The Rocketeer. Alle Abenteuer in einem Band. Science-Fiction-Comic von Dave Stevens (Story, Zeichnungen, Tusche) und Laura Martin (Farben). Ko-Autoren (Teil 2, Kapitel 2 und 3): Danny Bilson und Paul Demeo; künstlerische Assistenz: Jaime Hernandez, Arthur Adams, Geof Darrow, Gary Gianni, Michael Kaluta, Stan Manoukian, Sandy Plunkett und Vince Roucher; Covers von Teil 2, Kapitel 1 und 2: Dave Stevens, gemalt von Dave Dorman und Paul Chadwick.
Ursprünglich in Heftform veröffentlicht in Starslayer Nr. 1–3 (1982), Pacific Presents Nr. 1–2 (1983), The Rocketeer Special Edition Nr. 1 (1984), The Rocketeer Adventure Magazine Nr. 1 (1988), 2 (1989) und 3 (1995). Als Sammelband erschienen bei IDW Publishing im Dezember 2009. Vorliegende deutsche Ausgabe erschien 2010 bei Cross Cult, mit einem Vorwort von Christian Langhagen und einem Essay über Dave Stevens von Christian Endres. Übersetzung ins Deutsche von Christian Langhagen. Hardcover mit illustriertem Einband, 160 Seiten.
Los Angeles, April 1938. Der 26-jährige Cliff Secord, Pilot in einer Flugshow und notorisch knapp bei Kasse, staunt nicht schlecht, als dubiose Gestalten, von der Polizei verfolgt, im Cockpit seines Flugzeugs ein ganz heißes Ding verstecken: einen handlichen Raketenrucksack, mit dem der Traum vom Fliegen ohne Flugzeug Wirklichkeit wird! Cliff sieht seine Chance, mit dem Rucksack als fliegender Mann auf der Flugshow aufzutreten und so einen schönen Batzen Geld zu verdienen. Das Geld, so meint er, braucht er unbedingt, um seiner zuckersüßen Freundin Betty etwas bieten zu können. Denn Betty hat sich neuerdings einem widerwärtigen Fotografen aus Hollywood zugewandt, weil sie hofft, durch ihn ihre Karriere als Schauspielerin vorantreiben zu können.
Cliffs älterer Freund, der Mechaniker und Tüftler Peevy, vermutet, dass der Raketenrucksack wahrscheinlich gestohlenes Regierungseigentum ist und drängt Cliff, ihn zurückzugeben. Doch Cliff denkt gar nicht daran, sondern bittet Peevy, ihm noch einen passenden Helm zu dem Rucksack anzufertigen, was Peevy dann auch tut. Schon am nächsten Morgen muss Cliff unerwartet und ohne vorherige Tests abheben, als auf der Flugshow einer seiner Kollegen mit sei-nem Flugzeug abzustürzen droht. In einer spektakulären Aktion gelingt es dem mit Rucksack und Helm über den Himmel jagenden Cliff, vor einem jubelnden Publikum den Piloten zu retten. Am nächsten Tag feiert ihn die Presse als Helden und verpasst ihm den Namen „Rocketeer“.
Allerdings kommt Cliff kaum zur Ruhe: Nazi-Agenten sind hinter dem Rucksack genauso her wie ein Anwalt und ein Chemiker, die im Auftrag des Erfinders des Rucksacks handeln. Und auch Betty zeigt wenig Verständnis dafür, weshalb Cliff den Rucksack nicht zurückgibt . . .
Ein unwiderstehlicher Comic-Klassiker
Der leider viel zu früh an Krebs verstorbene kalifornische Zeichner Dave Stevens (1955–2008) gehört zu den meistgeschätzten Künstlern seiner Zunft. Er war ein herausragendes Talent und konnte wahrlich bravourös mit dem Pinsel umgehen, mit dem er seine Zeichnungen inkte und erstrahlen ließ. Von frühester Jugend an hegte er eine innige Liebe zu Comics und Pulps. Das Zeichnen brachte er sich autodidaktisch bei, und seit Mitte der Siebzigerjahre wurde Stevens in der Independent-Comic-Szene in San Diego aktiv. Bald darauf gelang ihm der Sprung ins Profilager: Er assistierte einige Jahre dem legendären Russ Manning (1929–1981) als Zeichner bei den täglichen Comicstrips von Tarzan und Star Wars. Stevens wurde jedoch bald klar, dass in der Comicbranche die Brötchen sehr sauer verdient werden müssen; beim Film, Fernsehen und in der Werbung ließ sich im Vergleich dazu als Illustrator erheblich mehr Geld verdienen. So wechselte Stevens die Branche und arbeitete für verschiedene Filmstudios als Storyboard-Zeichner. Unter anderem zeichnete er Storyboards für Indiana Jones – Jäger des verlorenen Schatzes (1981) oder Michael Jacksons Musikvideo Thriller (1983). Darüber hinaus nahm er verschiedene Aufträge beim Fernsehen oder aus der Werbung an.
Als 1981 die Macher des frisch gegründeten, unabhängigen “Pacific Comics”-Verlags Dave Stevens einluden, eine Backup-Story für Mike Grells neue Starslayer-Comicreihe zu kreieren, ließ sich Stevens nicht lang bitten und schuf aus einer Melange seiner heißgeliebten Pulp- und Kinoserial-Ikonen den turbulenten Abenteuer-Comic The Rocketeer. Für Stevens war es ein reines, mit viel Herzblut betriebenes Liebhaberprojekt; auf die spärliche Bezahlung seiner Comicseiten war er nicht angewiesen. Der Comic wurde in der Szene auf Anhieb ein hochgelobter Riesenerfolg, verlangte seinen Lesern jedoch erhebliche Geduld ab. Denn der Comic hat eine höchst komplizierte Veröffentlichungsgeschichte: Die einzelnen Kapitel der in Fortsetzungen erzählten zwei großen Abenteuer, die Dave Stevens schuf, erschienen bei mehreren verschiedenen Verlagen über einen Zeitraum von 13 (!) Jahren. Ursächlich dafür war zum einen Stevens’ Hang zum zeitraubenden Perfektionismus, der ihn jedes Panel aufwendig ausgestalten ließ, sodass beispielsweise das Schlusskapitel des ersten Abenteuers erst 1984 erschien und dessen Cliffhanger hinwiederum erst 1988 mit dem Beginn des zweiten Abenteuers wieder aufgegriffen wurde, sowie Querelen mit den verschiedenen Comicverlagen. Erst Ende 2009 legte IDW Publishing in den USA eine exzellente, von Laura Martin digital neu kolorierte Gesamtausgabe der beiden Rocketeer-Abenteuer vor. Sie bildete die Grundlage für die hier besprochene deutsche Ausgabe, die Cross Cult im Dezember 2010 in opulenter Aufmachung und in erstklassiger Druckqualität als Hardcover veröffentlichte.
Dave Stevens’ Geniestreich The Rocketeer ist ein liebevoll gemachtes, wunderschönes und höchst unterhaltsames Juwel der Comickunst. Angesiedelt im glamourösen Hollywood und New York der späten Dreißigerjahre, atmet der Comic den Geist der turbulenten Kinoserials, Comics und Pulpmagazine der damaligen Zeit, die ganz auf halsbrecherische, atemberaubende Action getrimmt waren. Das hat etwas rührend Unschuldiges: Die Nostalgie des Vergangenen, die alles vergoldet, wird hier lustvoll ausgelebt, und das macht ungeheuren Spaß!
Vor allem zwei Dinge gefallen an dem Comic. Da sind zum einen Dave Stevens’ virtuose, bis ins kleinste Detail perfekt ausgeführte, zum Niederknien schöne Zeichnungen. Ihr angenehmer, naturalistischer Stil folgt der klassischen Comic- und Illustrationsschule, die den überkandidelten, zu harten Strich vieler heutiger Zeichner – und Stümper! – wohltuend vermeidet. Seine mit weichen Pinselstrichen geinkten Zeichnungen entfalten eine tolle Dynamik und lassen Seite für Seite ein sicheres Gespür für korrekte Proportionen und abwechslungsreiche Perspektiven erkennen. Garniert werden sie von Panels, in denen Cliffs aufreizende Freundin Betty in glorifizierend-erotischen Posen zu sehen ist – worin Stevens’ vielgerühmtes Talent für die amerikanische Pinup-Kunst ihren berechtigten Niederschlag gefunden hat.
Zum anderen begeistert die Sicherheit, mit der Dave Stevens den Ton und Rhythmus der vorbildgebenden Serials, Comics und Pulps trifft. Seine beiden optimistischen Rocketeer-Abenteuer haben Leichtigkeit, Schwung, Humor, viele unerwartete Wendungen, dramatische Cliffhanger und natürlich jede Menge Action! Sie sind erzählerisch großartig und stehen damit der Qualität der Zeichnungen in nichts nach. Cliff Secord ist ein vor Energie strotzender Draufgänger, der ganz ungewollt zum Helden wird und letztlich alle Hebel nur deshalb in Bewegung setzt, um seine Betty für sich zu gewinnen – eine spannende Love Story der abenteuerlichen Art.
Charmant sind auch die Fingerzeige auf die Vorbilder. So ist der Rocketeer natürlich unverkennbar eine Inkarnation der Raketenmänner aus den billigen, aber mit viel Herzblut produzierten Kinoserials King of the Rocket Men (1949), Radar Men from the Moon (1952), Zombies of the Stratosphere (1952) und Commander Cody: Sky Marshal of the Universe (1953). Im ersten Abenteuer bekommt es Cliff mit zwei Freunden des berühmten Pulp-Helden Doc Savage zu tun. Im zweiten Abenteuer trifft Cliff auf einen anderen berühmten Pulp-Helden, The Shadow, einen Meister der Verwandlung, der sich hier allerdings Jonas und nicht wie in den Pulps Lamont Cranson nennt. Daneben haben auch Ikonen der Vierziger- und Fünfzigerjahre den Comic inspiriert. So sieht Lothar, der hünenhafte Bösewicht aus dem zweiten Abenteuer, genauso aus wie Rondo Hatton (1884–1946), einem gelegentlich in Gangster- und Horrorfilmen erscheinenden Darsteller, dessen Züge von Akromegalie gezeichnet waren. Und Betty ist unschwer als eine gezeichnete Version der berühmten Bettie Page (1923–2008) erkennbar, einem in den Fünfzigerjahren enorm populären Pinup-Model.
1991 produzierte Disney eine Verfilmung des Comics unter der Regie von Joe Johnston (geb. 1950), unter enger kreativer Beteiligung von Dave Stevens. Der Film erntete damals gute Kritiken, war finanziell jedoch kein sehr großer Erfolg. Allerdings zählt er zu den wenigen Comicverfilmungen, die sich ausgesprochen eng an ihre Vorlage hielten. Ich finde den Film großartig: Sein Retro-Flair und seine handgemachten Tricks machen ihn zu einem ähnlich schönen Vergnügen wie die Comicvorlage selbst.
Dave Stevens’ The Rocketeer ist brillante Comickunst allerhöchster Güte und damit ein Fest für jeden Comicliebhaber. Es ist schade, dass Stevens nicht noch mehr Abenteuer von Cliff Secord erzählen konnte – er hatte im Laufe der Jahre noch viele Ideen zu Fortsetzungen geäußert, von denen er jedoch keine mehr realisierte. IDW hat sich deshalb darum bemüht, diese schmerzliche Lücke zu füllen, und hat seit 2011 mehrere neue Rocketeer-Comics veröffentlicht, wofür der Verlag mehrere namhafte Comickünstler gewinnen konnte. Die neuen Abenteuer sind sicher nette Trostpflaster. Das Original können sie freilich nicht ersetzen.
© Michael Haul
Veröffentlicht auf Astron Alpha am 16. Juni 2018
Abbildungen © The Rocketeer Trust; Cross Cult