Europa Report (USA 2013)
Regie: Sebastián Cordero
Drehbuch: Philip Gelatt
Darsteller: Sharlto Copley (James Corrigan), Michael Nyqvist (Andrei Blok), Anamaria Marinca (Rosa Dasque), Daniel Wu (William Xu), Karolina Wydra (Katya Petrowna), Christian Camargo (Daniel Luxembourg) u. a.
Produzenten: Ben Browning; Matt Levin (assoziierter Produzent)
Companies: Wayfare Entertainment, Misher Films, Start Motion Pictures
Laufzeit: 90 Minuten/97 Minuten (Extended Cut), Farbe
Premiere: 15. Juni 2013 (USA); 22. Oktober 2013 (Deutschland, DVD-Release)
In naher Zukunft entsendet die Erde ein bemanntes Raumschiff zum Jupitermond Europa. Die internationale Crew – zwei Frauen und vier Männer – soll auf dem fernen Mond, dessen Oberfläche aus einem mächtigen Eispanzer besteht, faszinierende Fragen klären, die die Wissenschaft bereits seit Langem umtreibt: Gibt es unter dem Eispanzer wirklich einen Ozean aus flüssigem Wasser? Und hat sich in diesem Ozean möglicherweise außerirdisches Leben entwickelt?
Die lange Reisezeit von über anderthalb Jahren ist für die Crew zermürbend. Als ein Strahlungsausbruch der Sonne die Funkanlage des Raumschiffs zerstört, versuchen die beiden Ingenieure der Mission, den Schaden bei einem Außenbord-Einsatz zu reparieren. Dabei kommt einer der beiden Astronauten ums Leben. Trotz des tragischen Unfalls und des verlorenen Funkkontakts mit der Erde beschließt die Crew, die Reise fortzusetzen.
Monate später ist das Jupitersystem erreicht. Das Einlenken in den Orbit um Europa und die Landung auf dem eisigen Himmelskörper gelingt problemlos. Tatsächlich entdecken die Astronauten schon bald Beweise für Lebensformen, die sich in der dunklen Tiefe unter dem Eis regen – und sich jedoch als alles andere als harmlos verhalten . . .
Hard-SF vom Feinsten
Der Jupitermond Europa, in etwa so groß wie der Erdenmond, gehört zu den spannendsten Orten im Sonnensystem. Europa ist von einem mächtigen Panzer aus Wassereis bedeckt, und seit Jahren geht die Planetologie davon aus, dass sich unter dieser Eisschicht ein bis zu 100 Kilometer tiefer Ozean von flüssigem Wasser befindet, verflüssigt durch die Reibungswärme, die die Gezeitenkräfte von Jupiter und Ganymed in Europas Innerem erzeugen. Zwar haben Beobachtungen der Raumsonde Galileo inzwischen Hinweise darauf geliefert, dass in diesem Ozean giftige chemische Verbindungen und eine hohe Konzentration an Salzen gelöst sein könnte. Dennoch hält sich unter Forschern und interes-sierten Laien hartnäckig die Hoffnung, dass sich in Europas dunklem Ozean außerirdisches Leben entwickelt haben könnte, vielleicht sogar höher entwickelte Lebensformen.
Ein extrem faszinierendes Szenario also, das nur darauf wartete, in einem Science-Fiction-Film, der auf den wissenschaftlichen Erkenntnissen und Hypothesen aufbaut, aufgegriffen zu werden. Die kleine, unabhängige Produktion Europa Report unter der Regie des Ecuadorianers Sebastián Cordero (geb. 1972) hat nun erstmals Europa als Schauplatz für einen Science-Fiction-Film genutzt. Herausgekommen ist ein ausgezeichnetes, intelligentes und fesselndes Werk in bester Hard-SF-Tradition. Mit einem winzigen Budget von nur etwa 5 Millionen Dollar in einem Filmstudio in Brooklyn/New York gedreht und thematisch kompromisslos auf das wissenschaftliche Abenteuer der Raumfahrt konzentriert, ist der Film mit ähnlichen kleinen, exzellenten Hard-SF-Filmen wie Duncan Jonesʼ Moon (2009), Danny Bolyes Sunshine (2007) oder María Lídons Náufragos – Gestrandet (2001) vergleichbar. Daneben verneigt sich Europa Report mit einigen Verweisen – beispielsweise mit einer kurzen Einspielung von Johann Straußʼ Walzer An der schönen blauen Donau (1866) – beinahe pflichtgemäß vor Stanley Kubricks 2001 – Odyssee im Weltraum (1968), dem übermächtigen Vorbild aller Raumfahrtfilme. Statt eines lauten Hollywood-Actionspektakels bekommt der Zuschauer eine ruhige und kühle Inszenierung geboten, die mit einer hervorragenden Besetzung brilliert. Besonders hervorzuheben sind Sharlto Copley (District 9, Elysium) als naiv-optimistischer Amerikaner James Corrigan, Michael Nyqvist als knarziger russischer Ingenieur Andrei Blok, der beinahe seinen Verstand verliert, und die Rumänin Annamaria Marinca als androgyne, osteuropäische Pilotin Rosa Dasque.
Dank immer ausgereifterer und preiswerterer CGI-Tricktechnik ist es seit einigen Jahren möglich, auch mit einem kleinem Budget visuell nahezu perfekt gestaltete Science-Fiction-Filme zu produzieren – die technischen Möglichkeiten, die inzwischen zur Verfügung stehen, übertreffen längst die kühnsten Träume aller früheren Generationen von Low-Budget-Filmemachern. Auch die Produktionswerte von Europa Report sind von hervorragender Qualität. Die digital erstellten Bilder und Panoramen vom Weltall und den Himmelskörpern wie dem Erdenmond, dem Jupiter und natürlich Europa selbst sind nahezu makellos, wobei Aufnahmen Europas von Raumsonden wie Galileo (1995–2003) oder New Horizons (2007) herangezogen wurden, um ein höchstes Maß an Authentizität zu erzielen. Selbst dass nach der Landung auf Europa der Jupiter über dem Horizont nie untergeht, egal ob es gerade Tag oder Nacht geworden ist, ist ein korrektes Detail, denn Europas Rotation ist mit seiner Umlaufzeit um Jupiter synchronisiert, sodass der Mond seinem Mutterplaneten stets dieselbe Seite zuwendet.
Auch das Setdesign für das mit allerlei Technik und Ausrüstung vollgestopfte, in kühlem Blau und Grau gehaltene Innere des Raumschiffs Europa One ist superb und auf Anhieb glaubwürdig; dasselbe gilt für die Raumanzüge, die technischen Gadgets und das Design der Europa One, eine mächtige Rakete mit zwei ausladenden Traversen, die zur Erzeugung künstlicher „Schwerkraft“ in den Wohnmodulen an ihren äußeren Enden beständig um die Achse des Schiffs rotieren.
Der authentische Anstrich wird noch dadurch gesteigert, dass der Film vollständig im found footage-Stil gehalten ist, der vor mehreren Jahren in Mode gekommen ist und sich seither bei Filmemachern ungebrochener Beliebtheit erfreut. Der gesamte Film präsentiert sich als eine Montage aus Aufnahmen der Bordkameras, die überall im Inneren und an der Außenhaut der Europa One angebracht sind, sowie aus Interviews der Missionsleiter auf der Erde; die Montage erweckt die Illusion eines modernen Dokutainment-Dramas, und die visuelle Glaubwürdigkeit und Finesse ist so überzeugend gelungen, dass man sich nur zu gern der Fiktion hingibt, tatsächliche NASA-Aufnahmen dieser Mission zu sehen.
Freilich würde ein „wirkliches“ Dokudrama natürlich längst nicht soviel verzerrte und abgehackte Aufnahmen enthalten und sehr wahrscheinlich auch die harten Erzählsprünge vermeiden, die dem Film eine komplexe Struktur verleihen sollen. Sebastián Cordero ordnet die Form der found footage-Montage seinen dramaturgischen Zielsetzungen unter, und das ist sehr gut so. Freilich stellt die Form auch ein dankbares Mittel dar, um das Budget zu schonen. Found footage-Filme erzeugen eine Enge des Bildes, in der häufig Totale oder Halbtotale vorherrschen, während die Perspektiven und damit die benötigten Sets auf ein Minimum beschränkt bleiben. Auch in Europa Report macht sich dieser eklatante Nachteil schmerzlich bemerkbar. So brennt der Zuschauer beispielsweise darauf, viel mehr von der Eiswüste des Jupitermondes zu sehen, in der die Europa One-Crew gelandet ist. Geboten bekommt er jedoch nur wenige, flüchtige Blicke durch die Helmkamera der Astronautin Katya, die sich als einzige zu einem Spaziergang auf Europa aus dem Raumschiff hinauswagt.
Europa Report ist ein klassischer Raumfahrtfilm, der nach wissenschaftlicher Glaubwürdigkeit strebt, und steht damit in einer Tradition, die mit Fritz Langs Frau im Mond (1929) einsetzte, sich über Wassili Schurawlows Kosmitscheski Reis (1935), Irving Pichels Endstation Mond (1950), Kurt Neumanns Rakete Mond startet (1950) und Byron Haskins Die Eroberung des Weltalls (1955) fortsetzte und zuletzt Filme wie Anthony Hoffmans Red Planet (2000), Brian de Palmas Mission to Mars (2000) oder eben Danny Boyles Sunshine (2007) hervorbrachte. Mit vielen seiner Vorgänger teilt Europa Report eine lange Liste von Klischees, die ausnahmslos dem Zwang geschuldet sind, aus der langen und an sich ereignislosen Reise durchs All ein packendes Drama zu machen. Es ist die Frage, inwieweit die erzwungene und letztlich einfallslose Dramatik, die über die Astronauten den Tod bringt, wirklich nötig ist; die Chance, die erste Begegnung der Menschheit mit außerirdischem Leben endlich einmal als fesselndes Ereignis zu erzählen, das den Horizont des Menschen erweitert, ohne in esoterische Spinnereien abzurutschen, wurde leider auch hier nicht genutzt.
So summieren sich die Gefahren und Unfälle, die der Europa One-Crew widerfahren, zu einem tödlichen Fiasko, das am Ende niemanden entkommen lässt. Ein Sonnensturm beschädigt die Kommunikationseinrichtungen der Europa One, sodass die Verbindung mit der Erde gekappt ist. Den ersten Astronauten verliert die Mannschaft bei einem Reparaturversuch an der Außenhülle des Schiffs. Später, als das Team auf Europa gelandet ist, geschehen neue Unfälle und Katastrophen, durch die weitere Astronauten sterben; am Ende wird kein einziger überleben. Die Verquickung mit Erzählmustern des Horrorfilms wirkt gezwungen, und die Häufung der Desaster, die der Mannschaft widerfahren, bleibt unglaubwürdig. Dennoch gelingt Cordero, trotz oder gerade wegen seines lakonischen, kammerspielartigen Stils, das Ganze mitreißend und spannend zu erzählen, wobei der pulsierende, minimalistische Score von Bear McCreary (Battlestar Galactica) die schwelende Spannung perfekt unterstreicht. Ein brillant inszenierter Höhepunkt in dieser Hinsicht ist der erste Unfall beim Außenbordeinsatz, der in dem eindrucksvollen Bild kulminiert, wie der nicht mehr zu rettende Astronaut James (Sharlto Copley) in der Leere des Alls immer weiter von der Europa One fortdriftet, bis das Raum-schiff nur noch zu einem fernen Punkt geschrumpft ist. Ein anderes Highlight ist der langsame Sinkflug der Landekapsel über Europa, gezeigt aus der Perspektive des Mutterschiffs im Orbit, eine ungemein fesselnde Szene, obwohl gar keine unmittelbare Gefahr droht und das Manöver am Ende auch gelingt. In alledem eine Parabel auf die übermenschliche, oft tödliche Anstrengung zu sehen, die das Vordringen ins Unbekannte bedeutet, führte allerdings zu weit – auch wenn die Pilotin Rosa, in gewisser Hinsicht die Hauptfigur des Films und letzte Überlebende der Mission, in einer Szene erklärt: „Verglichen mit den Entdeckungen, die wir machen können – was bedeutet da dein Leben?“
Das Abenteuer der Raumfahrt selbst, der Vorstoß des Menschen in das äußere Sonnensystem, ist das eigentliche Thema von Europa Report, und Cordero ergreift in eindrucksvollen Bildern immer wieder die Gelegenheit, das Wunder des Kosmos, seine Leere und Weite zu unterstreichen und den Entdeckergeist der Wissenschaftler zu feiern, die sich in diese fremde Weite hinauswagen. Bei allen Konflikten und allem Horror durchzieht ständig ein Sinn für das Staunen den Film, die Quelle jeglichen Forscherdrangs. Trotz aller Rückschläge glaubt die Crew der Europa One unbeirrbar an die wunderbaren Entdeckungen, die sie machen kann, und verfolgt dieses Ziel bis zum Schluss. Es lockt nichts Geringeres als das Auffinden von außerirdischem Leben, die Beantwortung der Frage: „Sind wir allein?“, wie James in einem Interview formuliert. Katya erklärt in einem anderen Interview begeistert, dass die Antwort die „größte Entdeckung in der Geschichte der Menschheit“ sein könnte. Als Katya später endlich im Raumanzug auf dem Eis von Europa steht, sagt sie ehrfurchtsvoll: „Ich kann nicht glauben, dass wir tatsächlich hier sind“; die Landschaft erscheint ihr „überirdisch schön“.
Die idealistische Haltung zum Pioniergeist der Wissenschaft lässt Europa Report fast altmodisch erscheinen; die Philosophie des Films knüpft an die Tradition des wissenschaftsgläubigen Golden Age der Science-Fiction an und hat mit der jüngeren Science-Fiction à la Philip K. Dick, in der Realitäten und Identitäten vexieren und Sinnfragen im Vordergrund stehen, wenig zu schaffen. Jamesʼ Verzweiflung im Angesicht des eigenen Todes, sein unvollendeter Satz: „Ich dachte, ich könnte etwas Großes für die Menschheit leisten, und ich dachte, es wäre das Risiko wert, aber . . .“, bleibt ohne Konsequenzen für die Einstellung der anderen Raumfahrer. Ob man diese ältere Science-Fiction, die das Staunen und den Idealismus noch nicht verlernt hat, mag oder nicht, liegt bei jedem Zuschauer selbst – mir persönlich gefällt sie außerordentlich. Nichtsdestotrotz irritiert es schon, wie sorglos die Forscher auf Europa durch die Eiskruste bohren und in ein fremdes Ökosystem eindringen, wobei sie offenbar keinen Gedanken daran verschwenden, dass sie es mit irdischen Bakterien kontaminieren könnten.
Bei allem Streben nach wissenschaftlicher Seriosität leistet sich Europa Report allerdings auch ärgerliche Unglaubwürdigkeiten. Der gröbste Fehler betrifft die Eisdicke auf Europa. Über sie gibt es verschiedene Theorien. Manche Forscher gehen von einer Eisdicke von bis zu 30 Kilometern aus, aber selbst optimistischere Modelle, die mit „dünnem“ Eis rechnen, vermuten immer noch eine Dicke von ein bis zwei Kilometern. In Europa Report hingegen ist das Eis im sogenannten Conomara-Chaos, einer Zone starker Verwerfungen, nur wenige Zentimeter (!) dick, sodass die Forscher die Lebe-wesen im Wasser darunter leuchten sehen können und die Astronautin Katya sogar plötzlich im Eis einbricht. Enttäuschend ist die dramatische Auflösung des großen Mysteriums, mit dem die Astronauten auf Europa zu kämpfen haben. Was ist dieses undeutliche Licht, das auf den U-Boot-Roboter zurast, mit dem die Crew den Ozean unter dem Eis erforscht, und warum vernichtet dieses Licht erst den Roboter und später mehrere Crewmitglieder, die sich auf die Oberfläche des Eises hinauswagen? Erst in der allerletzten Einstellung des Films wird das Rätsel gelöst: Mit dem in die geöffnete Landekapsel einströmenden Wasser schnellt eine Art Tiefsee-Kraken mit lichterzeugenden Organen auf Rosa zu, die als letztes Crewmitglied sterben muss. Ist die Kreatur an sich noch halbwegs glaubwürdig, bleibt ihr aggressives Verhalten gegen Maschinen und Menschen allerdings ungeklärt und ist in einem Film, der nicht wie Ridley Scotts Alien (1979) in erster Linie auf Horror, sondern auf die die Darstellung der Faszination Raumfahrt aus ist, höchst unbefriedigend.
Trotz der diskutierten Defizite bleibt Europa Report ein wunderbarer, fesselnder Beitrag zum Subgenre des Raumfahrtfilms und der Hard-SF – ein spannendes Abenteuer mit überzeugenden Schauspielern und technisch tadelloser Finesse, das Filmen wie Moon und Sunshine allemal ebenbürtig ist.
© Michael Haul
Veröffentlicht auf Astron Alpha am 12. März 2017
Szenenfotos © Ascot Elite Home Entertainment