebenswerten Zukunft. Auch Flucht ins 23. Jahrhundert folgte noch diesem Trend, der erst mit den eskapistischen Fantasien Krieg der Sterne und Unheimliche Begegnung der dritten Art beendet werden sollte. In Flucht ins 23. Jahrhundert kündigte sich allerdings die Abkehr bereits an, indem die Vision der computergesteuerten giant city licht und heiter wie eine ausgelassene Cocktailparty daherkommt und schließlich auch im Happy-End von einem schlagkräftigen Helden erlöst wird. Der farbenfrohe, in sein schickes Design verliebte Film ist mit Sicherheit keine tiefschürfende Reflexion über die Gesellschaft, weder die gegenwärtige noch die zukünftige – er ist eine auf Action und Schauwerte konzentrierte Vulgarisierung der Dystopie.
Wann immer ein Science-Fiction-Film seine literarische Vorlage abwandelt, ist ihm die giftige Kritik der Aficionados sicher. Flucht ins 23. Jahrhundert macht da keine Ausnahme. Trotz der massiven Änderungen am Plot sind allerdings einige kritische Ansätze des Romans durchaus erhalten geblieben. So ist die ewig junge, vergnügungssüchtige Gesellschaft nach wie vor ein Fingerzeig, der auf die Studentenbewegung und die vermeintlichen Fehlentwicklungen, die ihr zugeschrieben wurden, verweist – Jugendwahn und Spaßkultur. Produzent Saul David benannte die aufgegriffenen Probleme mit „juveniler Pflichtvergessenheit“ und „sexueller Freizügigkeit“ (vgl. John Brosnan, Future Tense, S. 243). Vor allem Letztere wird plakativ mit dem „Liebeslift“ ins Bild gesetzt, einem Teleporter, mit dem man sich eine sexwillige Frau einfach herbeizappen kann (übrigens das unglaubwürdigste technologische Detail des Films); ein anderer Sündenpfuhl ist der surreale Love Shop (in der deutschen Synchronisation falsch mit „Liebesschacht“ wiedergegeben), in dem eine ewige, allen offen stehende Sexorgie gefeiert wird.
Die gesetzmäßige Ermordung aller Dreißigjährigen kann als gewitzte Überzeichnung des alten Hippie-Spruchs „Trau keinem über dreißig“ verstanden werden – auch wenn, wie oben bereits ausgeführt wurde, im Roman die Menschen bereits mit einundzwanzig ihrer Liquidierung entgegensehen und die Heraufsetzung des Todesalters auf dreißig im Film auch praktische Gründe gehabt haben mag. Das Motiv ist aber darüber hinaus auch eine konsequente Science-Fiction-Idee, um das uralte Problem des Todes zu lösen: Kann die Unsterblichkeit nicht erlangt werden, lässt sich zumindest die Gesellschaft als Ganzes in ewiger Jugend einfrieren. Dass die Ermordung der Dreißigjährigen und das Züchten neuer Menschen in künstlichen Brutstationen mit der strikten Regulierung der Bevölkerungszahl begründet wird, reflektiert die in den Sechziger- und Siebzigerjahren virulent werdende Angst vor der weltweiten Bevölkerungsexplosion. Aus ihr heraus entstanden dystopische Science-Fiction-Filme wie Geburten verboten (1971) oder Jahr 2022 . . . die überleben wollen (1973). Heute, wo wir womöglich längst auf einer überbevölkerten Erde mit sieben Milliarden Menschen leben, spielt diese Angst im gesellschaftlichen Diskurs seltsamerweise keine Rolle mehr. Vollständig aus dem Film getilgt ist hingegen der ursprüngliche, bissigere Hintergrund, der die Liquidation der Älteren als Resultat eines ideologischen Wahns der Jungen, die sich an die Hebel der Macht revoltiert haben, erklärt.
Das Problem des Films bleibt, dass alle entfalteten kritischen Ansätze letztlich nur als Ausgangssituation für eine konventionelle Abenteuergeschichte dienen. Eine intellektuell interessante Auseinandersetzung mit ihnen findet nicht statt, und die Möglichkeit, die Konsequenzen einer totalen jugendlichen Freizeitgesellschaft auszuloten, wird fast völlig verschenkt.
Mit einer Ausnahme. Der schwerwiegendste Missstand der im Film präsentierten Freizeitgesellschaft wird in der Zerstörung der Familie gesehen. Die in der anonymen Retorte gezüchteten Einwohner der giant city kennen weder Ehe noch Elternschaft, und damit verbunden mangelt es ihnen auch an Bindungen und Verantwortungsgefühl. Jessica 6 hingegen leidet darunter, nicht ihre leiblichen Eltern – bzw. ihre einstigen Samen- und Eizellenspender – zu kennen (warum sie sich wünscht, darüber Bescheid zu wissen, wird leider nicht motiviert). Erst außerhalb der Stadt entsteht der utopische – tatsächlich erzkonservative – Gegenentwurf. Logan und Jessica müssen sich in einer weiten, menschenleeren Wildnis behaupten. Sie werden buchstäblich zu Adam und Eva, zum mythischen Gründerpaar einer neuen Zeit. Das erste Mal in ihrem Leben lernen sie, Verantwortung für das Überleben des anderen zu übernehmen, und ineins damit verlieben sie sich ineinander. Als sich später Jessica am Lagerfeuer von dem alten Mann erklären lässt, dass es einst üblich gewesen war, einander zu heiraten, sich treu zu bleiben und gemeinsam die eigenen Kinder groß zu ziehen, ist sie begeistert von diesem Gedanken und fragt Logan: „Ich wäre wirklich gern verheiratet – du nicht auch?“ Es ist ein köstlicher Scherz, dass Logan zunächst nur verlegen grinst und zögert, bevor er Jessica schließlich zustimmt. Noch an Ort und Stelle verheiraten sich beide. „Mein geliebter Ehemann“, sagt Jessica; „mein geliebtes Eheweib“, antwortet Logan.
So reflektiert Flucht ins 23. Jahrhundert, durchaus anrührend, die geschlechtlichen Rollenbilder und Sehnsüchte des Siebzigerjahre-Publikums und versucht, die konservativen Werte der Ehe und Familie, die sich in der Realität längst aufzulösen begannen, zu verteidigen. Genutzt hat es bekanntlich nichts. Tröstlicherweise ist die Zunahme von Scheidungen und Patchwork-Familien, die den Film damals so beunruhigt hat, schon seit Langem kein Bedrohungsszenario mehr. In diesem Punkt ist der Film vielleicht am stärksten gealtert.
Box und andere Logiklöcher
Dass die konservativen Werte der Ehe und Familie in Flucht ins 23. Jahrhundert als die eigentliche, positive Utopie fungieren, ist ein Moment des Films, das in seiner Interpretation oft übersehen wurde. Man mag dazu stehen wie man will. Richard Scheib etwa schrieb in seinem Verriss auf seiner Website Moria: „Tatsächlich ist Logan’s Run ein Film, der so wirkt, als sei er von Konservativen mittleren Alters gemacht worden, die nicht verstehen konnten, wogegen die Jugend eigentlich rebellierte, und glaubten, dass die Jugend einfach den Hedonismus vergessen und zum Respekt gegenüber den Alten zurückkehren musste, zu den heiligen Werten der Familie und Ehe und der amerikanischen Flagge.“ Das ist trefflich gesagt und hat viel für sich. Man beachte nur die plumpe und zugleich zynische Symbolik, in der Logan seinen Widersacher Francis in der Ruine des Capitols mit einer alten, zerfetzten amerikanischen Flagge erschlägt: Ein Mord wird zum Gründungsakt eines neuen Amerika . . . Gleichwohl gehören Ehe und Familie noch heute zu den Idealen vieler, sehr vieler Menschen, und so bleibt es jedem Zuschauer selbst überlassen, inwieweit er sich gegen die konservative Botschaft des Films empören möchte. Ebenfalls konservativ, aber darüber hinaus auch eine uralte Science-Fiction-Tradition ist die andere, augenfälligere Aussage: Technologie ist böse, die Natur dagegen gut; das übertechnisierte Leben in der Großstadt ist verderbt und degeneriert den Menschen, während ein geerdetes und moralisch festes Leben nur im rauen Kampf mit der Natur gedeiht.
Dass die Dystopie nie wirklich unbequem wird, liegt auch an ihren gravierenden Unglaubwürdigkeiten, die sie als pures Fantasiegebilde ohne Bezug auf die gegenwärtige Realität erscheinen lässt. Schon die abgekapselte giant city, die als einzige aus dem Untergang der Zivilisation hervorgegangen ist, ist ein absurdes Szenario. Wie konnte sich eine derart perfekt funktionierende, technisch so hoch entwickelte Stadt unmittelbar nach dem Zusammenbruch der alten Zivilisation in fast völliger Isolierung vom Rest der Welt entwickeln? Was ist mit dem Rest der Menschheit geschehen? Der alte Mann ist der Beweis dafür, dass es auch außerhalb der Stadt Überlebende der großen, alles auslöschenden Katastrophe gab, doch da er fast nichts über seine eigene Herkunft weiß, bleibt der Zuschauer über diesen Punkt im Dunkeln.
Manche Kritiker wie z. B. auch John Brosnan haben das Szenario des Films als eine entvölkerte Welt nach einem Atomkrieg interpretiert, doch spricht die Einleitung des Films nicht von „Atomkrieg“, nur von „Krieg“, „Umweltzerstörung“ und „Überbevölkerung“. Wenn es einen Atomkrieg gegeben hat, müsste die Wildnis außerhalb der Stadt atomar verseucht sein. Gab es keinen – was dem Wortlaut der Einleitung zufolge wahrscheinlicher ist –, ist es kaum glaubwürdig, dass die Umweltzerstörung und die Überbevölkerung allein die fast völlige Entvölkerung der Erde herbeigeführt haben. Schließlich: Wenn die menschenleere Wildnis außerhalb der Stadt nachweislich bewohnbar ist, weshalb erhält der Computer der giant city die Abkapselung der Stadt dann noch aufrecht? Eine ganze Welt ließe sich kolonisieren, direkt vor der Haustür, aber die Stadt verharrt unter ihrer Käseglocke und hadert weiter mit dem Problem der Bevölkerungsregulierung. Nun, möglicherweise ließe sich diese letzte Frage mit der ursprünglichen, grundsätzlichen Programmierung des Supercomputers erklären, die das Öffnen des geschlossenen Systems der Stadt kategorisch ausschließt. Dass die Bevölkerung der Stadt nur eine unmündige, unwissende Masse darstellt, die vom Computer lediglich verwaltet wird, und insofern nicht von allein aus der Stadt auszubrechen in der Lage ist, wird im Film deutlich zum Ausdruck gebracht.
Unglaubwürdig wirkt auch der Roboter Box in der Eishöhle, so grell seine Erscheinung auch sein mag. Im Roman ist Box der Aufseher einer Gefangenenkolonie am Nordpol, dem Logan und Jessica während ihrer Irrfahrt über die Welt auf der Suche nach dem Sanktuarium begegnen. Die Eishöhlenszene blieb in allen Drehbuchversionen erhalten, verschob sich allerdings in ihrem Zusammenhang, bis der Zusammenhang praktisch ganz verloren ging. Warum, so fragt sich der Zuschauer zu Recht, befindet sich diese Eishöhle am Ende des geheimen Ausgangs, der aus der Stadt hinausführt? Der Film schweigt sich hierüber fast völlig aus. Box erklärt, dass er bisher jeden der Läufer, der sein Refugium passieren wollte, eingefroren und konserviert habe – neben frischem Plankton, das bei ihm nicht verkommen würde. Es scheint, dass Box ein vergessener Roboter ist, der vor langer Zeit damit beauftragt wurde, Nahrung für die Stadt zu sammeln und einzufrieren. Die Eishöhle wäre somit ein gigantischer Kühlschrank, der für diese Aufgabe geschaffen wurde; die eingefrorenen Läufer wären nur weitere Nahrung, die Box eingesammelt hatte. So ließe sich Box rationalisieren, doch letztlich bleiben er und die Eishöhle rätselhaft. Die Dinge wären auch nicht klarer, wenn die geschnittene Szene, in der Logan und Jessica nackt für Box posieren, weil dieser nach ihren Modellen Eisskulpturen modellieren will, im Film verblieben wäre (MGM hatte die Szene geschnitten, weil sonst eine höhere Alterseinstufung gedroht hätte). Ein anderes Problem betrifft die im Untergrund lebenden Läufer, die anderen Läufern zur Flucht verhelfen. Warum schicken sie die Fliehenden auf einen Weg, von dem offenbar niemand zu wissen scheint, dass er nicht nach draußen, sondern nur in den Kühlschrank von Box führt?
Darüber hinaus verhält sich der Supercomputer der Stadt unlogisch. Warum will der Computer die geheimnisvolle „Zuflucht“ (das „Sanktuarium“) der Läufer außerhalb der Stadt durch Logan 5 zerstören? Als Logan fragt, ob er seine geraubten Lebensjahre zurückerhält, nachdem seine Lebensuhr vorgestellt wurde, antwortet der Computer nicht – warum? Sein Schweigen führt unweigerlich dazu, dass Logan sich betrogen fühlt, seine Kooperation aufkündigt und selbst zum Läufer wird. Wirklich ärgerlich ist schließlich das bodenlos naive und überstürzte Ende des Films: Als der Supercomputer dem gefangen genommenen Logan sein Gehirn anzapft, um darin die Antwort auf die Frage nach dem Sanktuarium zu finden, gibt Logans Bewusstsein, das in Form eines Hologramms vor dem Computer erscheint, beharrlich die immergleiche Auskunft, dass das mythische Sanktuarium nicht existiert. Diese Wahrheit widerspricht fundamental dem programmierten Weltbild des Computers. Der Computer wird daraufhin funktional so gestört, dass Logan ihn vernichten kann. Zumindest scheint es so, denn nachdem er sich befreit hat, feuert er mit seiner Waffe auf einige der Computerarmaturen, woraufhin der Computer explodiert. Infolgedessen geht schließlich die ganze Stadt in Explosionen und Feuersbrünsten unter! Die klischeehafte Zerstörungsorgie am Ende ist vollkommen überflüssig, war für Saul David und Michael Anderson aber offensichtlich als spektakulärer Showdown unverzichtbar. Da man das Stadtmodell eh nicht mehr brauchte, konnte man es für den Film getrost noch eben abfackeln.
Und doch – Flucht ins 23. Jahrhundert ist ein Mythos
Die Zukunft in Flucht ins 23. Jahrhundert ist ein abgehobenes, auf schwankender Logik aufgebautes Fantasiegebilde. Es ist ein blendend ausgestattetes Abenteuermärchen, modisch aufgepeppt mit düsteren, dystopischen Zügen. Die unter allem Science-Fiction-Bombast verborgene Sozialkritik ist reaktionär, die ihr entgegengehaltene Utopie selbst ein Märchen – die erträumten idyllischen Ideale von Treue, Ehe, Familie und Verantwortung.
Immerhin: Der Film beschäftigt sich tatsächlich in mythischen und symbolischen Formen mit unserer realen Welt, und das in durchaus eigenwilliger Art und Weise. Man mag die Anklagen gegen die hedonistische Spaßkultur, gegen die Stigmatisierung des Alters sowie gegen den Zerfall der traditionellen Familie ablehnen. Aber sie sind unverkennbar da – und zwar in durchaus origineller Form, die sich von anderen Science-Fiction-Filmen der Siebzigerjahre deutlich deutlich unterscheidet. Daher erscheint auch das Fazit, das James Chapman und Nicholas J. Cull in ihrem bereits erwähnten Buch Projecting Tomorrow im Anschluss an die traditionellen negativen ästhetischen Urteile über den Film ziehen, nicht ganz fair:
Das ursprüngliche Konzept – dass eine Revolution der Jugend eine Diktatur heraufbeschwört – ist im Film vollständig verloren gegangen, der keinen historischen Kontext mehr liefert außer einem eröffnenden Text, der sagt, dass im 23. Jahrhundert „die Überlebenden von Krieg, Überbevölkerung und Umweltverschmutzung in einer großen Kuppelstadt leben“. ( . . . ) Überdies sind die Motive, die in den Film eingeführt wurden und nicht im Buch enthalten sind, meistenteils aus anderen Filmen entnommen. THX 1138 (1970) zeigte bereits ein Individuum, das gegen einen futuristischen Polizeistaat rebelliert und aus einer sterilen Stadt flieht, während Westworld (1973) und dessen Sequel Futureworld (1976) die dunkle Seite der Spaßgesellschaft ausleuchteten. Und die Einstellung, die Logan und Jessica auf das Lincoln-Denkmal in Washington DC zugehen lässt, ist eine blasse Imitation des ikonischen Schlusses von Planet der Affen. In letzter Analyse hat Flucht ins 23. Jahrhundert einfach nichts Neues zu sagen. (Projecting Tomorrow, S. 157f.)
Chapman und Cull spannen hier für ihren Versuch, den Film als hohl hinzustellen, eine Reihe von Argumenten ein, die bei genauerem Hinsehen nicht stichhaltig sind. So fassen Westworld und Futureworld das Thema der Freizeitgesellschaft vollkommen anders auf: Es wird dort keineswegs mit gesellschaftlicher Verantwortungslosigkeit verknüpft wie in Flucht ins 23. Jahrhundert, sondern eher als gesellschaftliche Fragwürdigkeit gesehen, weil die Fluchten in künstliche Welten à la Hollywood als Kompensationen für andere Missstände wie etwa einer harschen und unmenschlichen Arbeitswelt fungieren sollen. Auf das Thema des Zerfalls der Familie, das in Flucht ins 23. Jahrhundert eine so prominente Rolle spielt, gehen Chapman und Cull indessen in ihrem ganzen Kapitel über den Film mit keiner Silbe ein. Und der Abklatsch des Schlusses von Planet der Affen in der Szene vor dem Lincoln-Denkmal ist ein zu geringes Detail, um hier überhaupt für die Argumentation tragfähig zu werden.
Chapman und Cull sehen wie viele andere Interpreten auch den Film als verspätet an – „ein Film der Sechziger, der in den Siebzigern gemacht wurde“ (S. 157) –, und sie haben in gewisser Weise auch Recht damit. Auf der anderen Seite war es jedoch womöglich gar nicht so falsch, das Thema des jugendlichen Aufruhrs, der in einer technokratischen Diktatur einmündet, fallenzulassen. Denn wie logisch, nachvollziehbar und gesellschaftlich relevant die ätzende Anklage der aufkommenden Jugend- und Studentenrevolten wirklich je gewesen war, so wie Nolan und Johnson sie in ihrem ursprünglichen Roman vorgenommen hatten, ist um nichts fragwürdiger als die Eliminierung dieses Themas zugunsten eines abgehobenen Actionabenteuers.
Rückkehr ins 21. Jahrhundert
Flucht ins 23. Jahrhundert wurde trotz aller bissigen Verrisse, die der Film damals wie heute erdulden musste, nie vergessen und wird von vielen nostalgischen Fans des Streifens gar als „Kultfilm“ bezeichnet. Schon seit über zehn Jahren kursierten immer wieder Gerüchte über angedachte Remakes, während bereits Die Insel (2005) von Michael Bay und In Time – Deine Zeit läuft ab (2011) von Adrew Niccol Anleihen bei Flucht ins 23. Jahrhundert gemacht hatten und oft als Quasi-Remakes des Films interpretiert wurden. Von den angedachten wirklichen Remakes wurde jedoch nie eines realisiert. Inzwischen hat der erfolgreiche Drehbuchautor und Filmproduzent Simon Kinberg (geb. 1973) sich der Sache im Auftrag von Warner Bros. angenommen, und diesmal scheint wirklich etwas dabei herauszukommen. Der neue Film soll, so die Idee, das Konzept von Die Tribute von Panem – Tödliche Spiele (2012) aufgreifen und, wenn erfolgreich, ein Franchise mehrerer Sequels für ein junges Publikum nach sich ziehen. Dafür soll beispielsweise das Lebensalter, in dem die Bewohner Dystopias getötet werden, von dreißig wieder auf einundzwanzig Jahre wie im Roman und in den frühen Drehbuchentwürfen gesenkt werden. Der Kinostart ist in etwa für 2017 angepeilt. Eine zynisch-blutige Teenieversion von Logan’s Run à la Hunger Games? Ich bin, ehrlich gesagt, skeptisch, ob das Ganze am Ende nicht ein Remake der Hunger Games selbst wird. Aber warten wir es ab.
Den Charme des Originals, soviel steht fest, wird das künftige Remake ohnehin nicht erreichen. Flucht ins 23. Jahrhundert ist toll ausgestattetes, herrlich futuristisches Popcorn-Kino der beginnenden Disco-Ära mit mythischen Dimensionen, das trotz aller Schwächen und grober Fehler großartig unterhält. Der Film ist gewiss kein Meisterwerk – aber zweifellos einer der markantesten Science-Fiction-Filme der Siebzigerjahre.
© Michael Haul
Veröffentlicht auf Astron Alpha am 21. Februar 2016