Der Tag, an dem die Erde stillstand

The Day the Earth Stood Still (USA 1951)

 

Regie: Robert Wise

Drehbuch: Edward H. North, nach der Kurzgeschichte Farewell to the Master (1940) von Harry Bates

Darsteller: Michael Rennie (Klaatu), Patricia Neal (Helen Benson), Hugh Marlowe (Tom Stevens), Lock Martin (Gort), Sam Jaffe (Prof. Jacob Barnhardt), Billy Gray (Bobby Benson), Francis Bavier (Mrs. Barley) u. a.

Produzent: Julian Blaustein

Company: Twentieth Century Fox

Laufzeit: 92 Minuten, Schwarzweiß

Premiere: 18. September 1951 (USA); 2. Mai 1952 (Deutschland)

 

Ein UFO landet in der US-Hauptstadt Washington und wird sofort von militärischen Kräften umstellt. Als der Außerir­dische Klaatu – ein stattlicher Mann mit sanften Gesichtszügen – das Schiff verlässt und den Menschen ein Begrü­ßungsgeschenk überreichen will, wird er von einem nervösen Soldaten, der das Geschenk für eine Waffe hält, ange­schossen. Daraufhin schreitet der hünenhafte Roboter Gort aus dem UFO und desintegriert mit einem aus seinem Visier schießenden Energiestrahl die Geschütze und Waffen der Soldaten. Klaatu befiehlt Gort, sich zurückzuhalten.

 

Klaatu wird in einem Militärhospital medizinisch versorgt. Einem Sekretär der US-Regierung erklärt Klaatu, der Ge­sandte eines fernen Planeten zu sein und eine wichtige Botschaft für die Erde zu haben, die über Leben und Tod des ganzen Planeten entscheidet. Klaatu will seine Botschaft nur im Angesicht sämtlicher irdischer Regierungschefs pro­klamieren. Aufgrund der politischen Zwietracht auf der Erde misslingt der Versuch der Regierung, alle Regierungschefs zusammenzurufen. Klaatu verlässt daraufhin das Hospital, taucht unter falschem Namen unter und nimmt Kontakt zu Professor Barnhardt auf, einem führenden Wissenschaftler der USA. Dieser lässt sich von Klaatus außerirdischer Iden­tität überzeugen und macht den Vorschlag, die führenden Wissenschaftler der Welt zusammenzurufen, vor denen Klaatu dann sein Anliegen vorbringen kann. Um sich die nötige Autorität zu verschaffen und den misstrauischen Men­schen den Ernst der Lage vor Augen zu führen, demonstriert Klaatu seine Macht: Er lässt auf der gesamten Welt um Punkt 12 Uhr mittags für eine halbe Stunde sämtliche elektrischen Geräte stillstehen. Allerdings läuft Klaatu die Zeit davon, denn die Regierung, die den außerirdischen Eindringling wie einen Schwerverbrecher suchen lässt, erhält einen entscheidenden Tipp, wo sie Klaatu finden kann . . .

 

Ein genialer Science-Fiction-Film

 

Dieser Film gilt zu recht als einer der besten Science-Fiction-Filme aller Zeiten. Er ist außergewöhnlich intelligent, ori­ginell und spannend, baut auf einer ambitionierten, pazifistischen Botschaft auf und gewinnt durch seine Anspielun­gen auf Jesus Christus zusätzlichen allegorischen Sinn. Der Film ist vom Regisseur Robert Wise (1914–2005) gekonnt inszeniert, hat ein exzellentes Produktionsdesign und überzeugende Effekte. Und er nimmt sein Thema wirklich ernst.

 

Klaatu kommt mit friedlichen Absichten auf die Erde, allerdings mit dem Auftrag, eine deutliche Warnung an die Menschheit auszusprechen. Es geht um die atomare Bedrohung: Die kosmische Föderation von Planeten, in deren Auftrag Klaatu geschickt wurde, will, dass die Erde nicht zu einer Gefahr für sie oder andere außerirdische Rassen wird. Sollten die Menschen in naher Zukunft ihre Atomwaffen und mit ihnen den Krieg ins All tragen, droht Klaatu wenig zimperlich mit der Auslöschung der Erde.

Szenenfoto aus dem Film "Der Tag, an dem die Erde stillstand" (The Day the Earth Stood Still, USA 1951) von Robert Wise; das UFO
Klaatus Raumschiff ist mitten in Washington, D.C. gelandet

Die Angst vor der atomaren Vernichtung hielt die Welt wenige Jahre nach dem Zweiten Weltkrieg fest in ihrem Wür­gegriff. Der Kalte Krieg nahm an Schärfe zu, es herrschte ein Gefühl großer Unsicherheit. Der Tag, an dem die Erde still­stand griff diese Ängste auf, aber anders als zahllose andere Science-Fiction-Filme der Fünfzigerjahre setzte der Film sie nicht in eine Monster-, Invasions- oder Bodysnatcher-Story um, sondern versuchte sie produktiv zu nutzen; er re­flektierte die Angst und ihre Ursachen aus einer neutralen, übergeordneten Perspektive und bot spekulativ eine Lö­sung des Problems an. Diese war zwar utopisch, rief aber immerhin zum Nachdenken auf – beispielsweise über eine politische Stärkung der Vereinten Nationen.

 

Der Produzent Julian Blaustein (1913–1995) hatte die ursprüngliche Idee zu einem Science-Fiction-Film, der die Angst und das Misstrauen im Zeitalter der Atombombe und des Kalten Krieges allegorisch thematisieren sollte. Er sichtete auf der Suche nach einem geeigneten Plot über 200 verschiedene Science-Fiction-Kurzgeschichten und Romane, bis er schließlich die Kurzgeschichte Farewell to the Master von Harry Bates, die im Oktober 1940 im Pulpmagazin Astoun­ding Science Fiction erschienen war, als Grundlage für seinen Film auswählte. Bates hatte dabei für die Filmrechte an der Story nur die lächerliche Summe von 500 Dollar erhalten.

 

Blaustein war es wichtig, dass der Film absolut glaubwürdig wirkte. Auch wenn der Film eine fantastische Geschichte erzählte, sollte die ernstgemeinte Botschaft beim Publikum ankommen. Robert Wise, der später Klassiker wie West Side Story (1960), Meine Lieder – Meine Träume (1965), Andromeda – Tödlicher Staub aus dem All (1971) und den frei­lich durchwachsenen Streifen Star Trek: Der Film (1979) drehen und zweimal den Oscar für die beste Regie erhalten sollte, inszenierte Blausteins Film in einem realistischen, beinahe dokumentarischen Stil, den er mit Ausdrucksmitteln des Film Noir angereicherte. Eine einprägsame Szene letzterer Art ist zum Beispiel das Erscheinen Klaatus im Wohn­heim, in das er sich einmietet. Klaatu steht plötzlich wie eine dämonische Bedrohung als schwarzer Schatten im schummrigen Raum, und die sich im Wohnzimmer aufhaltenden Gäste blicken mit mulmigem Gefühl auf die Gestalt. Erst als die Vermieterin eine Lampe einschaltet und Klaatus Gesichtszüge erhellt werden, löst sich die bedrohliche Wirkung auf. Weitere Anleihen an den Film Noir finden sich zum Beispiel in den Szenen, in denen Klaatu mit Helen Benson im halbdunklen Fahrstuhl feststeckt, Klaatu mit ihr vor der Armee auf der Flucht ist und erschossen wird oder in den mit Licht und Schatten spielenden Szenen, die gegen Ende des Films im UFO stattfinden.

 

Die dramaturgisch geschickte Stilisierung gibt dem Fremdling Klaatu einen latent mysteriösen, leicht unheimlichen Anstrich. Klaatu erscheint nicht allein durch und durch symphatisch, so wie der Zuschauer ihn durch seine objektivierte Schau der Erzählung wahrnimmt; er erscheint zugleich auch so, wie er von vielen verängstigten, nur schlecht infor­mierten Menschen in Washington und in der ganzen Welt innerhalb der Erzählung gesehen wird: als angsteinflößen­der Fremdling, der wahrscheinlich aus dem All stammt – oder gar, wie eine Mitbewohnerin im Wohnheim Klaatus am Frühstückstisch mutmaßt, ein Russe sein könnte! Der mächtige und unzerstörbare Roboter Gort unterstreicht diese furchterregende Aura Klaatus noch.

Szenenfoto aus dem Film "Der Tag, an dem die Erde stillstand" (The Day the Earth Stood Still, USA 1951) von Robert Wise, mit Michael Rennie und Patricia Neal
Helen Benson (Patricia Neal) vertraut dem Besucher aus dem All (Michael Rennie)

Bernard Herrmann (1911–1975) komponierte für den Film eine exzellente Musik, die zu den besten Scores zählt, die je für einen Science-Fiction-Film geschrieben wurden. Herrmann hatte zehn Jahre zuvor die Musik für Citizen Kane (1941) komponiert und durch diese Arbeit Robert Wise kennengelernt, der damals als Cutter an Citizen Kane gearbeitet hat­te. Herrmann beschränkt sich in Der Tag, an dem die Erde stillstand auf wenige, schlichte Themen, die auf suggestive Weise das Gefühl für das Außerirdische und das Unheimliche unterstreichen. Schon die Anfangsmusik, die intensiv das elektronische Wimmern des Theremin nutzt, während sich die Kamera im Weltall langsam am Mond vorbei auf die Erde zubewegt, erzeugt sehr effektiv dieses „außerirdische Gefühl“. Die ruhige, aber eindringliche Musik klingt wie ein sanftes Branden, wellenartig, jeder Akkord ein An- und Abschwellen – wie eine objektive, interesselose Naturkraft. Es gibt keine süßlichen Violinen, keinen laut tönenden Orchesterbombast. Stattdessen untermalt das Theremin alle mysteriös und „außerirdisch“ anmutenden Szenen, während dramatische Szenen (vor allem der „Stillstand“ der Erde) von Trommeln und knallenden Becken unterstrichen werden. Sehr oft schweigt die Musik auch, wodurch ihr Einsatz nur um so eindrücklicher wird.

 

Auffällig ist, wie passend alles in diesem Film inszeniert ist. Es gibt praktisch keine Szene, die überflüssig wäre und nichts zur Erzählung beitrüge. Das ist in Science-Fiction-Filmen der Fünfzigerjahre alles andere als selbstverständlich: Nur zu oft halten sich andere Vertreter des Genres mit unnützen Nebenhandlungen, losen Enden und anderen Füll­elementen auf, die um das eigentliche Spektakel herumkonstruiert werden. Häufig haben Science-Fiction-Filme jener Dekade auch eine behäbige, den heutigen Zuschauer ermüdende Gangart. Robert Wises Regie und das kluge Dreh­buch von Edmund H. North (1911–1990) fesseln dagegen von Beginn an, und Langeweile kommt nie auf. Wise baut sehr effektiv den Spannungsbogen auf, der schließlich im „Stillstand“ der Erde kulminiert: Es funktioniert auf der ganzen Welt für eine halbe Stunde kein einziges elektrisches Gerät mehr – drastische Versinnbildlichung des totalen Zusam­menbruchs der Zivilisation und Metapher auf den Atombombeneinschlag (bei dem der elektromagnetische Impuls ebenfalls alle elektrischen Geräte ausfallen lassen würde).

 

Nach diesem Schrecken entlädt sich die Spannung: Helen Bensons Freund Tom Stevens (Hugh Marlowe) denunziert Klaatu im Pentagon, Klaatu wird gejagt und auf der Flucht vor den Augen Helens erschossen. Zuvor erteilt er Helen noch den Auftrag, im Falle seines Todes zu Gort zu eilen und den Roboter, der bei einer Verletzung Klaatus automa­tisch mit der Vernichtung der Erde beginnt, mit einem bestimmten Befehl zu stoppen. Helen eilt zum UFO. Gort ist bereits aktiv, hat zwei Wachen vor dem UFO getötet und drängt auch die verängstigte Helen in die Enge, bis sie im letzten dramatischen Augenblick vor ihrem drohenden Ende die unsterblichen, außerirdischen Worte spricht: „Klaatu barada nikto!“ (die pseudo-lingustischen Ausdeutungen dieser Worte im Science-Fiction-Fandom sind Legion; eine Übersicht darüber erhält man beispielsweise gegen Ende eines Artikels über den Film auf der Webseite Alchetron). Gorts Gleißen im Helmvisier erlischt – und nicht nur Helen, sondern die gesamte Welt ist gerettet.

 

Die Schauspieler sind für einen Science-Fiction-Film der Fünfzigerjahre hervorragend. Besonders der Hauptdarsteller Michael Rennie (1909–1971) ist großartig: Er strahlt eine sanfte, tiefgründige Aura aus, die der mysteriösen Heilsfigur Klaatu gut zu Gesicht steht, und er spielt den außerirdischen Besucher symphatisch, intelligent und einfühlsam. Rennie war Engländer und hatte gerade für die 20th Century Fox in England eine Rolle in dem Film The House in the Square gespielt. In Hollywood war er praktisch unbekannt. Er fiel jedoch Fox-Studiochef Darryl F. Zanuck auf, sodass Rennie die Rolle Klaatus angetragen wurde. Zuvor waren Spencer Tracy und Claude Rains für die Rolle Klaatus in Betracht ge­zogen worden, doch Michael Rennie erwies sich am Ende als perfekte Wahl.

 

Auch Patricia Neal (1926–2010) als Helen Benson überzeugt. Sie verkörpert die alleinerziehende Witwe ernst und zu­rückhaltend und verleiht ihrer Figur nicht nur Glaubwürdigkeit und Symphatie, sondern auch eine einnehmende, fast glamouröse Ausstrahlung. Billy Gray (geb. 1938) als Helens Sohn Bobby wirkt unbekümmert und artig, allerdings auf­grund des Drehbuchs auch etwas neunmalklug. Seine Figur ist unverkennbar auch ein Tribut an das Kinderpublikum. Hugh Marlowe schließlich (1911 –1982; im Science-Fiction-Genre unter anderem bekannt aus Fliegende Untertassen greifen an und Planet des Grauens) spielt Helens neuen Freund Tom Stevens, einen selbstsüchtigen, engherzigen Kerl. Marlowes Darbietung ist kantig und rau, für manchen Kritiker zu kantig und rau. Doch als Unsympath, der in blinder Paranoia Klaatu an die Behörden verrät und den heiligen Zorn des Zuschauers reizt, ist Marlowe durchaus effektiv und macht seine Sache gut.

Szenenfoto aus dem Film "Der Tag, an dem die Erde stillstand" (The Day the Earth Stood Still, USA 1951) von Robert Wise, mit Gort und Patricia Neal
Der Roboter Gort erweckt Klaatu im Raumschiff zu neuem Leben

Es gibt einige schöne Trickszenen zu bewundern, so zum Beispiel die spektakuläre Landung des leuchtenden UFOs mitten in der US-Hauptstadt an einem schönen Frühlingstag, die mit einem sehr eindrucksvollen wummernden Ge­räusch untermalt ist, oder die Energiestrahlen, die aus dem Helmvisier von Gort schießen und Schusswaffen und Pan­zer desintegrieren. Bühnenbildnerisch gefallen das glatte, silbrige UFO, aus dem scheinbar nahtlos eine Rampe heraus­fahren und eine Luke öffnen kann (der Bau des UFOs, in erster Linie eine Zimmermannsarbeit aus Holz, soll allein um die 100.000 Dollar gekostet haben), das futuristische Innere des UFOs und natürlich der massiv und metallisch wirken­de Roboter Gort. Das völlig konturlose, extrem reduzierte Design des UFOs und des Roboters entsprechen einander perfekt, sodass der gemeinsame Ursprung in derselben, wahrhaft fremdartigen und weit fortgeschrittenen Technolo­gie sofort einleuchtet. UFO und Roboter sind überaus eindrucksvoll, von emblematischer Kraft und auch heute noch cool. Selbst wenn Gort nur als erstarrte Statue vor dem ruhig auf dem Rasen liegenden UFO steht, hängt der Blick des Zuschauers förmlich an diesen beiden spektakulären Erscheinungen.

 

Insgesamt sind die Spezialeffektszenen begrenzt (es gibt zum Beispiel keine Szenen, die im Weltraum spielen). Das Hauptaugenmerk des Zuschauers sollte nicht auf den Spezialeffekten verweilen, sondern auf der Erzählung; der spar­same Einsatz von Tricks dient dem „dokumentarischen“ Stil von Wises Regie.

 

Die wenigen Schwächen des Films liegen vor allem auf der „wissenschaft­lichen“ Seite. So ist es unglaubwürdig oder wird im Film jedenfalls nicht plausibel erklärt, weshalb Klaatu vollkommen menschlich ist. Um nicht die Wirkung des Films zu schmälern, erschien es angebracht, keinen grotesk aussehenden Alien zu präsentieren. In der Tat werden der Film und seine Botschaft erheblich von der symphatischen Erscheinung Michael Rennies getragen. Dennoch bleibt dieses Rätsel etwas unbefriedigend. Eine überflüssiger Schnitzer ist auch Klaatus Aussage, er sei in fünf Monaten 250 Millionen Meilen gereist – wo doch klar sein sollte, dass er aus einem anderen, viele Lichtjahre entfernten Sonnen­system gekommen sein muss. In einer Szene hört man einen Radioreporter im Hintergrund spekulieren, dass Klaatu wahrscheinlich von der Venus oder vom Mars gekommen sei, doch diese Theorie verträgt sich nicht mit der Prämisse, dass Klaatu der Gesandte nicht nur eines einzigen Planeten, sondern eines ganzen Planetenbundes ist, der sich nicht innerhalb des Sonnensystems befinden kann. Schließlich wird Klaatus praktisch magische Fähigkeit, verschlossene Türen einfach zu öffnen, als seien sie unverschlossen, nicht näher erklärt. John Scalzi wies überdies zu Recht darauf hin, dass es „bodenlos naiv“ sei anzunehmen, dass ein in Washington gelandetes UFO von der Armee lediglich mit einem leichten Bauzaun abgesichert würde; auch würde Klaatu im Krankenhaus unter viel zu schwacher Bewachung stehen (The Rough Guide to Sci-Fi Movies, S. 78f.). Allerdings sind diese Dinge Marginalien, die den Film nicht wesentlich trüben.

 

Ein Friedensappell aus dem All

 

Der Tag, an dem die Erde stillstand begeistert mit einen klugen, durchdachten Plot, der den Film über die meisten an­deren Science-Fiction-Filme heraushebt. Drehbuchautor Edward H. North – der 1971 zusammen mit Francis Ford Cop­pola den Oscar für das beste Drehbuch für den Film Patton – Rebell in Uniform (1970) erhalten sollte – schrieb das Drehbuch, wie bereits erwähnt, auf der Grundlage der von Julian Blaustein ausgewählten Kurzgeschichte Farewell to the Master von Harry Bates. Als Berater stand North der Science-Fiction-Autor Raymond F. Jones (1915 –1994) zur Seite, dem Autor vom später verfilmten Roman This Island Earth (1952). North entnahm Bates’ Kurzgeschichte allerdings nur einige Motive und Elemente; das Thema der atomaren Bedrohung und die Antikriegsbotschaft Klaatus finden sich nicht bei Bates, und auch der Verlauf der Handlung ist in Norths Drehbuch ein völlig anderer.

 

Die Kriegsangst ist das übergeordnete Thema des Films, das in vielen Einzelheiten zum Ausdruck gebracht wird. Zu Beginn ist die Unsicherheit groß, als das Herannahen des UFOs gemeldet wird. Die Menschen werden per Radio und Fernsehen gewarnt. Als das UFO schließlich am Himmel über Washington erscheint, blicken die Menschen verängstigt auf. Bei der Landung wird das UFO sofort vom Militär umringt. Klaatu tritt aus dem UFO heraus, und eine einzige miss­verstandene Geste von ihm genügt, um einen nervösen Soldaten schießen zu lassen – was sofort mit einem Gegen­angriff Gorts beantwortet wird. Die gespannte Atmosphäre des Kalten Krieges wird bereits in diesem Anfang ge­schickt versinnbildlicht.

Szenenfoto aus dem Film "Der Tag, an dem die Erde stillstand" (The Day the Earth Stood Still, USA 1951) von Robert Wise, mit Michael Rennie und Patricia Neal
Als Klaatu die Erde stillstehen lässt, stecken er und Helen in einem schönen Film-Noir-Moment im Fahrstuhl fest

Im Gespräch Klaatus mit dem Sekretär des US-Präsidenten Mr. Harley im Militärhospital macht der außerirdische Besu­cher unmissverständlich klar, dass ihn die inneren politischen Angelegenheiten der Erde nicht interessieren und er da­her auch keine Partei ergreifen wird. Das war für einen Hollywoodfilm absolut außergewöhnlich – erst recht zu Zeiten der Kommunistenhatz Anfang der Fünfzigerjahre, als Filmschaffende in Hollywood sehr schnell und häufig zu Unrecht in Verdacht geraten konnten, „unamerikanische“, sprich: kommunistische Umtriebe zu unterstützen. Inhaltlich hat sich im Großen und Ganzen seitdem nicht viel geändert – zu stark ist der Wunsch Hollywoods, dem heimischen Publikum zu entsprechen. Amerikanische Science-Fiction-Filme weisen damals wie heute eine extrem amerikanische Perspek­tive auf. Aliens landen bevorzugt (eigentlich immer) in den USA, und sie sind für gewöhnlich auch immer auf die USA bezogen, entweder als Gegner oder als Freunde Amerikas. Klaatu durchbricht dieses Schema. Er stellt sich nicht auf die Seite der USA und auch nicht auf die Seite ihrer Gegner; er stellt sich neutral über die USA und alle anderen Länder, denn allen gemeinsam gilt seine Botschaft.

 

Der Krieg bleibt gegenwärtig. Das Trauma des Zweiten Weltkrieges – gerade einmal sechs Jahre her – klingt in der Geschichte von Helen Benson und ihrem Sohn Bobby an. Benson ist Witwe – ihr Mann ist als Soldat im Weltkrieg ge­fallen. Oberflächlich haben sie und ihr Sohn den Verlust gut überstanden. Auch das entsprach der Realität des damali­gen öffentlichen Lebens. Man blickte nach vorn und redete nicht allzu viel über die Wunden, die der Krieg geschlagen hatte. Schmerzlich gegenwärtig aber waren diese Wunden gleichwohl.

 

Später steht Klaatu mit Bobby auf dem Soldatenfriedhof von Arlington vor dem Grab von Bobbys Vater – eine der eindringlichsten Szenen des Films. Das endlose Gräberfeld wirkt wie eine Bestätigung für Klaatu, dass er allen Grund für seine Warnung an die Menschheit hat. Die Soldatengräber antizipieren die neuen sinnlosen Soldatengräber von morgen – sinnlos nicht, weil vielleicht für die falsche Sache gekämpft wird, sondern weil überhaupt immer wieder gekämpft werden muss. Klaatu setzt die gesamte Menschheit auf die Anklagebank: Sie möge endlich lernen, friedlich miteinander auszukommen. Ohne ethische Reife wird der Mensch auch im All keinen Frieden geben, wenn er einst ins All aufbrechen wird.

 

Gewiss, das Programm für den Weg zur politischen Vernunft ist wieder gänzlich amerikanisch und stützt sich in uner­schütterlichem Vertrauen auf die Konstitution der amerikanischen Gesellschaft. Man befindet sich in Washington, und am Denkmal von Präsident Lincoln lesen Bobby und Klaatu die dort in Stein gemeißelte “Gettysburg Address” Lincolns – hohe Worte von Freiheit und Demokratie, die die amerikanische Verfassung beschwören. Immerhin erkennt Klaatu hier, dass der Mensch auch Gutes zu denken und umzusetzen imstande ist. Und auch in Bobby lernt er positive Züge des Menschengeschlechts kennen. In Klaatu keimt die Hoffnung, dass die Menschheit sich wirklich bessern kann – von einer ewig kriegerischen zu einer friedlichen Gesellschaft. Zugleich bekommt der Idealismus, der hier zum Ausdruck gelangt, allerdings auch deutliche Risse, denn man ahnt, dass es so einfach nicht werden wird, Klaatus spätere Mah­nung an die Menschheit wirklich umzusetzen. Diese utopische Leerstelle auszufüllen bleibt den Menschen – dem Publikum – selbst überlassen.

 

Klaatu ist unverkennbar eine Heilsfigur, auf die sich die Hoffnung des Publikums richtet, von der Antworten erwartet werden. Die Hoffnung wird durch die ihn kennzeichnende, überdeutliche Christussymbolik geschickt verstärkt. So nennt sich Klaatu selbst Mr. Carpenter („Zimmermann“), ein klarer Fingerzeig auf Jesus, und er erlebt leibhaftig eine Wiederauferstehung, als er zuerst erschossen und später von seinem Roboter Gort wieder zum Leben erweckt wird. Seine Wiederauferstehung ist nur temporär, wie er Helen Benson erklärt, denn die Macht über Leben und Tod ist nur dem „Allmächtigen“ vorbehalten (eine Zeile, die erst spät ins Drehbuch Eingang fand, um den befürchteten Vorwurf offener Blasphemie zu entkräften). Nachdem Klaatu feierlich seine Botschaft vor den versammelten Wissenschaftlern der Welt verkündet hat, besteigt er sein UFO, das sich leuchtend am Sternenhimmel entfernt, und „fährt zum Himmel auf“.

 

Die eingeflochtene Christussymbolik geht auf Drehbuchautor North zurück, der später einmal in einem Interview be­kannte, dass sie sein „privater Scherz“ gewesen sei. Er hatte die Anspielungen weder mit dem Regisseur noch mit dem Produzenten abgesprochen. Erst nach Veröffentlichung des Films sprachen die Kritiker Robert Wise und Julian Blau­stein darauf an. Offenkundig waren die Anspielungen doch nicht so verschlüsselt, wie North sie eigentlich haben woll­te. „Ich habe ehrlich nicht vermutet, dass das Publikum die Anspielung erkennen würde“, erklärte North dazu; „Ich wollte nie, dass sie offenkundig bewusst ist, aber ich dachte, dass es trotzdem von Wert wäre, wenn sie vorhanden ist“ (zitiert nach Bill Warren, Keep Watching the Skies!, S. 213).

 

Der annähernde Gleichklang von „Gort“ mit dem Wort god „Gott“ dürfte vor diesem Hintergrund kaum Zufall sein (in der Kurzgeschichte von Harry Bates heißt der Roboter dagegen noch „Gnut“). Gort, so wird am Ende des Films klar, ist ein Repräsentant der eigentlichen Macht, die die aggressiven Kräfte in Klaatus kosmischer Heimat im Zaume hält (eine Abwandlung des ursprünglichen Motivs in Harry Bates’ Kurzgeschichte, in der Gnut in Wirklichkeit „der Herr“ und Klaa­tu nur der Diener des Roboters ist). Klaatu erklärt, dass seine Zivilisation ihre Roboter damit beauftragt hat, daheim für ewigen Frieden zu sorgen. Jegliche Aggression wird sofort mit der Vernichtung durch die Roboter beantwortet.

 

Viele Kritiker haben diese Lösung des Aggressionsproblems – die freiwillige Unterordnung unter eine unerbittliche Robotergewalt – als unzulänglich verurteilt, und das mit einigem Recht. Dieselbe Robotergewalt stellt für die Mensch­heit ein erbarmungsloses Ultimatum dar. Klaatus Botschaft ist damit janusgesichtig und unterscheidet sich bei aller Christussymbolik deutlich von der „frohen Botschaft“ des Neuen Testaments. Nun, bei aller Kritik, es ist ja auch schwer – Utopien neigen häufig zu unterschwelligem Totalitarismus, und man fragt sich, welche Lösung sonst in Frage ge­kommen wäre.

 

Bill Warren wendet allerdings zu Recht ein, dass viele Kritiker den Kern von Klaatus Botschaft nicht richtig erfasst haben, wenn sie die Institution der Roboterwächter mit einer Roboterdikatur verwechseln (Skies, S. 214). Die Roboter sind programmierte Einheiten, die ausschließlich auf kriegerische Akte reagieren, ungeachtet, von wem sie ausgehen und welche Gründe und Ziele sie haben mögen. Klaatu behauptet auch nicht, dass seine Zivilisation besonders fried­liebend sei oder einen inneren Weg zur vollkommenen Friedfertigkeit gefunden habe. Auch in Klaatus Zivilisation ist die Aggression ein Problem. Aber sie hat ein erfolgreich funktionierendes System der Abschreckung installiert, das leidenschaftslos und neutral den Frieden wahrt. Schließlich geht es Klaatu auch nicht um eine Unterjochung der Erde. Es ist nicht der Frieden auf der Erde, sondern der eigene Frieden im All, der gewahrt bleiben soll – sofern die Mensch­heit sich nur selbst vernichtet, interessiert das die außerirdische Planetenföderation nicht.

Szenenfoto aus dem Film "Der Tag, an dem die Erde stillstand" (The Day the Earth Stood Still, USA 1951) von Robert Wise, mit Michael Rennie und Gort
Klaatu verkündet schließlich vor versammelten Wissenschaftlern seine Botschaft

Bill Warren, der den Film 1951 als Neunjähriger gesehen hat und glühend verehrt, gemahnt, bei der Beurteilung der Kritik auch die besonderen Zeitumstände des Kalten Krieges zu berücksichtigen: „Es war eine Zeit, in der wir so be­sorgt darüber waren, uns selbst auszulöschen, dass wirklich jede Möglichkeit, dies zu verhindern, eine Überlegung wert schien – selbst wenn die Idee lautete, sich selbstlosen, allmächtigen Robotern auszuliefern“ (Skies, S. 214).

 

Johannes Kringel führt auf seiner Webseite Kreisarchiv noch einen weiteren, sonst nur selten in den Blick genomme­nen Schwachpunkt an der Friedensordnung der interstellaren Roboterwächter an:

 

Klaatu sagt zwar, gegen die Roboter sei kein Kraut gewachsen. Noch nicht, würde ich aber hinzufügen. Denn wer oder was sollte eine böswillige, technisch hoch entwickelte Macht daran hindern, eine neue Waffe zu entwickeln, die noch mächtiger ist als die Roboter? Solange diese Macht schön brav auf ihrem Planeten bliebe und keine Kriege gegen andere Planeten anzetteln würde, hätte sie schließlich keine Probleme mit den Robotern. Oder wird Waffenforschung genauso schwer bestraft wie der Einsatz von Waffen?

 

Robert Wise erklärt im Audiokommentar auf der DVD zu dem Thema, dass für ihn das zentrale Anliegen des Films nicht in der konkreten Ausformung der Botschaft Klaatus steckte. Vielmehr ginge es im Film vor allem darum, dass ein Außerirdischer von einer friedfertigen Welt unsere von Krieg und Angst gezeichnete Welt besucht, sie als unbeteilig­ter Außenstehender betrachtet und kommentiert und auf diesem Weg die Reflexion des Publikums von einer anderen Warte aus in Gang setzt. Dieses Ziel hat Wise mit seinem Film zweifellos erreicht.

 

Die Bedrohung durch die Roboter löst nicht das irdische Problem der atomaren Kriegsgefahr. Das Problem muss die Menschheit selbst lösen. Aber: Klaatu hat der Menschheit eine Chance eingeräumt und ist wieder im All verschwun­den. Es ist an den Menschen, die Warnung aus dem All ernst zu nehmen und ihre Chance bis zu Klaatus nächsten Be­such zu nutzen. Im Kern macht der aufrichtige Appell des Films an die menschliche Vernunft, seine Hoffnung, dass die Vernunft über die schrillen Invasions- und Kriegsängste triumphieren möge, die wahre Größe dieses Films aus. Sein tiefer, ehrlich gemeinter Humanismus macht Der Tag, an dem die Erde stillstand zu einem unsterblichen Science-Fiction-Film – und zu einem besonderen Erlebnis, noch heute.

 

Es bleibt noch anzumerken, dass 2008 ein äußerst schwaches Remake von Scott Derrickson entstanden ist, mit einem enttäuschenden Keanu Reeves in der Hauptrolle. Meine Besprechung jenes Machwerks hat erheblich weniger zu sa­gen als zum Original, zu finden ist sie hier: Der Tag, an dem die Erde stillstand (2008). Eine Kritik zur Interpretation von Robert Wises Originalfilm durch den amerikanischen Philosophen Aeon J. Skoble habe ich hier geschrieben: Steven M. Sanders (Hrsg.): The Philosophy of Science Fiction Film (2008).

 

 

 

 

© Michael Haul; veröffentlicht auf Astron Alpha am 14. März 2017

Szenenfotos © Twentieth Century Fox