Der schweigende Stern / Milczaka Gwidzada (DDR/Polen 1960)
Regie: Kurt Maetzig
Drehbuch: Jan Fethke, Wolfgang Kohlhaase, Günter Reisch, Günter Rücker, Alexander Stenbock-Fermor, J. Barkhauer und Kurt Maetzig, nach dem Roman Die Astronauten (1951) von Stanisław Lem
Darsteller: Yoko Tani (Sumiko Ogimura), Michail N. Postnikow (Prof. Arsenjew), Günther Simon (Robert Brinkmann), Oldrich Lukes (Prof. Harringway Hawling), Ignacy Machowski (Sołtyk), Julius Ongewe (Talua), Kurt Rackelmann (Prof. Sikarna), Tang Hua-Ta (Dr. Tschen Yü), Eduard von Winterstein (Prof. Weimann) u. a.
Produktionsfirmen: DEFA/Film Polski
Laufzeit: 95 Minuten (US-Cut: 78 Minuten); Farbe
Premiere: 26. Februar 1960 (DDR); 7. März 1960 (Polen); 9. September 1960 (BRD, Titel: Raumschiff Venus antwortet nicht); 31. Oktober 1962 (USA, Titel: First Spaceship on Venus).
Im Jahre 1970 wird beim Bau von Bewässerungskanälen in der Wüste Gobi eine seltsame, kristallähnliche Magnetspule entdeckt. Die führenden Wissenschaftler der Welt untersuchen den Artefakt, auf dem eine Botschaft in einer fremden Sprache aufgezeichnet ist. Sie entschlüsseln Teile der Botschaft und stellen fest, dass die Magnetspule von der Venus stammt und im Zusammenhang mit der gewaltigen Explosion bei Tunguska in Sibirien im Juni 1908 steht – offenbar war damals über Sibirien ein venusisches Raumschiff abgestürzt und hatte kurz zuvor die Magnetspule abgeworfen.
Nachdem feststeht, dass auf der Venus eine raumfahrende Spezies leben muss, wird der Planet auf sämtlichen Frequenzen angefunkt, aber die Venus antwortet nicht. Daraufhin entschließt sich die Sowjetunion, ihr Raumschiff Kosmokrator I, das eigentlich für eine erste bemannte Mission zum Mars gebaut wurde, für eine internationale Mission zur Venus zur Verfügung zu stellen. Mit einer wissenschaftlich hochkarätigen Besatzung von sieben Männern und einer Frau startet der Kosmokrator zur Venus. Während des 31 Tage dauernden Fluges scheitern alle weiteren Versuche der Raumfahrer, Funkkontakt mit der Venus aufzunehmen. Dafür gelingt den Besatzungsmitgliedern Prof. Sikarna und Dr. Tchen Yü die Entschlüsselung der noch fehlenden Teile der Botschaft auf der Magnetspule. Die Erkenntnisse sind unbehaglich: Die Venusier hatten 1908 vorgehabt, die Erde für sich in Besitz zu nehmen; dafür hatte die Erde mit gebündelter radioaktiver Strahlung bombardiert werden sollen, um die Menschheit auszurotten. Die Besatzung entschließt sich, der Erde vorerst nichts davon mitzuteilen, um keine Panik zu entfachen, und die Reise fortzusetzen, um festzustellen, ob sich die Verhältnisse auf der Venus inzwischen geändert haben.
Als der Kosmokrator durch die dichten Wolken der Venus stößt und auf der Oberfläche landet, findet die Besatzung eine leblose, radioaktiv verseuchte Wüstenlandschaft vor. Der Boden ist von Glaskrusten bedeckt, und bizarre, an einen „gläsernen Wald“ erinnernde künstliche Strukturen ragen in den rötlich glühenden Himmel auf. In der Nähe entdecken die Raumfahrer eine verfallene Stadt, die nur noch aus zerschmolzenen Ruinen und Trümmern besteht. Offensichtlich haben sich die Venusier in einem großen Atomkrieg selbst ausgelöscht. Bei der Untersuchung einer Schaltzentrale im Zentrum der Stadt erkennen die Forscher, dass der „gläserne Wald“ eine gigantische Strahlenwaffe darstellt, die noch immer auf die Erde zielt – und dass sie selbst diese Waffe unwissentlich wieder aktiviert haben. Als die Energie im gläsernen Wald immer stärker ansteigt, gelingt es den Raumfahrern nur mit knapper Not und unter mehreren Opfern, den automatischen Abschuss der Strahlenwaffe abzuwenden. Als die Überlebenden der Mission mit dem Kosmokrator zur Erde zurückgekehrt sind, erklären sie der Weltpresse die Lektion, die aus dem Schicksal der Venus zu lernen ist: Die Menschheit hat alles daranzusetzen, ihre eigene kriegerische Vernichtung zu verhüten.
Ein deutsch-polnischer Stern am Science-Fiction-Himmel
Die deutsch-polnische Koproduktion Der schweigende Stern ist vielleicht der bemerkenswerteste und aufwendigste Science-Fiction-Film, der in Deutschland in den ersten Jahrzehnten der Nachkriegszeit entstanden ist. Die DEFA trug 80 % der Produktionskosten, die sich insgesamt auf stolze 5,7 Millionen Mark der DDR beliefen, und der Löwenanteil der Dreharbeiten – einschließlich der Aufnahmen der Spezialeffekt- und Modellbauszenen – fand in den Babelsberger DEFA-Studios statt. Auf polnischer Seite war Film Polski mit dem Filmstudio Wytwórnia Filmów Fabularnych (WFF) in Breslau an der Produktion beteiligt, das unter anderem die Außenaufnahmen im schlesischen Riesengebirge hinzusteuerte. Zu einer Zeit, da in Westdeutschland fast ausschließlich Heile-Welt-Schnulzen und Komödien fürs Kino gedreht wurden, wagte sich in der DDR Kurt Maetzig an die Realisierung eines spektakulären, in Farbe und Breitbild gedrehten und mit einem Vierkanalton versehenen Science-Fiction-Abenteuers, das sich anschickte, qualitativ mit den ausländischen Vorbildern mitzuhalten. In Hinblick auf Ausstattung, Setdesign, Modellbauten und Spezialeffekte ist das ehrgeizige Ziel auch vollauf erreicht worden. Dramaturgisch leidet der Film indessen an ähnlichen Gebrechen wie viele zeitgenössische Science-Fiction-Filme aus den USA, Japan oder der Sowjetunion: Der Erzählfluss ist zäh, die Dialoge strotzen vor bleischwerer Pathetik, und die Figuren sind kaum mehr als Schablonen.
Der schweigende Stern basiert auf dem Roman Die Astronauten (1951) von Stanisław Lem. Das Werk war nach einigen Gedichten und Novellen Lems erstes veröffentlichtes Buch und wurde vom Autor selbst später als honigsüßer, sozrealistischer Kitsch abgetan – eine Jugendsünde, die ihm angeblich nur noch Übelkeit bescherte (vgl. Stanisław Lem/Stanisław Bereś: Lem über Lem. Gespräche [1986] S. 55). Als Kurt Maetzig (1911–2012), Mitbegründer der DEFA und einer der bedeutendsten Regisseure der DDR, 1957 die Idee hatte, Die Astronauten zu verfilmen, trat er auch an Stanisław Lem heran und bezog ihn in die frühen Phasen der Produktionsplanung und Entwicklung des Drehbuchs mit ein; Lem fuhr dafür mehrmals nach Berlin. Am Ende hielt Lem allerdings gar nichts von dem fertiggestellten Film (wie er im übrigen keine einzige Verfilmung seiner Werke je geschätzt hatte):
Dort wurden Reden über den Kampf um den Frieden gehalten, die stümperhaftesten Dekorationen zusammengetragen, irgendeine Art von Pech gluckste, vor dem nicht einmal ein Kind erschrecken würde. Dieser Film, das war das Letzte vom Letzten! (Lem über Lem, S. 145)
Lems vernichtendem Verdikt zum Trotz zählt der Film mit über 4,3 Millionen Kinobesuchern in der DDR zu den erfolgreichsten 30 DEFA-Produktionen aller Zeiten. Offensichtlich gab es auch in der DDR ein großes Interesse an spektakulärer, unterhaltsamer, wahrhaft fantastischer Science-Fiction. Wenn diese im eigenen Land produziert worden war, konnte das die Neugier nur noch steigern. Trotz des immensen Erfolgs blieb der Film bei der DEFA allerdings eine Randerscheinung: Von den gut 700 Spielfilmen, die die DEFA insgesamt produzierte, waren nur acht Science-Fiction-Produktionen, und die nächste, Signale (1970) – sieht man einmal von der wenig aufwendigen Zeitreisekomödie Der Mann mit dem Objektiv (1961) ab –, sollte noch zehn Jahre auf sich warten lassen. Ein triftiger Grund dafür ist freilich in denselben ökonomischen Schwierigkeiten zu sehen, die auch in Westdeutschland teure, tricktechnisch ausgefeilte Science-Fiction-Filme regelmäßig verhinderten oder zumindest massiv erschwerten. In der DDR war dieses Problem noch weitaus gravierender. Welch enormen Aufwand Der schweigende Stern für die DEFA bedeutete, kann man unter anderem daran ermessen, dass für die Szenen mit der protoplasmischen „Masse“ – dem „glucksenden Pech“, das Lem erwähnt – angeblich eine ganze Jahresproduktion der DDR an Leim verbraucht worden sein soll.
Die Produktion hatte viele Widerstände bei den Kulturfunktionären der DDR zu überwinden. Vor allem der für die Finanzen zuständige Direktor der DEFA, Herbert Volkmann, hatte ein strenges zensorisches Auge auf das Projekt und meldete an mehreren Stellen des Drehbuchs ideologische Bedenken an. Unter anderem monierte er, dass der Start des Raumschiffs im ursprünglichen Entwurf in der Sahara und nicht wie im Roman in der Wüste Gobi, die eindeutig in einem sozialistischen Land liegt, stattfand. So kam es, dass immer wieder neue Autoren hinzugezogen wurden und am Ende zwölf verschiedene Fassungen des Drehbuch entstanden. Volkmann vereitelte auch das Bestreben des Produktionsteams, Frankreich in die Finanzierung des Films und in die Arbeit am Drehbuch mit einzubeziehen. Das war keineswegs so abwegig, wie es heute auf dem ersten Blick erscheinen mag, denn eine fruchtbare filmische Zusammenarbeit zwischen Frankreich und der DDR hatte es schon öfters gegeben, beispielsweise bei der künstlerisch wie kommerziell sehr erfolgreichen, in Babelsberg gedrehten Koproduktion Die Hexen von Salem (1957) unter der Regie von Raymond Rouleau. Für Der schweigende Stern soll anfangs sogar über die Teilnahme der berühmten Schauspieler Simone Signoret und Yves Montand verhandelt worden sein. Maetzig hätte außerdem gern die Schwedin Ulla Jacobsen (1929–1982) in einer Hauptrolle gesehen; ihr Skandalfilm Sie tanzte einen Sommer (1951), in dem Jacobsen eine angedeutete Nacktbadeszene hat, war überall in Europa und auch in der DDR ein Hit gewesen. Doch auch die Verpflichtung von Jacobsen lehnte Volkmann entschieden ab. Die ursprünglich für 1958 geplante Produktion wurde immer wieder verschoben, sodass der Film nicht mehr rechtzeitig zur Feier des zehnjährigen Jubiläums der DDR 1959 fertig werden konnte.
Die schließlich genehmigte und verfilmte Drehbuchfassung betont entschieden die führende Rolle der Sowjetunion und stellt die USA als kriegstreiberisches System an den Pranger. Die deutsche Beteiligung am Venusunternehmen beschränkt sich derweil auf den Posten des Kosmokrator-Piloten. Im heroischen Piloten Robert Brinkmann (Günther Simon), komplett mit lederner Fliegerjacke, steckt noch eine Spur alter deutscher Haudegenfiguren à la Hans Albers’ tollkühnem Flieger Ellisen aus Karl Hartls F.P. 1 antwortet nicht (1932). Wie jener leidet Brinkmann unter der unerfüllten Liebe zur teilnehmenden Frau der Mission, und wie jener ist er sofort bereit, sein Leben für die Rettung der Mission aufs Spiel zu setzen (ein Spiel, das er im Gegensatz zu Ellisen am Ende auch melodramatisch verliert).
Der Film hatte am 26. Februar 1960 in der DDR seine Premiere. Nur wenige Monate später startete er auch in Polen und in Westdeutschland (dort unter dem Titel Raumschiff Venus antwortet nicht). 1962 kaufte die kleine Filmfirma Crown-International den Film für den amerikanischen und britischen Markt und veröffentlichte ihn dort, gekürzt auf 78 Minuten, unter dem Titel First Spaceship on Venus. In älteren Quellen ist bisweilen die irrige Legende zu finden, dass der originale deutsch-polnische Schnitt des Films über zwei Stunden lang gewesen sei. Tatsächlich wurden in der US-Fassung nicht mehr als 10 Minuten geschnitten, wobei alle Bezüge auf sowjetische Propaganda und auf den Atombombenabwurf über Hiroshima entfernt wurden. Die Charaktere erhielten überdies in der Synchronisation andere Namen und Nationalitäten.
Anno 1960 feierte das russische Raumfahrtprogramm einen Erfolg nach dem anderen und war dem amerikanischen technologisch weit voraus. Der schweigende Stern präsentiert, nicht ohne Stolz, eine kühne Zukunft des Jahres 1970, in der sich der technologische und ideologische Sieg des Ostens stabilisiert hat. Plakativ betont der Film, wie vernünftig, zukunftsweisend und friedensfördernd es ist, dass alle unter dem sowjetischen Banner verbrüderten Nationen zum Wohle der Menschheit zusammenarbeiten, während Amerika, das sich der sowjetischen Führung einfach nicht unterordnen will, als egoistisch, aggressiv und rückständig diffamiert wird. Bedenkt man auf der anderen Seite, wie bedrohlich die Sowjetunion und die „rote Gefahr“ damals in den meisten amerikanischen Science-Fiction-Filmen dargestellt wurden, kann hier kein wesentlicher Unterschied im propagandistischen Gebaren festgestellt werden.
Am deutlichsten wird die Propaganda in der Szene serviert, in der New Yorker Kapitalisten den amerikanischen Physiker Hawling davon abzuhalten versuchen, die Einladung zur Teilnahme an der Kosmokrator-Mission anzunehmen. Hawling insistiert auf seine Teilnahme und erhält dabei Schützenhilfe von seinem Doktorvater Weimann (dargestellt von der Theaterlegende Eduard von Winterstein, 1871–1961), einem jüdischen, aus Deutschland vertriebenen Wissenschaftler, der als Inkarnation Robert Oppenheimers figuriert und damit hadert, einst an der Entwicklung der Atombombe beteiligt gewesen zu sein. Den Kapitalisten hält er vor: „Euer Abenteuer war Hiroshima – sein Abenteuer ist der Flug zur Venus!“, und: „Sollte niemals eine Generation ihre Träume erfüllen?“
Das Skandalon von Hiroshima, das hier dazu dient, die Barbarei der USA zu beweisen, wird noch einige Male aufgegriffen. So erklärt die zur Kosmokrator-Besatzung zählende Japanerin Sumiko, dass einst ihre Familie in Hiroshima ausgelöscht worden sei; sie selbst sei durch die Strahlung unfruchtbar geworden. Und später auf der Venus, als die Kosmonauten erkennen, dass die Venusier sich in einem Atomkrieg selbst vernichtet haben, sehen sie in einer eindrücklichen Szene die schwarzen „Schatten“ zweier Venusier – sie sind deutlich humanoid –, die von der glühenden Hitzewelle der Atombombe auf einen Felsen eingebrannt wurden. Sumiko erinnert sich daraufhin an ähnliche Bilder aus Hiroshima (die zwei „Schatten“ finden sich übrigens auch in Lems Roman, vgl. S. 261 f.; dort bleibt es allerdings offen, ob sie wirklich die eingebrannten Aschen getöteter Venusier sind oder nicht).
Die schweren propagandistischen Hiebe des Films gegen den ideologischen Gegner und die Verlegung der Handlung ins Jahr 1970, in dem es noch immer verschiedene Nationen gibt, stellen die gravierendsten Abweichungen zu Stanisław Lems Roman dar. Dieser spielt stattdessen im Jahr 2003, nimmt einen kommunistischen Weltstaat an und bezieht die Warnung vor der Kriegstreiberei ganz allgemein auf die rückständige Vergangenheit der Erde. Die Zusammensetzung der internationalen Kosmokrator-Crew weicht bei Lem zum Teil ab; insbesondere reisen bei ihm keine Frau und kein Afrikaner mit. Völlig anders als im Buch ist im Film auch der Showdown gestaltet. Ansonsten hält sich die Handlung des Films aber bemerkenswert eng am Romangeschehen und übernimmt insbesondere auch die spezifische Haltung des Romans, in der viele technologische Details mit viel ernsthaftem tech babble erläutert werden und die außerirdische Welt der Venus und ihrer einstigen Zivilisation ausgesprochen bizarr und für die irdischen Besucher unverständlich erscheinen.
In seinen visuellen Qualitäten liegt eindeutig die größte Stärke des Films. Kurt Maetzig und das Babelsberger Filmteam schufen wahrhaft spektakuläre Sets, Modellbauten und Spezialeffekte, die dem Film eine eigentümliche Schönheit und Reichhaltigkeit verleihen – zumindest für den Connaisseur klassischer Science-Fiction-Filme. Jüngere, CGI-verwöhnte Zuschauer mögen den Film hingegen als lächerliche und tricktechnisch archaische Show abtun. Gewiss können die Szenen auf der Venus nie verbergen, auf einer Filmbühne gedreht worden zu sein, doch in ihrem Versuch, dem Zuschauer eine beeindruckende, fremdartige Welt zu zeigen, die er nie zuvor gesehen hat, sind sie erfolgreich. Die Erstellung der Spezialeffekte leitete kein geringerer als Ernst Kunstmann (1898–1995), einer der bedeutendsten Filmtricktechniker Deutschlands, der in den Zwanzigerjahren mit Fritz Lang und Friedrich Wilhelm Murnau zusammengearbeitet hatte und gemeinsam mit Eugen Schüfftan und dem Kameramann Helmar Lerski das Einspiegelungsverfahren entwickelte, das dann unter anderem in Langs Metropolis (1927) extensiv genutzt wurde. Der schweigende Stern war eine seiner letzten Arbeiten.
Die meisten spektakulären Szenen wurden aus großen Bühnenbildern, gemalten Hintergrundleinwänden, Modellbauten und Nebel- und Lichteffekten komponiert. Andere Szenen bestehen hingegen aus gekonnt ausgeführten Bildmontagen (matte shots), in denen verschiedene Bildelemente maskiert und dann einkopiert wurden. Im Bühnen- und Modellbau und in der Tricktechnik wurde hier wahrlich aus dem Vollen geschöpft – wie später nie wieder in einem DDR-Science-Fiction-Film. Bemerkenswert ist überdies die mächtige, sehr gelungene orchestrale Musik von Andrzej Markowski, die den Film eröffnet. Im Film selbst wird sie leider nicht mehr verwendet und stattdessen durch bizarre elektronische Tonlandschaften à la Bebe und Louis Barron ersetzt.
Der Kosmokrator ist womöglich das extravaganteste Raumschiff des Fünfzigerjahre-Kinos, nur noch übertroffen vom UFO-förmigen C-57-D-Raumkreuzer aus Alarm im Weltall (1956): eine kühne Vervielfachung des typisch glatten, leicht bauchigen und nadelspitzen Raketendesigns der Fünfziger, die sich, auf dem Startfeld oder auf der Venus stehend, in seinen gespannten Linien kraftvoll gen Himmel reckt. Die geräumigen, elegant-spacig gestylten Sets seines Inneren wirken für damalige Verhältnisse sehr modern und üppig instrumentiert. Hübsche Gadgets sind zu bestaunen wie verglaste Rovermobile, ein futuristisches Fluggerät oder der auf Gleisketten fahrende, niedrig gebaute Roboter Omega, der mit schwerfälliger, pfeifender Elektronikstimme spricht. Am bemerkenswerten aber sind die Sets für die lebensfeindliche, unheimlich und höllisch anmutende Venusoberfläche, die von knirschenden Glaskrusten bedeckt ist und ständig von Nebeln und Wolken verdüstert wird. Die bizarren „Bäume“ des „gläsernen Waldes“, der sich später als gewaltige, interplanetare Strahlenwaffe entpuppt, und die Ruinen der Venusstadt, die sich in zerschmolzenen Bögen, Trägern und Gebäuden übereinandertürmen, wirken wie aus der Fantasie eines Joan Miró oder Salvador Dalí entsprungen.
Die Eigentümlichkeit dieser Bilder wird nicht zuletzt dadurch gesteigert, dass sie dem Zuschauer in dem Moment, wo sie ihm begegnen, genauso unverständlich und fremd erscheinen wie den Besuchern von der Erde, und er sich ständig fragt, wie er sie interpretieren soll – ganz im Einklang mit Lems Roman, der die außerirdische Kultur so bizarr und unverständlich wie möglich porträtieren will. Der surreale Gipfelpunkt in dieser Hinsicht ist sicherlich der Angriff der protoplasmischen Masse auf eine Gruppe von Raumfahrern, die sich daraufhin auf einen seltsamen konischen Turm mit einer gewendelten Außenrampe hinaufrettet. Das Plasma fließt die Rampe hinauf und rinnt aus den Fenstern des Turmes, schließt die Raumfahrer rettungslos ein – und zieht sich dann plötzlich, nachdem einer der Raumfahrer mit seinem Blaster auf sie schießt, wie durch Zauberhand wieder zurück. Die Rationalisierung dieses lebendigen Plasmas erfolgt im späteren Gespräch der Wissenschaftler, die vermuten, dass es die Energie für den gläsernen Wald und die „weiße Kugel“ liefert. Letztere ist ein großer Artefakt, der eine Art Gravitationskatapult für Raumschiffe darstellt und die Kosmokrator mit seinem Kraftfeld am Boden der Venus festhält.
Das Protoplasma wie auch der „gläserne Wald“, die „weiße Kugel“, die unterirdische Energieleitung, der die Kosmonauten folgen, die Venusstadt mit der Steuerungszentrale und die kleinen Metallkäfer, die mit den in ihnen enthaltenen Kristallkugeln als Datenspeicher fungieren – sie sind allesamt aus Lems Roman entnommen. Das Problem für den Zuschauer indessen ist, dass die Erklärungen all dieser Elemente, die im Roman in aller Ausführlichkeit gegeben werden, im Film oft nur en passant in die Dialoge der Wissenschaftler eingestreut sind und es leicht geschehen kann, dass einem ein wichtiger Punkt entgeht. Und rationale Erklärungen des Geschehens sind trotz aller gewollten Rätselhaftigkeit dann doch vonnöten. Sie werden gegeben, sind aber nur sehr schwer zu verfolgen – ganz zu schweigen von den zumeist haarsträubenden wissenschaftlichen Prämissen, auf denen sie aufbauen und die ein gerüttelt Maß willing suspense of disbelief erfordern.
Der gewiss größte Schwachpunkt des Films ist seine bleierne Dramaturgie, die sich mit einem stocksteifen, unaufgeregten Schauspiel, zumeist tonlos deklamierten Dialogen und einer einfallslosen Kameraführung paart. Dadurch gerät die eigentliche Erzählung des Films bei aller visuellen Lebhaftigkeit leider ausgesprochen schwerfällig und droht stets, völlig unverständlich zu werden. Bill Warren hat das in seinem Buch Keep Watching the Skies! so gesehen:
Das Tempo jeder Szene ist das eines mitteleuropäischen Films. Die Leute nehmen sich ihre Zeit, dann gibt es einen raschen Schnitt, und nun nehmen sie sich ihre Zeit, etwas anderes zu tun. Das lässt den Film durcheinandergewürfelt und konfus wirken, selbst wenn er es nicht wirklich ist; wenn es dann wirklich durcheinandergewürfelt und konfus wird wie im Höhepunkt, könnte man es genauso gut auch aufgeben. Keine Anstrengung intensiver Konzentration wird offenbaren, worauf diese sich langsam bewegenden Leute aus sind – also entspanne dich und schau die hübschen Bilder! (Skies, S. 276).
Die Eintracht der sozialistischen Zukunft bedingt, dass es keine heldenhafte Führungsfigur und keine personellen Konflikte um die Macht oder gar um den „Besitz“ der Frau wie in westlichen Science-Fiction-Filmen gibt – gezeigt wird ein pefekt funktionierendes Kollektiv von Wissenschaftlern. Obwohl dies eigentlich jeden Hard-SF-Liebhaber begeistern sollte – und in der Tat funktioniert der Film als lupenreine Science-Fiction besser als die meisten westlichen Science-Fiction-Filme jener Zeit –, hat die fehlende menschliche Dramatik zu häufiger Kritik an dem Film Anlass gegeben. Zugegeben: Der Schmalz der unerfüllten Liebe zwischen Sumiko und Brinkmann oder der überflüssige Amoklauf des Roboters Omega, ausgelöst durch die venusische Radioaktivität, bilden für echte menschliche Dramatik keinen adäquaten Ersatz. Selbst der melodramatische Tod dreier Kosmonauten am Ende berührt kaum, da dieser, ganz entgegen der behäbigen Gangart des Films, viel zu überhastet und konfus vonstatten geht.
Das Raumfahrerkollektiv stammt aus der UdSSR, Polen, Deutschland, Japan, China, Indien, den USA und Afrika. Die meisten Nationalitäten sind stereotyp dargestellt, wobei Julius Ongewe als afrikanischer Funker Talua die ärgerlichste Rolle zufällt. Während alle anderen Crewmitglieder vor dem Start auf der Erde pathetische Worte für den fortschrittlichen Wert ihrer Mission finden, verabschiedet sich Talua vor dem Mikrofon der Presse lediglich mit schlichten, liebevollen Worten von seinem Mädchen Mona und sagt, dass sie gleich starten werden und er sich freue, dabeizusein. Er mag ein Wissenschaftler sein, präsentiert wird er jedoch als kolonialer Afrikaner: ein kaum gebildeter, einfältiger Lakai des Weißen Mannes.
Der Film warnt klarerweise vor dem Atomkrieg, wofür das Schicksal der eroberungslüsternen Venusier und die häufigen Verweise auf Hiroshima als schreckliche Menetekel dienen. Schon die Raumfahrer in Rakete Mond startet (1950) begegneten auf dem Mars den mutierten Überlebenden einer Zivilisation, die sich in einem Atomkrieg „in die Steinzeit“ zurückgebombt hat. Entfernt ähnelt das Thema des Films auch an Alarm im Weltall (1956), wo die Raumfahrer auf einem fernen Planeten die noch immer funktionierenden technologischen Wunder einer außerirdischen Spezies erforschen, die ebenfalls durch ihre eigene Hybris untergegangen ist. Der Film bewegt sich thematisch somit auf bekanntem Science-Fiction-Terrain, aber er tut dies mit derart prachtvoll-bizarren, eindrücklichen Bildern, dass er noch immer die Imagination anzuregen vermag und die Botschaft ankommen lässt.
Der schweigende Stern ist ein visuell opulentes, beinahe psychedelisches Science-Fiction-Abenteuer und ein bemerkenswertes Stück ostdeutscher Kinogeschichte. Genug Gründe für jeden historisch interessierten Genrefreund, sich diesen Film auch nach fünfeinhalb Jahrzehnten anzusehen. Ein Genuss.
© Michael Haul
Veröffentlicht auf Astron Alpha am 21. Oktober 2016
Szenenfotos © DEFA-Stiftung