Die Zeitmaschine

DVD-Cover zum Film "Die Zeitmaschine" (The Time Machine, USA 1960) von George Pal

The Time Machine (USA 1960)

 

Regie: George Pal

Drehbuch: David Duncan, nach dem Roman The Time Machine (1895) von Her­bert George Wells

Kamera: Paul Vogel. Schnitt: George Tomasini

Musik: Russell Garcia

Darsteller: Rod Taylor (George), Yvette Mimieux (Weena), Alan Young (David Filby/James Filby), Sebastian Cabot (Dr. Philip Hillyer), Tom Helmore (Anthony Bridewell), Whit Bissell (Walter Kemp), Doris Lloyd (Mrs. Watchett) u. a.

Produzent: George Pal

Companies: George Pal Productions; Galaxy Films Inc.; MGM (Verleih)

Laufzeit: 103 Minuten; Farbe

Premiere: 25. Mai 1960 (Italien); 22. Juli 1960 (USA); 2. September 1960 (Deutschland).

 

Am Silvesterabend 1899 hat der junge Erfinder George eine Handvoll Freunde in sein Londoner Haus eingeladen. Er konfrontiert sie mit der Behauptung, dass ihm die Konstruktion einer Maschine gelungen sei, mit der er durch die Zeit reisen könne. Seine Gäste sind skeptisch. George öffnet eine Schatulle mit einer Miniaturanfertigung seiner Maschine, die aussieht wie ein üppig verzierter Holzschlitten mit einer rotierenden großen Scheibe, die senkrecht am hinteren Ende angebracht ist. Er aktiviert das Modell, das kurz darauf verschwindet – weil es, wie George versichert, in die Zu­kunft gereist ist. Seine Freunde halten alles für einen Trick und verabschieden sich bald darauf. George jedoch, der seine gegenwärtige Epoche, in der ständig Kriege toben, verachtet, reist noch am selben Abend mit seiner Zeitma­schine in die Zukunft.

 

George erlebt, wie um ihn herum die Zeit vorbeirast. Im Jahr 1917 hält er ein erstes Mal an und trifft auf den inzwischen erwachsenen Sohn seines Freundes David Filby. Er erfährt von ihm, dass sich England im Krieg mit Deutschland befin­det und David ein Jahr zuvor an der Front gefallen ist. George reist weiter. Im Jahre 1940 wird er Zeuge der Bombardie­rung Londons. Bei seinem nächsten Halt 1966 herrscht schon wieder Krieg, und George erlebt, wie London von einem Atomschlag vernichtet wird. Da die Atomexplosion den Boden aufreißt und George mit seiner Zeitmaschine völlig von Lava eingeschlossen wird, flieht er viele Jahrtausende weiter in die Zukunft, bis schließlich Wind und Wetter das Lava­gestein wieder abgetragen haben und George eine wieder ergrünte Landschaft erblickt. George jagt weiter in die Zu­kunft und sieht in Zeitraffer neue Städte entstehen und wieder vergehen. Schließlich hält er im Jahre 802701 an.

 

Die Landschaft ist ein üppig grünendes, friedliches Paradies, in der George nach einiger Suche auch auf Menschen trifft – zierliche, blonde Wesen, die sich selbst Eloi nennen. Er muss jedoch schon bald enttäuscht erkennen, dass die Eloi außerstande sind, ihm von irgendwelchen Errungenschaften der Zukunft zu berichten – sie führen ein völlig anteil­nahmsloses Leben in ewigem Müßiggang, kennen keine Arbeit, keine Kunst, keine Kultur und wissen nichts über ihre Geschichte. Alles, was die Eloi zum Leben brauchen, erhalten sie von den Morlocks, eine zweite, degenerierte Men­schenrasse, die sich schon vor Jahrtausenden von den Eloi abgespalten hat und in Höhlen tief unter der Erde lebt. Die Eloi sind den Morlocks untertan und nichts weiter als Mastvieh; regelmäßig werden mehrere Eloi mit Sirenengeheul hypnotisch in die Höhlen gerufen, um dort den Morlocks als Nahrung zu dienen. George beschließt, zu handeln . . .

 

George Pals Meisterwerk – ein naives, sehnsüchtiges Zeitreise-Abenteuer

 

H. G. Wellsʼ Roman Die Zeitmaschine (1895) zählt zu den brillantesten Klassikern der Science-Fiction-Literatur und wur­de schon mindestens viermal für das Kino und das Fernsehen adaptiert. Im Januar 1949 strahlte die BBC mit der 60-minütigen Live-Produktion The Time Machine eine erste TV-Adaption mit Russell Napier (1910–1974) als Zeitreisenden und Mary Donn als Weena aus; von dieser Sendung sind, wie in der Frühzeit des Fernsehens üblich, keine Filmkopien gemacht worden, sodass nur ein paar überlieferte Fotos einen Eindruck davon geben, wie sie ausgesehen hat. Eine weitere Adaption fürs Fernsehen inszenierte Henning Schellerup (1928–2000) mit dem glanzlosen Film Die Zeitmaschi­ne (1978). Und als modernen CGI-Blockbuster drehte Simon Wells (geb. 1961), ein Urenkel von H. G. Wells, mit Unter­stützung von Gore Verbinski (geb. 1964) das 85 Millionen Dollar teure und schicke, kommerziell allerdings floppende Re­make The Time Machine (2002).

Szenenfoto aus dem Film "Die Zeitmaschine" (The Time Machine, USA 1960) von George Pal; Whit Bissell, Rod Taylor, Sebastian Cabot, Tom Helmore und Alan Young
Georges Gäste bestaunen in seinem behaglichen viktorianischen Haus, das voller Uhren ist, sein Zeitmaschinen-modell (v. l. n. r. Whit Bissell, Rod Taylor, Sebastian Cabot, Tom Helmore und Alan Young)

Die mit Abstand beste Adaption von Wells’ Roman aber ist zweifellos die klassische Verfilmung vom Produzenten und Regisseur George Pal (1908–1980) von 1960. Sein wunderschöner, von einem warmen, humanistischen Ton getragener Film ist bis heute die gelungenste Umsetzung des Romans geblieben und wird noch immer von vielen Aficionados ge­schätzt, ja, von einigen sogar leidenschaftlich geliebt. Der Film prunkt mit einer liebevollen Ausstattung, schönen, in Metrocolor gefilmten Tricks und matte shots, einer naiven, nostalgisch angehauchten Atmosphäre und einer eindrück­lichen Fantasie von der fernsten Zukunft der Menschheit. Bei einem Budget von etwa 750.000 Dollar spielte der Film mehr als 2,6 Millionen Dollar ein und war damit George Pals kommerziell erfolgreichster Film.

 

Einerseits bleibt der Film in vielen Details dem originalen Erzählstoff treu und belässt ihn auch in seinem originalen zeitlichen Rahmen, den 1890er-Jahren. Andererseits haben sich viele Kritiker an den tiefgreifenden Änderungen gerie­ben, die George Pal und sein Drehbuchautor David Duncan (1913–1999) an der Erzählung der Vorlage vornahmen. Wellsʼ Roman ist nicht nur die literarisch gekonnte Ausformulierung einer faszinierenden wissenschaftlichen Spekulation, er ist vor allem eine gallige sozialkritische Satire, die sich gegen das Klassengefüge der viktorianischen Gesellschaft rich­tete. Die Eloi und Morlocks sind bei Wells darwinistische Karikaturen, die sich durch eine über viele Jahrhunderttau­sende vollziehende biologische Evolution aus den Klassen der Oberschicht und der Arbeiter entwickelt hatten. Als de­generierte Endstufen in einer fernen Zukunft stehen sie für eine nichtsnutzige, völlig verweichlichte und verdummte Oberschicht und eine rohe, zunehmend gewalttätig gewordene und als Abschaum gefürchtete Arbeiterschicht. Wellsʼ Zeitreisender (dessen Name der Leser nicht erfährt) tritt als ein passiver Beobachter in Erscheinung, der die zunächst völlig rätselhaften Zustände einer Zukunft zu verstehen versucht, deren deprimierende Wahrheit er dann nach und nach aufdeckt. Auch wenn er schließlich gegen die Morlocks um sein Überleben kämpfen muss und somit zum Han­deln gezwungen wird, weiß er, dass er nichts an den generellen Zuständen dieser Zukunft ändern kann.

 

In George Pals Film sind die Eloi und Morlocks hingegen die Folge eines über 326 Jahre währenden bakteriologischen Vernichtungskrieges; eine evolutionäre Entwicklung wird also auch hier vorausgesetzt, die allerdings allein mit Muta­tionen motiviert wird, die von B-Waffen verursacht worden sind. Die klassenkämpferische Satire ist getilgt, und aus dem passiven Zeitreisenden des Romans wurde ein kämpferischer Held amerikanischen Zuschnitts, der die Eloi rettet, sie aus ihrer Lethargie reißt, mit ihrer Hilfe die Morlocks vernichtet und schließlich als Kulturheros eine neue Zivilisa­tion aufbaut.

 

Der positive Ausgang nimmt in einem Film von George Pal kaum Wunder, der als gläubiger Katholik wie kein Zweiter in seinen Science-Fiction-Filmen emphatisch die christliche Botschaft von Glaube, Liebe und Hoffnung artikulierte. Schon in seinem modernen Sintflutmärchen Der jüngste Tag (1951), bei dem schon die literarische Vorlage When Worlds Collide (1932/1933) von Edward Balmer und Philip Wylie den naheliegenden Bezug zu biblischen Weltunter­gangserzählungen nutzte, deutete George Pal das Geschehen in christlichen Kategorien und setzte an das Ende des Films einen hoffnungsvollen neuen Anfang. Dasselbe gilt für Kampf der Welten (1953), George Pals erster Adaption eines Romans von H. G. Wells, in der er den Niedergang der angreifenden Aliens durch irdische Bakterien als die gött­liche Erhörung der verzweifelten Gebete der Menschen darstellte, während in Wellsʼ Roman die Bezeichnung der töd­lichen Bakterien als „die niedrigsten Wesen, die Gott in seiner Weisheit ins Leben gerufen hat“ (Krieg der Welten, S. 313) gemeinhin als ironischer Scherz des Atheisten Wells interpretiert wird. Sozialkritik lag George Pal fern; ihn interes­sierte das Fantastische an der Erzählung und die Meditation über das Wesen der Zeit, das sie eröffnete.

Szenenfoto aus dem Film "Die Zeitmaschine" (The Time Machine, USA 1960) von George Pal; Rod Taylor und die Zeitmaschine
George (Rod Taylor) tritt seine abenteuerliche Zeitreise in der wunderschön gestalteten Zeitmaschine an

Wenig Sorgen über mögliche Verfälschungen des literarischen Erbes machten sich offenbar auch die Hinterbliebenen von H. G. Wells, die die Rechte an Wells’ Werken hielten. Nach dem glänzenden Erfolg von George Pals Kampf der Wel­ten offerierten sie dem Filmemacher, einen weiteren Science-Fiction-Roman von Wells zu verfilmen. Pal wählte Die Zeitmaschine und beauftragte bereits 1956 David Duncan mit dem Verfassen eines Drehbuchs. Die Realisierung des Films gelang allerdings erst drei Jahre später, als George Pal einen Vertrag mit MGM über das Projekt abschließen konnte; die Dreharbeiten fanden Mitte 1959 auf dem MGM-Studiogelände in Culver City statt.

 

David Duncan war ein erfolgreicher Schriftsteller, der sich in verschiedenen Genres zuhause fühlte und seit seinem Roman Dark Dominion (1954) auch eine Reihe hervorragender Science-Fiction-Romane geschrieben hatte. Seit 1953 verfasste er auch Drehbücher. Zu seinen Drehbüchern für Science-Fiction-Filme, die allerdings nicht selten verworfen oder von anderen Autoren umgeschrieben wurden, zählen Alarm für Sperrzone 7 (1957), The Black Scorpion (1957), Der Schrecken schleicht durch die Nacht (1958) und The Leech Woman (1960); seine berühmtesten Drehbücher aber ver­fasste er für George Pals Die Zeitmaschine und für Richard Fleischers Die phantastische Reise (1966). In einem Inter­view mit Tom Weaver erklärte Duncan, dass die Zusammenarbeit mit George Pal an Die Zeitmaschine großartig gewe­sen sei und ihm beim Schreiben des Drehbuchs keine Beschränkungen auferlegt gewesen waren, dass er allerdings öfters die Arbeit mit Pal diskutierte. Insofern ist davon auszugehen, dass Pal einen entscheidenden Einfluss auf die Ab­weichungen vom Originalroman hatte, insbesondere in Hinblick auf die Erklärung, wie die Eloi und Morlocks entstan­den waren, und den positiveren Schluss der Geschichte.

 

Filmische Adaptionen haben prinzipiell durchaus das Recht, den aufgegriffenen Erzählstoff neu zu interpretieren und umzuformulieren; was dabei entsteht, sollte nicht allein nach der literarischen Vorlage, sondern zunächst einmal nach eigenen, internen Kriterien gemessen werden. Geschieht dies nicht, führt die Kritik zwangsläufig zu Verzerrungen und Fehlurteilen. So ist es beispielsweise keineswegs so, wie Ronald M. Hahn und Volker Jansen sich empören, dass „in George Pals buntem Abenteuerfilm die Bourgeoisie über eine als vertierte Schicht von Untermenschen dargestellte Gruppe von monströsen, menschenfressenden Bewohnern der Unterwelt [siegt]“ (Lexikon des Science Fiction Films, 7. Aufl., S. 1042). Denn tatsächlich wird in George Pals Film nirgends mehr ausgesagt, dass die Eloi für die Burgeoisie und die Morlocks für die Arbeiterklasse stehen; sie sind einfach nur zwei verschiedene, durch einen Krieg entstandene Menschenrassen. Dass die Eloi über eine uralte Bibliothek verfügen und in der lichten Oberwelt leben, die Morlocks hingegen Maschinen betreiben, Kleidung und Gebrauchsgegenstände für die Eloi produzieren und in einer deprimie­renden Unterwelt schuften, sind zwar starke Fingerzeige auf den ursprünglichen Sinngehalt – in Hinblick auf die im Film ausformulierte Geschichte erscheinen sie allerdings auch sinnentleert. Dem Film nach hatte sich nämlich nach dem 326 Jahre währenden Krieg ein Teil der Menschheit frei dazu entschlossen, in die Unterwelt hinabzusteigen, um dort vor der verseuchten Oberfläche Sicherheit zu finden (mit mäßigem Erfolg allerdings), während der andere Teil auf der Oberfläche zurückblieb.

Szenenfoto aus dem Film "Die Zeitmaschine" (The Time Machine, USA 1960) von George Pal; Rod Taylor und Yvette Mimieux
Die "sprechenden Ringe" sind eine simple, aber originelle Idee für einen Computer der Zukunft. Yvette Mimieux und Rod Taylor erwiesen sich als Idealbesetzungen in ihren Rollen als Weena und den Zeitreisenden

Die Modernisierung der Fabel, die jetzt allegorisch ganz auf die Atomkriegsangst der Fünfziger- und Sechzigerjahre gemünzt ist, schuf keine direkte Unlogik, riss jedoch zumindest logische Leerstellen. So wird keine Erklärung mehr da­für angeboten, warum die Eloi ein süßes Leben des Nichtstuns leben, während die Morlocks für die Eloi unterirdische Maschinen betreiben und für die Eloi schuften. Auch fragt sich, weshalb die Vorfahren der Morlocks ihre Höhlen nie wieder verlassen haben, wenn sie doch der neuen Fabel gemäß nicht versklavt waren und die Vorfahren der Eloi ihnen bewiesen, dass ein Überleben auf der Oberfläche weiterhin möglich war. Es heißt im Film lediglich, dass „ein teuflischer Einfall des Schicksals“ (im englischen Original “by some awful quirk of fate”) die Morlocks zu den Herren und die Eloi zu ihren Sklaven gemacht hätte. Im Detail knirscht es also zwischen H. G. Wells’ sozialkritischem Entwurf und David Dun­cans und George Pals pazifistischer Botschaft. Grosso modo wird die neue Moral von der Geschicht’ im Film jedoch durchaus effektiv gehandhabt und transportiert. George beklagt zu Beginn des Films, dass er seine eigene Zeit verab­scheut, weil sie ständig nur Kriege hervorbringe und von den Wissenschaftlern neue, effizientere Waffen fordere. Obendrein scheinen die meisten Menschen kein Problem damit zu haben, am Krieg zu verdienen. Selbst seine anwe­senden Freunde empfehlen George, seine unnützen Zeitreise-Experimente aufzugeben und seinen Erfindergeist statt­dessen in den Dienst des Kriegsministeriums zu stellen. Georges Zwischenstopps auf seiner Zeitreise in den Jahren 1917, 1940 und 1966 zeigen ihm jedesmal nur ein England, das sich in einem Weltkrieg befindet. Diese Zwischenstopps fehlen übrigens in Wells’ Roman und sind eine gelungene Erweiterung, denn sie lassen den Zeitreisenden in direkten Kontakt mit der uns bekannten „Zukunft“ dieser Jahre treten; der Besuch im Jahr 1966 atmet sogar einen Hauch Futu­rismus. Im Jahre 802701 muss George dann feststellen, dass die langen Schatten des totalen Vernichtungskrieges bis in die fernste Zukunft reichen und die Menschheit degeneriert haben.

 

Es bleibt etwas unklar, wann genau sich dieser 326 Jahre währende Krieg, der die Erde bakteriologisch verseucht und die Degeneration zu Morlocks und Eloi ausgelöst hat, zeitlich einzuordnen ist, aber höchstwahrscheinlich ist er die di­rekte Fortsetzung des Atomkrieges gewesen, den George im Jahre 1966 beobachtet. Denn der Chronist, der seinen Bericht vom Ende des 326-Jahre-Krieges auf einem „sprechenden Ring“ – einer höchst originellen Idee für einen Com­puter der Zukunft – aufgezeichnet hat, erzählt davon, dass in diesem verheerenden Krieg noch immer der Westen und der Osten gegeneinander gekämpft hätten, womit wohl die zeitgenössischen Machtblöcke des 20. Jahrhunderts ge­meint sein dürften. Zwar sieht George während seines rasenden Fluges durch die Zeit, dass sich die Menschheit nach dem Krieg von 1966 – ob er nun mit dem 326-Jahre-Krieg identisch ist oder nicht – wieder erholte und prachtvolle, fu­turistische Städte errichtete, die wuchsen und wieder vergingen. Offenbar erlebte die menschliche Zivilisation Jahr­tausende nach diesem Krieg eine oder mehrere erneute Blüten. Die „sprechenden Ringe“ aber, von denen George vom 326-Jahre-Krieg erfährt, befinden sich in der Ruine eines Museums der letzten hochkulturellen Phase der oberirdischen Menschheit. Das bedeutet, dass der 326-Jahre-Krieg nicht am Ende dieser letzten hochkulturellen Phase angesiedelt werden kann, da er zu diesem Zeitpunkt schon seit Langem geschichtlich war. Freilich bedeutet das auch, dass der biologische Niedergang der an der Oberfläche lebenden Bevölkerung sehr schleichend und langsam und trotz des kul­turellen Wiederaufstiegs vonstatten gegangen sein muss und erst sehr spät, gewiss erst nach dem Niedergang der letzten Hochkultur, zu den stumpfen, fast kulturlosen Eloi führte – ein etwas unglaubwürdiges Szenario und eine wei­tere Schwachstelle, die sich aus der Modernisierung des Stoffes ergibt.

 

Ein weiterer großer Unterschied zum Roman ist, dass der Film die deprimierende letzte Etappe der Zeitreise weglässt. Wells’ Zeitreisender flieht aus dem Jahr 802701 weiter in die fernste Zukunft und schließlich an das Ende aller irdischen Zeit: Auf der Erde, an deren Himmel eine ausgebrannte Sonne langsam verdimmt, leben am trostlosen Strand eines stillen Meeres nur noch riesige Krebstiere und wachsen wenige Flechten und Moose; alles andere Leben, auch die Nachfahren der Eloi und Morlocks, sind seit Ewigkeiten ausgestorben. George Pal hatte in späteren Jahren zwar stets mit der Idee einer Fortsetzung seines Films gespielt, die eventuell auch diese letzte Episode der Wells’schen Zeitreise gezeigt hätte. Es entstanden mehrere Drehbuchentwürfe, doch hatte Pal zu jener Zeit bereits generell Schwierigkei­ten, in Hollywood noch ein Studio für seine verschiedenen Filmideen zu interessieren, und aus dem Sequel wurde schließlich nichts. Überhaupt war Die Zeitmaschine George Pals letzter großer Science-Fiction-Film und zugleich ne­ben Kampf der Welten sein größter künstlerischer Triumph; seine nachfolgenden Filmprojekte (es waren derer nur noch vier) mussten mit kleineren Budgets auskommen und erreichten auch nie wieder die klassische Brillanz, die Pals naive Science-Fiction-Abenteuer der Fünfzigerjahre auszeichneten.

 

Nostalgischer Charme

 

Ungeachtet aller Abwandlungen des originalen Erzählstoffs ist Die Zeitmaschine ein bezaubernder Science-Fiction-Film, der mit einer wunderschönen Ausstattung aus nostalgischem viktorianischen Design und einer eindrucksvollen Zukunftsvision besticht. Insbesondere die Zeitmaschine selbst, in enger Abstimmung mit George Pal entworfen und gebaut von MGMs Art Director Bill Ferrari (1901–1962), ist eine prachtvolle, fantastische Kreation: ein Schlitten aus Holz, Kupfer und Messing, mit einem plüschigen roten Sessel und mit üppigem viktorianischen Dekor versehen, mit blinkenden Anzeigen, rotierenden Zeitskalen und einem kristallenen Hebel, über den die Fahrt in die Zukunft oder die Vergangenheit gesteuert wird. Hinter dem Sessel ist senkrecht eine große, mit Arabesken verzierte Kupfer­scheibe an­gebracht, die während der Zeitreise rotiert und deren Drehrichtung mit der Richtung in der Zeit und Drehgeschwin­digkeit mit dem Tempo der Reise korrespondiert. Die Zeitmaschine entspricht ziemlich genau der Beschrei­bung der Zeitmaschine in H. G. Wells’ Roman – so erwähnt Wells an einer Stelle sogar, dass seine Zeitmaschine über Kufen ver­fügt. Ein Messingschild am Armaturenbrett der Maschine verkündet in geschwungenen Lettern: “Manufactu­red by H. George Wells” und verneigt sich damit vor dem großen Autor. Heute ist die Zeitmaschine eines der berühm­testen Props aus der Geschichte des Science-Fiction-Kinos, das die Zeiten überdauert hat.

Szenenfoto aus dem Film "Die Zeitmaschine" (The Time Machine, USA 1960) von George Pal; Morlocks
Die Kostüme der Morlocks sind vielleicht absurd, aber beileibe nicht so schlecht geraten, wie oft behauptet wird

Die Sequenzen, die George auf seiner Zeitreise im Schlitten zeigen, während um ihn herum die Zeit immer schneller verläuft – Uhren rasen, Kerzen verbrennen im Zeitraffer, Pflanzen blühen und verblühen in Sekunden, die Sonne fegt über den Himmel und geht in einem immer schnelleren Blitzen auf und unter, während die Schaufensterpuppe im Laden gegenüber im Sekundentakt die Mode wechselt – sind exzellente tricktechnische Leistungen, die zu Recht ein Jahr später mit dem Oscar für die Spezialeffekte belohnt wurden. Die Effekte umfassten nicht nur Zeitraffer-Aufnah­men, Stop-Motion-Animation und animierte Serien von Ölmalereien für heranreifende Äpfel an Baumästen, sondern auch aufwendige, bewegliche Installationen für die mit Filtern manipulierte Beleuchtung, denn auch die Lichtfarbe und der Schattenwurf des Zeitreisenden mussten sich in immer rascherem Tempo verändern und mit der über dem Zeitreisenden vorbeirasenden Sonne synchronisiert werden. Eindrucksvoll sind auch die mattes für die sich wandelnde Skyline der Stadt in den Jahren 1917, 1940 und 1966, die George kurz besucht, auch wenn des Öfteren die matte-Linien deutlich erkennbar sind. Die Tricks für die atomare Zerstörung im Jahr 1966 lassen leider zu sehr erkennen, dass sie mit Modellbauten in kleinem Maßstab ausgeführt wurden – ihre blubbernden Lavaströme, die wie rötlich glühende Mar­melade aussehen, sind andererseits aber auch recht typisch für einen George-Pal-Film.

 

Die Welt des Jahres 802701 präsentiert sich als ein üppiger, paradiesischer Garten, in dem die kühnen Ruinen der Pa­läste und Großbauten der letzten menschlichen Zivilisation, bevor sie zu Eloi degenerierte, verstreut sind. Sie bildet eine fantastische, einfallsreich dekorierte und mit gelungenen mattes ergänzte Kulisse, die die Imagination fesselt und eine zunehmend unbehagliche Atmosphäre verströmt, je mehr die irritierenden desolaten Zustände der Zukunft offenbar werden – vor allem hierin wirkt der Film noch immer erstaunlich modern. Pals scheinbar paradiesisches Dys­topia nimmt manch ähnlich gestaltetes Szenario in späteren Science-Fiction-Filmen vorweg; so erinnern die Szenen der selbstvergessenen Bankette der Eloi beispielsweise an eine ganz ähnliche Szene in John Boormans Zardoz (1973). Besonders unheimlich ist die Szene, in der die grimmige, gewaltige „Sphinx“ der Morlocks mit heulenden Sirenen nach den Eloi ruft, die daraufhin hypnotisiert über die große Freitreppe ihres Domizils strömen und durch das Tor der Sphinx in die Unterwelt trotten, wo sie von den Morlocks gefressen werden – bis das Tor sich schließt, die Sirenen verstum­men und der Bann auf die übrig gebliebenen Eloi gebrochen ist. Das Design der Morlocks selbst als hässliche grüne Gorillawesen mit weißem Zottelhaar und bedrohlich glühenden Augen – ebenfalls ziemlich nah an der literarischen Vorlage – wurde schon oft als übertrieben kritisiert, doch ist es nach meinem Dafürhalten noch ziemlich gut und glaubwürdig umgesetzt worden.

 

Die Darsteller verkörpern ihre Rollen ausnahmslos gut. Der gebürtige Australier Rod Taylor (1930–2015) spielt den frei­geistigen Forscher und Tüftler, der sich in seinem fantastischen Abenteuer in der Zukunft zum Helden und Retter der Welt aufschwingt, mit Lebendigkeit und glaubwürdigem Engagement. Sein unverschämt gutes Aussehen und sein männlicher, muskulöser Körperbau entsprechen zwar nicht der Klischeevorstellung eines verschrobenen viktoriani­schen Wissenschaftlers – eher der des anachronistischen all american hero –, aber seine offene, positive Ausstrahlung, seine menschliche Wärme und sein ehrlicher, wehmütiger Idealismus gewinnen ihm die Sympathie des Publikums und erfüllen die Figur mit Persönlichkeit. Die Zeitmaschine war der erste Film, in dem Rod Taylor die Hauptrolle spielen durfte. Kurioserweise hatte Taylor bereits ein paar Jahre zuvor in Planet des Grauens (1956) in einem Zeitreisefilm mit­gewirkt; während der Dreharbeiten zu diesem Film lernte er George Pal kennen. Planet des Grauens ist in Teilen eine verdrehte Imitation von H. G. Wells’ Zeitmaschine – so leben dort beispielsweise genau umgekehrt die verrohten Steinzeitmenschen, die den Morlocks entsprechen, auf der Oberfläche und das zivilisierte Menschenvolk, das den Eloi entspricht, unter der Erde.

Szenenfoto aus dem Film "Die Zeitmaschine" (The Time Machine, USA 1960) von George Pal; die Eloi vor der Sphinx
Die blonden Eloi werden hypnotisch mit Sirenen zur morlockschen "Sphinx" gerufen

Georges Sehnsucht nach einer besseren Zeit, die ihn am Ende des Films wieder in das 803. Jahrtausend zurückkehren lässt, um dort gemeinsam mit Weena eine neue Zukunft für die Menschheit aufzubauen, trägt einen anrührenden, wehmütigen Ton in den Film. Reflektiert wird dieser Ton in den Dialogen Rod Taylors mit Alan Young (1919–2016), der Georges warmherzigen Freund David Filby bzw. dessen Sohn James spielt. David ist der einzige von Georges Dinner­gästen, der seinen Skeptizismus überwindet und sich davon überzeugt, dass George tatsächlich durch die Zeit reisen kann. Er warnt ihn vergeblich davor, mit den Mysterien der Zeit zu spielen – Zeitreiseparadoxa werden hier nur theo­retisch berührt – und ruft ihn auch vergeblich dazu auf, die Probleme der Gegenwart, die George verabscheut, besser im Hier und Jetzt zu lösen. Er kann den Zeitreisenden allerdings nicht aufhalten. „Nun, er hat tatsächlich alle Zeit der Welt“ (im Original: “Well, he’s got all the time of the world”) resümiert Filby am Ende über den für immer verschwun­denen, schmerzlich vermissten Freund.

 

Die bezaubernd hübsche Yvette Mimieux (geb. 1942) hatte gerade einen Vertrag bei MGM unterzeichnet und war erst 17 Jahre alt, als sie die Rolle der Weena in Die Zeitmaschine spielte. Als Schauspielerin war sie vollkommen unerfahren und innerlich unsicher, doch wurde schon oft und zu Recht festgestellt, dass ihre daraus resultierende naive, unschul­dige und immer etwas zurückhaltende Art und Weise perfekt zu ihrer Rolle passte. Die sich entwickelnde Zuneigung zwischen ihr und dem Zeitreisenden wird wohltuend zurückhaltend gehandhabt – anders könnte es auch kaum sein, so fremd, wie sich beide Welten, aus denen George und Weena kommen, noch sind.

 

Im Einzelnen ließen sich durchaus noch logische Ungereimtheiten im Film aufzeigen. Warum zum Beispiel sprechen die Eloi noch nach 803 Jahrtausenden Englisch? Warum verstehen sie abstrakte Begriffe wie „Regierung“ und „Gesetze“ – die es bei ihnen nicht gibt –, wenn sie keine Bücher lesen können? Und wie kann George nach seinem heldenhaften Kampf gegen die Morlocks und die Ausräucherung ihrer fußläufig erreichbaren Höhlen davon ausgehen, dass er die Morlocks vernichtet habe? Im Rest der Welt dürfte es noch viel mehr von ihnen geben. Doch all das ist nebensächlich und trübt nicht das Vergnügen an diesem fantasievollen, liebevoll gemachten Science-Fiction-Film. Die Zeitmaschine ist ein warmherziges, ja, fast magisches Science-Fiction-Abenteuer mit erstklassigen Spezialeffekten, tollen Darstellern und einer fesselnden, ungewöhnlichen dystopischen Story, die trotz ihrer Abweichungen von H. G. Wells’ sozialkriti­scher Fabel und einiger logischer Holprigkeiten zu überzeugen vermag. Der Film ist nicht nur George Pals bester Science-Fiction-Film neben Kampf der Welten; er ist einer der besten, unterhaltsamsten und anrührendsten Klassiker des Science-Fiction-Kinos insgesamt – ein sehenswertes Vergnügen, auch heute noch.

 

 

© Michael Haul; veröffentlicht auf Astron Alpha am 24. November 2017