Flight of the Navigator (USA/Norwegen 1986)
Regie: Randal Kleiser
Drehbuch: Mark H. Baker (Story); Michael Burton, Matt MacManus (Drehbuch)
Kamera: James Glennon. – Musik: Alan Silvestri
Darsteller: Joey Cramer (David Freeman), Veronica Cartwright (Helen Freeman), Cliff De Young (Bill Freeman), Sarah Jessica Parker (Carolyn McAdams), Matt Adler (Jeff als Sechzehnjähriger), Albie Whitaker (Jeff als Achtjähriger), Howard Hesseman (Dr. Faraday), Robert Small (Troy), Raymond Forchion (Detective Banks), Cynthia Caquelin (weiblicher Police Officer) u. a.
Produzenten: Robert Wald, Dimitri Villard
Companies: Walt Disney Pictures, Producers Sales Organization (PSO), New Star Entertainment, Viking Films
Laufzeit: 90 Min.; Farbe
Premiere: 1. August 1986 (USA); 21. Juli 1988 (Deutschland)
Florida, im Juli 1978. Der zwölfjährige David wächst in einer behüteten Familie auf. Als David eines Abends seinen jüngeren Bruder Jeff von Freunden in der Nähe abholen soll, nimmt er eine Abkürzung durch den Wald. Dort bemerkt er am Fuße eines Abhangs ein unheimliches Leuchten. Er späht hinunter, rutscht ab, fällt – und bleibt bewusstlos liegen.
Als David wieder erwacht und nach Hause zurückkehrt, ist das Haus plötzlich von Fremden bewohnt. David ist verwirrt, und die Bewohner rufen die Polizei. Auf der Wache trauen die Polizisten ihren Akten kaum: Mittlerweile schreibt man das Jahr 1986, doch David, der seit 1978 vermisst wurde, ist acht Jahre nicht gealtert! David wird zu seiner Familie gebracht, die vor Jahren umgezogen war. Erst als David seinen inzwischen sechzehnjährigen Bruder Jeff sieht, beginnt er zu akzeptieren, dass tatsächlich acht Jahre verstrichen sind, an die er sich nicht im Geringsten erinnern kann.
David wird in ein Krankenhaus gebracht, wo sein Gehirn untersucht wird. Da es seltsame Daten enthält – unter anderem den Bauplan eines unbekannten Flugobjekts –, wird die NASA auf David aufmerksam. Die NASA hat in der Nähe ein havariertes UFO geborgen und es in einem Hangar in einem Forschungszentrum untergebracht, wohin nun auch David gebracht wird. Dort wird David von einer telepathischen Stimme in seinem Kopf gerufen, die von dem UFO im Hangar ausgeht. Mithilfe seiner jungen Betreuerin Carolyn schafft es David, heimlich ins Hangar zu gelangen, wo sich das UFO plötzlich öffnet und David einlädt, einzutreten. David steigt ein.
Das UFO stellt sich David als ein unbemanntes, mit künstlicher Intelligenz ausgestattetes Raumschiff vor, das vom 560 Lichtjahre entfernten Planeten Phaelon gekommen ist. Es hatte 1978 David zu Forschungszwecken nach Phaelon entführt und nun zurückgebracht. Da jedoch ein an einer Hochspannungsleitung erlittener Stromschlag die gespeicherten Sternenkarten des Schiffs ruiniert hat, benötigt das Schiff die in Davids Gehirn abgespeicherten Kopien der Karten, um nach Phaelon zurückkehren zu können. David wird zum „Navigator“ des Raumschiffs und fliegt mit ihm davon . . .
Knuffige Familien-Unterhaltung à la Disney . . .
. . . mit einer harmlos-verniedlichten UFO-Thematik – so ließe sich Der Flug des Navigators in knappen Worten charakterisieren. Der Film ist ein liebenswertes und effektvolles Science-Fiction-Abenteuer für Kinder und Eltern. Zur intendierten Zielgruppe gesellen sich inzwischen auch jene, die den Film vor Jahren als Kinder mochten und ihn heute aus nostalgischen Gründen gern anschauen. Ja, der Film ist ein typisches Disney-Produkt (auch wenn das bereits angefangene Projekt von der Produktionsfirma PSO eingekauft wurde), und ein weiteres Mal wird der Mythos der grundguten, wohlgeratenen, weißen Middleclass-Familie gefeiert. Doch das ist nur die eine Seite der Medaille. Die andere ist, dass der Film gekonnt die fantastischen Träume kleiner (und großer) Jungs auf die Leinwand zaubert. Welcher vorpubertäre Junge hat nicht schon einmal davon geträumt, von gütigen Außerirdischen zu einer Reise ins Weltall eingeladen zu werden? Oder gar selbst einmal ein UFO zu steuern? Dabei weiß jeder, der durch Comics oder UFO-Filme „vorgebildet“ ist, dass die Begegnung mit Außerirdischen zunächst einmal unheimlich und angsteinflößend ist. Diese Stimmung wird auch im ersten Drittel von Der Flug des Navigators erzeugt. Dem Film gelingt es, von Beginn an Spannung und Atmosphäre aufzubauen.
Der erwachsene Genreliebhaber freut sich über den souveränen Umgang mit populären UFO-Klischees und Anspielungen auf andere Science-Fiction-Filme. Schon der Anfang ist eine clevere Einstimmung des Zuschauers: Silbrige Scheiben schwirren über die Skyline von Fort Lauderdale, die aber eigentlich wie Frisbees in den altbekannten, unscharf gefilmten „Beweisaufnahmen“ von UFO-Sichtungen aussehen. Gut, denkt der Genrefreund, ein mäßiger Spezialeffekt – bis die Frisbees unvermittelt von hochspringenden Hunden geschnappt werden und sich die Szene als Teil eines Frisbee-Wettbewerbs für Hunde entpuppt. Ein gelungener Auftakt, der sofort die Tonlage des Films anklingen lässt und gleichzeitig die Hauptfigur, den kleinen David, einführt, dessen halbblinder Hund beim Wettbewerb versagt und David den Spott der anderen einhandelt. Nebenbei: Ist es Zufall, dass der Junge „David“ heißt – wie der kleine Junge aus dem Klassiker Invasion vom Mars (1953), dem ersten Science-Fiction-Film, der sich ganz bewusst an Kinder wandte?
Schon bald schiebt sich ein drohender Schatten über die Szenerie – „V“ lässt grüßen. Es zeigt sich aber auch hier sofort, dass der Schatten nur ein Reklamezeppelin ist, und auch dieser kleine Gag trifft den Ton und stimmt auf das Kommen des echten UFOs ein.
Als David dann im Wald unterwegs ist, gemahnen eine mysteriöse Stimmung und ein seltsames Leuchten an Steven Spielbergs Unheimliche Begegnung der dritten Art (1977) und E.T. (1982): Der Erstkontakt scheint unmittelbar bevorzustehen. Als David, nachdem er ohnmächtig geworden ist, wieder erwacht, sind acht Jahre vergangen, und er versteht die völlig veränderte Welt nicht mehr. Hier zieht der Film alle bekannten Register paranoider Berichte über UFO-Entführungen, und Davids erst verzweifelte, dann skeptische und schließlich unendlich traurige Reaktion auf die Erkenntnis, von seiner Familie und seinem gewohnten Leben plötzlich durch acht verpasste Jahre getrennt zu sein, wird von Joey Cramer (geb. 1973) bemerkenswert einfühlsam dargestellt.
Einen besonders starken Bezug stellt der Film zu Robert Wises Der Tag, an dem die Erde stillstand (1951) her, einem der größten UFO-Film-Klassiker aller Zeiten. Hier wie dort ist das UFO silbrig glatt, ist keine Einstiegsluke erkennbar und das Metall der Außenhülle unzerstörbar; in beiden Filmen sieht man einen Techniker, der mit einem Schweißbrenner in der Hand vergeblich versucht, das Metall anzukratzen. Deutlicher noch ist das Vorbild in der sehr gelungenen Musik herauszuhören. Filmkomponist Alan Silvestri (geb. 1950) hat sich unverkennbar von der großartigen Musik von Bernard Herrmann (1911–1975) inspirieren lassen, die in Der Tag, an dem die Erde stillstand eine mysteriöse und gleichzeitig erhabene Stimmung erzeugte. Silvestris langsame Folge zweier langer, hoher Synklavieranschläge, gefolgt von einem sanft anbrandenden Basston, findet sich fast identisch in Herrmanns Originalscore zu Robert Wises Film.
Eine unschwer wiederzuerkennende Remineszenz ist schließlich das an einem beweglichen, silbrigen Arm befestigte elektronische Auge im Inneren des UFOs, das an Byron Haskins Klassiker Kampf der Welten (1953) denken lässt.
Regisseur Randal Kleiser hatte vor Navigator noch keine Science-Fiction-Filme gedreht. Nachdem er zunächst fürs Fernsehen gearbeitet hatte (u. a. Starsky & Hutch), wurde er vor allem mit Grease (1978) und Die blaue Lagune (1980) bekannt; später drehte er weniger erfolgreiche Filme wie Das verflixte erste Mal (1989) und den ziemlich dümmlichen Science-Fiction Liebling, wir haben jetzt ein Riesenbaby (1992).
Das Produktionsdesign ist exzellent, insbesondere gefällt das komplett verchromte, glitzernde Innere des UFOs, das von außen recht klein wirkt und aussieht wie ein Muschelgehäuse. Die Spezialeffekte sind meistenteils, wenn auch nicht in allen Einstellungen, recht gut gelungen. Jahre vor Terminator 2 (1992) wurde hier bereits das computergenerierte Morphing von spiegelndem Metall realisiert, das wie eine Flüssigkeit die Gestalt verändern kann. Zum ersten Mal für einen Kinofilm wurde die CGI-Technik des environment mapping angewandt, und der Gestaltwandel des UFOs ist auch heute noch visuell absolut überzeugend. Das „Heraustropfen“ der frei schwebenden Treppenstufen aus dem UFO wurde hingegen nicht mit dem Computer, sondern – angeblich – mit Stop-Motion-Technik realisiert, wobei für jedes Einzelbild eine Serie metallisch aussehender Skulpturen hergestellt wurde. Auf mich hat ehrlich gesagt der Effekt eher wie eine Serie von matte paintings gewirkt, aber so oder so ist das Ergebnis nur mäßig gelungen. In den Einstellungen, in denen David auf die scheinbar schwebenden Treppenstufen steigt, waren diese an schräg gestellten Trägern montiert, die sich immer direkt hinter den Stufen, für die Kamera unsichtbar, befanden.
Aus heutiger Sicht erzeugt der Film gleich in zweifacher Hinsicht nostalgische Regungen, zumindest für jene, die damals ihre Kindheit und ihre Jugend erlebt haben – so wie ich: Er entführt in die Jahre 1978 und 1986, und in ihrer direkten Gegenüberstellung wird erst so richtig deutlich, wie stark sich der Zeitgeist in dieser kurzen Zeitspanne gewandelt hatte. Die symphatische NASA-Angestellte Carolyn, gespielt von einer blutjungen Sarah Jessica Parker mit hochgesteckter Achtzigerjahre-Dauerwelle, erklärt dem kleinen David, was sich alles inzwischen in der Popkultur verändert hat (schon damals war offenbar style das bestimmende Thema von Parkers Schauspielkarriere). Joey Cramer entpuppt sich als perfekte Besetzung für den aufgeweckten David, den er unverkrampft, natürlich und mit viel Einfühlungsvermögen spielt. Auch die anderen Darsteller agieren überzeugend. Von ihnen ist Veronica Cartwright (geb. 1949) in der Rolle von Davids Mutter Helen besonders hervorzuheben: Sie spielte bereits in Hitchcocks Die Vögel (1960) mit und war insbesondere in Alien (1979) und Die Körperfresser kommen (1978) zu sehen.
Der Flug des Navigators ist ein kurzweiliges, gelungenes Abenteuer für Kinder, bei dem die Erwachsenen gern mitschmunzeln dürfen. Erzählerisch kann der Film allerdings leider nicht ganz die Spannung halten, die er mit seiner mys-teriösen Stimmung am Beginn aufbaut. Der Einbruch des Fantastischen – des UFOS – ist zu Beginn unerklärt und angsteinflößend und schürt doch die Neugier. Alle Details, die über den außerirdischen Besucher offenbart werden – wie beispielsweise der Name und die Entfernung des Heimatplaneten – wecken brennendes Interesse. In dem Moment jedoch, wo sich David im Inneren des UFOs befindet und sich mit dessen Künstlicher Intelligenz, die er „Max“ tauft, anfreundet, wird die Faszination des Fantastischen praktisch annulliert und der Film zunehmend infantiler. Max, der Davids Hirn gescannt hat, beginnt, wie Davids Vater oder Bruder zu sprechen, und statt dass David mehr über die Außerirdischen erfährt, bringt er umgekehrt Max bei, menschlicher zu werden: Er erklärt ihm, was es bedeutet, Versprechen einzuhalten oder zu lachen. Die Vermenschlichung des Außerirdischen wird viel zu weit getrieben. Die übrigen, haustiergroßen Aliens an Bord, die Max auf diversen Planeten zu Studienzwecken gesammelt hat, sind überdies ziemlich albern geraten und wirken allesamt wie Karikaturen aus Jim Hensons Muppet Show.
Vor allem aber enttäuscht, dass David, nachdem Max ihm die Kontrolle über das UFO überlassen hat, nichts Abenteuerlicheres einfällt, als einfach nur nach Hause fliegen zu wollen. Wirklich jeder Junge hätte sich die Gelegenheit, ein außerirdisches Raumschiff steuern zu dürfen, nicht entgehen lassen und wäre natürlich ins Weltall hinaus geflogen! David dagegen fliegt mit dem UFO einfach nur über die Erdoberfläche hinweg, studiert die Straßenkarten und will nichts anderes als den Weg zurück nach Fort Lauderdale finden. Eine Reise ins All hätte mehr Einfälle und natürlich auch mehr teure Spezialeffekte verlangt. Die Fixierung auf die Erde bleibt allenthalben unbefriedigend. Sie erinnert zudem an den Isolationismus des Science-Fiction-Kinos der Fünfzigerjahre und wirkt daher recht altertümlich. Zuguterletzt ist das rührende Happy-End, bei dem David nach einer Zeitreise mit seiner „richtigen“ Familie anno 1978 wieder vereint wird, vielleicht etwas zu überzuckert ausgefallen.
Manch verstockte Science-Fiction-„Experten“ haben die Ernsthaftigkeit oder die kühne fantastische Idee vermisst oder sogar mit der offenen Beleidigung des Publikums ihre gute Kinderstube vergessen – so zum Beispiel Phil Hardy in seiner Science Fiction Filmenzyklopädie, S. 410, der das Zielpublikum „aalglatte, gebügelte Dummköpfe“ nennt, „deren Vorstellung von High-Tech ein Wettbewerb im Hunde-Frisbee ist“. Jenen Nörglern von gestern stehen heute viele gegenüber, die mit dem Film lebhafte Kindheits- und Jugenderinnerungen verbinden – und wie bei praktisch jedem älteren Science-Fiction-Film gibt es auch in diesem Fall immer wieder Gerüchte, dass ein Remake in Planung sei. Wir werden sehen.
Trotz seiner Schwächen in der zweiten Hälfte ist Der Flug des Navigators ein schönes, herziges Science-Fiction-Märchen für Kinder und Erwachsene, das gute Schauspieler, tolle Tricktechnik, liebevolle Genre-Anspielungen und eine gelungene Filmmusik miteinander vereint. Ein kurzweiliges, kindlich-naives Vergnügen.
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Flight of the Navigator (USA/Norwegen 1986). Regie: Randal Kleiser. Produzenten: Robert Wald, Dimitri Villard. Koproduzenten: Malcolm R. Harding, David Joseph. Drehbuch: Michael Burton, Matt MacManus (Drehbuch); Mark H. Baker (Story). Kamera: James Glennon. Schnitt: Jeff Gourson. Musik: Alan Silvestri. Spezialeffekte: Jack Bennett, Joseph Williams (Leitung), John Boisseau, Bruce Hanover; Petter J. Borgli (in Norwegen). Visuelle Effekte: Peter Donen, Jeffrey Kleiser (Leitung); Joseph Wallikas (in Norwegen). Produktionsdesign: William J. Creber. Bauten/Art Direction: Michael Novotny. Bühnenbild/Set Decoration: Scott Jacobson.
Darsteller: Joey Cramer (David Freeman), Veronica Cartwright (Helen Freeman), Cliff De Young (Bill Freeman), Sarah Jessica Parker (Carolyn McAdams), Matt Adler (Jeff als Sechzehnjähriger), Albie Whitaker (Jeff als Achtjähriger), Howard Hesseman (Dr. Faraday), Robert Small (Troy), Raymond Forchion (Detective Banks), Cynthia Caquelin (weiblicher Police Officer) u. a.
Companies: Walt Disney Pictures, Producers Sales Organization (PSO), New Star Entertainment, Viking Films.
Laufzeit: 90 Min.; Farbe. Premiere: 30. Juli 1986 (USA); 21. Juli 1988 (Deutschland).
© Michael Haul; veröffentlicht auf Astron Alpha am 22. Juni 2017
Szenenfotos © Warner Disney Home Video