John Scalzi: Krieg der Klone

Old Man’s War (2005). Science-Fiction-Roman. In deutsch 2007 im Wilhelm Heyne Verlag erschienen, einschließlich einer 26 Seiten umfassenden dialogischen Bonusszene: „Fragen an einen Soldaten“. Übersetzung ins Deutsche von Bernhard Kempen. Taschenbuch, 432 Seiten.

 

In einer fernen Zukunft verfügt die Menschheit mit dem „Skip-Antrieb“ über interstellare Raumfahrt und über mehrere Kolonien in der Galaxis. Da die „Koloniale Union“ das Monopol über die Skip-Technologie besitzt, ist die Erde zu einem isolierten und rückständigen Ort geworden, und die Menschen der Erde wissen kaum etwas darüber, was sich draußen im All abspielt. Nur zwei Gruppen von Erdenmenschen wird der Zugang zum All gewährt: neue Kolonisten, die in der Regel nur aus ärmeren Ländern auswandern dürfen, und Menschen aus reichen Staaten, überwiegend aus den USA, die sich zum Militärdienst verpflichten wollen.

 

Die Armee der Union, die „Koloniale Verteidigungsarmee“ (KVA), ist die Speerspitze der interstellaren Kolonialisierung. Denn im All herrscht ein erbarmungsloser Wettstreit um die wenigen bewohnbaren Planeten, bei dem sich die Menschheit gegen zahlreiche außerirdische Spezies mit harter Faust durchsetzen muss. Diplomatie und ein einver­nehm­li­ches Nebeneinander ist die Ausnahme, zumeist wird gnadenlos und blutig gegeneinander Krieg geführt.

 

Auf der Erde betreibt die KVA eine seltsame Rekrutierungspolitik: Um als angehender Soldat akzeptiert zu werden, muss man mindestens 75 Jahre alt sein und sein altes Leben für immer hinter sich lassen. Dafür erhält der Rekrut einen neuen Körper in Topform, ein High-End-Produkt der Gen- und Nanotechnologie, in den das Bewusstsein des Rekruten transferiert wird. Der Anreiz der körperlichen Verjüngung vor allem ist es, der die Alten und Gebrechlichen der irdi­schen Wohlstandsgesellschaften in die Arme des interstellaren Militärs treibt.

 

Der fünfundsiebzigjährige John Perry ist einer von ihnen. Nach dem Tod seiner geliebten Frau lässt sich der aufrechte und lebenstüchtige Mann aus Ohio anwerben und bricht mit anderen Rekruten auf einem Raumschiff der KVA ins All auf. Bereits auf der Reise erhalten die Rekruten ihre neuen, für Kampfeinsätze optimierten Körper. Auf Beta Pyxis III, dem militärischen Ausbildungsplaneten der KVA, müssen die Rekruten einen eisenharten Drill durchlaufen. Nach der Grundausbildung werden die Soldaten schließlich in Kampfeinsätze auf verschiedene Planeten gegen verschiedene Gegner geschickt. Die Hintergründe der Konflikte kennen sie kaum. Sie wissen nur, dass am Ende ihrer zweijährigen Dienstverpflichtung 80 Prozent von ihnen nicht überlebt haben werden . . .

 

Starship Troopers Reloaded

 

John Scalzi (geb. 1969) ist einer der jüngeren Shooting Stars der amerikanischen Science-Fiction. Old Man’s War, sein Debutroman, wurde in der Szene überschwänglich gefeiert und unter anderem mit dem John W. Campbell Award als bester Roman des Jahres ausgezeichnet. Mit mehreren Nachfolge-Romanen hat Scalzi seine Saga um die Koloniale Union und das interstellare Konklave fortgeschrieben. Bisher erschienen fünf Sequels: The Ghost Brigades (2006), The Last Colony (2007), Zoe’s Tale (2008), The Human Division (2013) und The End of All Things (2015). Außerdem gehören die kürzeren Erzählungen Questions for a Soldier (2005, in dem hier besprochenen Band als „Fragen an einen Soldaten“ enthalten), The Sagan Diary (2007, als „Sagans Tagebuch“ im dritten Band Die letzte Kolonie enthalten) und After the Coup (2008) in das „Old Man’s War“-Universum.

 

John Scalzis großes Vorbild ist Robert A. Heinlein (1907–1988), der Altmeister der Military-SF, den er in seinem Nach­wort auch ehrend erwähnt. Vor allem Heinleins Roman Starship Troopers (1959) diente Scalzi als Inspiration, und in der Tat fühlt man sich bei der Lektüre von Krieg der Klone auf Schritt und Tritt an Heinleins noch immer höchst umstrit­tenen Klassiker erinnert. Über weite Strecken fühlt sich Scalzis Roman sogar wie ein hypermodernes Remake von Starship Troopers an.

 

Die Begeisterung, die Krieg der Klone unter Science-Fiction-Fans ausgelöst hat, ist gut nachvollziehbar. Als aben­teu­er­liche Space Opera ohne Tiefgang ist der Roman rasante Unterhaltung allererster Güte und handwerklich beein­druckend gut geschrieben. John Scalzi hat einen sehr flotten und kompakten Erzählstil; er erzählt angenehm flüssig und prägnant, ohne sich mit Weitschweifigkeiten oder Ausschmückungen aufzuhalten. Beschreibungen von Dingen, Personen oder Situationen gibt es kaum welche, und doch wird alles vorstellbar und lebendig.

 

Hervorragend weiß Scalzi technische Konzepte unserer Zeit wie vernetzte Computer, Nanobots und Gentechnologie in die Zukunft zu extrapolieren und ihr damit einen glaubwürdigen technologischen Anstrich zu geben – stets ein wichtiges Qualitätsmerkmal für einen guten Science-Fiction-Roman. Scalzi schildert damit interessante und glaub­würdige technologische Visionen, wie generisch diese nun auch sein mögen. Besonders herausragend ist die Idee der künstlich gezüchteten Körper mit implantierten, untereinander vernetzten Hirncomputern (die bei Scalzi in satirisch entlarvendem Marketing-Englisch „BrainPal“ heißen), nanobotischem künstlichem Blut („SmartBlood“) und chlorophyllhaltiger, grüner Haut („KloraDerm“). Hier und da fallen zwar auch etwas altertümliche Elemente auf – so gibt es bei Scalzi noch immer Computer mit Tastaturen –, aber vielleicht ist es gerade diese Mischung aus radikal Neuem und Altvertrautem, das vielen Lesern (auch mir) besonders gut gefallen hat. Scalzis Zukunft ist nicht bizarr und unverständlich, man findet sich als Leser gut in ihr zurecht.

 

Zu Scalzis erfrischendem, oft humorvollem Stil treten griffige Charaktere, die zwar stereotyp, aber eben auch symphatisch sind, sowie ein simpler, aber spannender Plot, der mit atemloser, deftig geschilderter Action aufwartet. Diese Action ist der blutige Wahnsinn des Krieges. Dennoch bleibt alles leichtfüßig, denn der Leser kann sich auf seinen unbeugsamen Helden John Perry verlassen, der alle Gefahren meistert und schlussendlich an ihnen wächst, zumindest im militärischen Sinne: Perry steigt in der Hierarchie rasch auf und wird von Einsatz zu Einsatz befördert und mit Orden dekoriert.

 

Wie es sich für einen „guten“ Soldaten gehört, kennt Perry keine Krisen, keine tiefschürfenden Sinnfragen, keine Zweifel. Wenn Perry Fragen oder Unbehagen beschäftigen, bleibt das stets an der Oberfläche und wird bald beiseite geschoben. Am Ende sieht Perry alle militärischen Notwendigkeiten stets ein und führt ohne wenn und aber aus, was ihm befohlen wird. Dabei beweist er eine beeindruckende Tatkraft und soldatische Schläue. In Krieg der Klone verdient „der Held“ diese Bezeichnung noch in vollem Umfang: Der Held weiß immer, was gut und richtig ist, und wer andere Wege beschreitet oder zweifelt, wird ganz folgerichtig vom Feind abgeschlachtet. Die zwanzig Prozent, die am Ende von jedem Rekrutenjahrgang übrig bleiben, sind zu recht die Auslese – die anderen waren nur zu dumm und unsoldatisch, um zu überleben.

 

An diesem Punkt zeichnet sich auch schon der ärgste Kritikpunkt an Scalzis Roman ab. Trotz der weidlich geschil­der­ten blutigen Gemetzel, die die Helden im Krieg durchleben müssen, werden diese Kriege ganz wie bei Heinlein niemals ernsthaft in Frage gestellt, und das Blutbad, durch das die Soldaten waten, dient nur der Unterhaltung des Lesers und wie in jedem klassischen Heldenepos der Steigerung des Heldentums selbst – was ist schon ein Kriegsheld, für den der Krieg nur ein Spaziergang wäre? Gegen Ende des Romans bekennt John Perry, dass er trotz aller durch­leb­ter Gefahren denselben Weg, dieselbe soldatische Karriere noch einmal gewählt hätte – und das vor allem, weil er nicht mehr die Bekanntschaft der vorzüglichen Kampfgefährten missen will, die gemeinsam mit ihm tapfer auf dem Feld der Ehre gefochten haben und aufgrund des gemeinsamen „Fronterlebnisses“ als einzige zu echten, verlässlichen Freunden taugen.

 

Das ist, bei aller Anerkennung für Scalzis handwerklichem Können, ein prekärer chauvinistischer Chorpsgeist, der schon sauer aufstoßen kann. Die Truppe als edle, in sich abgekapselte Kaste eisenharter Kämpfer, die nur mit jovialer Milde auf die schwache, verweichlichte Zivilgesellschaft herabblickt – das entspricht vielleicht einem unkritischen amerikanischen Hurra-Patriotismus und mag als folgenlose eskapistische Träumerei auch durchgehen. Wenn man als deutscher Leser allerdings ein Bewusstsein dafür entwickelt hat, dass der Militarismus, das soldatische Elitedenken mit seinen übertriebenen Ehrbegriffen und der selbstgerechte patriotische Chauvinismus die Grundübel der katas­tro­pha­len deutschen Geschichte bis 1945 waren, wird man sich von der Verfassung von Scalzis zukünftiger Armee zwangs­läu­fig abgestoßen fühlen. Scalzi kopiert Robert A. Heinlein nicht allein beim Plot, sondern eben leider auch in der militaristischen Haltung und ihren fragwürdigen sozialdarwinistischen Konsequenzen – wenn er auch dankenswerter­weise auf moralphilosophische Traktate à la Heinlein verzichtet. Wie schon bei Heinlein wird die Verherrlichung des Militärs und des Krieges mit dem Kunstgriff sanktioniert, dass alle außerirdischen Spezies zu mörderischen und unerbittlichen Gegnern gemacht, die Feinde also dämonisiert werden. Unter diesem Vorzeichen erscheint die KVA und ihr Krieg natürlich ohne Alternative und damit richtig zu sein. Doch wie wahrscheinlich oder glaubwürdig ist eigentlich das Szenario einer grundsätzlichen Feindschaft aller Außerirdischen und eines erbarmungslosen Ausrottungs­wett­kampfes zwischen den interstellaren Rassen?

 

Dass man Heinlein auch ganz anders aufgreifen kann, nämlich als galligen Kommentar auf den Militarismus, hat Paul Verhoeven mit seiner Kino-Adaption Starship Troopers (1997) bewiesen, in dem die Soldaten nicht länger eisenharte Helden sind, sondern ahnungslose, oberflächliche und fast schmerzhaft naive junge Leute, die, angelockt von einer aggressiven, verlogenen Rekruten-Werbung, in einen brachialen Militärapparat eingebaut und anschließend sinnlos als Kanonenfutter verschwendet werden.

 

Zum grundsätzlichen Problem der ungebrochenen Militärverherrlichung gesellen sich kleinere, die den Plot betreffen. Dass John Perry und die anderen Rekruten, die mit ihm zusammen eingezogen werden, alle militärischen Werte und Haltungen völlig kritiklos für sich verinnerlichen, nachdem sie 75 Jahre als erwachsene, vernünftige Zivilpersonen gelebt haben, ist ziemlich unglaubwürdig. Perrys altes Leben spielt bis auf die Erinnerung an seine verstorbene Frau keine Rolle mehr, und so wird auch nicht deutlich, inwiefern die große Lebenserfahrung eines alten Menschen den Rekruten zu einem besseren Soldaten macht. Dass Perry in einen neuen, leistungsfähigeren Körper transferiert wird, empfindet er einfach nur als cool – der Abschied von seinem alten Körper vollzieht sich erstaunlich problemlos. Perry und die anderen Soldaten fügen sich in ein System ein, das sie nie hinterfragen und im Grunde noch nicht einmal kennen. Denn sie erfahren ebensowenig wie der Leser, wie die Koloniale Union verfasst ist und was die Hintergründe der von ihr geführten Kriege sind. Erst die Nachfolgeromane von Krieg der Klone haben peu à peu Antworten auf einige dieser Fragen enthüllt.

 

Science-Fiction-Romane haben gewiss nicht die Kraft, die Welt zu verändern. Die Kraft zur Reflexion einer Weltsicht, eines utopischen oder anti-utopischen Weltentwurfs haben sie jedoch allemal, und so ist es auch erlaubt und gerechtfertigt, die Weltsicht dieses nicht wirklich ernst gemeinten Buchs zu durchleuchten und einzuordnen. Es bleibt ein leises Unbehagen zurück. Eine kritischere Sicht auf das Militär von morgen hätte dem Buch gut zu Gesicht gestanden, hätte es erwachsener und umsichtiger erscheinen lassen.

 

Allerdings darf nicht vergessen werden, dass es hier vornehmlich um einen Abenteuerroman geht, um oberflächliche, spannende Unterhaltung, die zur Flucht in ein fernes Universum einlädt und fiktiv die Sehnsucht stillt, selbst einmal in der Rolle des John Perry ein knallharter, aufrechter Weltraumheld zu sein, der in einem heiligen Krieg für eine gute Sache kämpft. In dieser Hinsicht ist John Scalzi ein hervorragender Roman gelungen. Als gekonnt geschriebene, spannende und kurzweilige Military-SF ist das Buch großartig, sodass mein Gesamturteil trotz aller Detailkritik positiv ausfällt.

 

 

© Michael Haul

Veröffentlicht auf Astron Alpha am 24. Februar 2016