The Last Colony (2007). Science-Fiction-Roman. In deutsch 2008 im Wilhelm Heyne Verlag erschienen, einschließlich einer 60 Seiten umfassenden Bonus-Erzählung: „Sagans Tagebuch“. Übersetzung ins Deutsche von Bernhard Kempen. Taschenbuch, 476 Seiten.
Dies ist der dritte Band um John Perry und die Koloniale Union, die mit Krieg der Klone (2005) begann und mit Geisterbrigaden (2006) fortsetzte. Jane Sagan, ehemalige Offizierin der Spezialeinheit der „Geisterbrigaden“, und ihr Freund John Perry, Ex-Soldat der Kolonialen Verteidigungsarmee (KVA), setzen sich zur Ruhe. Sie adoptieren Zoë, die verwaiste Tochter des abtrünnigen Wissenschaftlers Charles Boutin, und lassen sich in der kleinen landwirtschaftlichen Kolonie auf dem Planeten Huckleberry nieder. Als sie von der KVA gebeten werden, die Neugründung und Leitung einer noch aufzubauenden Kolonie auf Roanoke zu übernehmen, willigen sie ein.
Mit einem mächtigen Raumschiff und zweieinhalbtausend Siedlern an Bord werden Perry, Sagan und Zoë nach Roanoke gebracht. Sehr rasch wird klar, dass Perry, Sagan und alle anderen an Bord schwer getäuscht wurden: Der Planet, auf dem sie landen, ist ein ganz anderer, als ihnen erzählt wurde, und die KVA zwingt die Kolonisten, im ersten Jahr ihrer Ansiedlung keinerlei moderne Technik zu verwenden, um sich nicht durch elektromagnetische Strahlung zu verraten und die Aufmerksamkeit feindlicher Aliens auf sich zu lenken. Die Siedler sind gezwungen, mit primitiven, vorindustriellen Methoden das Land unter den Pflug zu nehmen, um zu überleben. Erst nach und nach erfahren Perry und Sagan, was hinter den Heimlichkeiten der Kolonialen Union steckt: Fast alle der bekannten Alienspezies haben sich zum „Konklave“ zusammengeschlossen, das den interstellaren Frieden herstellen will und daher im All eine rigorose Besiedlungssperre verhängt hat. Der Alleingang der Kolonialen Union droht, in die vollständige Auslöschung der Menschheit einzumünden. An vorderster Front gelegen, scheint Perrys und Sagans neue Kolonie die erste zu sein, die untergeht, als sie vom Konklave angegriffen wird . . .
John Perry und Jane Sagan retten die Welt
Im dritten Band seiner Old Man’s War-Saga bemüht sich John Scalzi, die ausgelegten Fäden der Erzählung zu einem gewissen Abschluss zu bringen und die offen gebliebenen Fragen um die Koloniale Union, ihre interstellaren Konflikte und das Konklave der außerirdischen Spezies zu lösen. Die Geschichte ist in ihrem Grundcharakter deutlich anders als in den beiden Vorgängerromanen. John Perry und Jane Sagan sind keine durchs All reisenden Helden mehr, sondern Siedler. Daher gibt es auch nicht mehr so viele Schauplätze wie zuvor. Nicht mehr der militärische Drill und der Kampf in der Schlacht stehen im Vordergrund, sondern die Nöte der ersten Siedler auf einem fremden Planeten und die politischen Ränkespiele der Kolonialen Union, in denen die Siedler entbehrliche Bauernopfer sind. Trotz seiner ambitionierteren Ziele muss man diesem Roman leider bescheinigen, dass er gegenüber seinen beiden Vorgängern deutlich abfällt.
So ist bereits der Beginn für den Leser eine Geduldsprobe. Die ersten hundert Seiten kommt die Erzählung nicht in Schwung und langweilt mit der Schilderung des Lebens von Perry und Sagan als Kolonisten auf Huckleberry. Perry ist Ombudsmann eines Bauerndorfs und muss in dieser Funktion unter anderem den Streit zweier Brüder um eine Ziege schlichten. Wieso Scalzi das für spannend oder interessant hält, hat sich mir nicht erschlossen.
Ein weiteres Problem ist, dass die Hauptpersonen John Perry und Jane Sagan in Scalzis Charakterzeichnungen, die nur Schwarz und Weiß kennt, eine zunehmende Arroganz an den Tag legen, die die Symphatie schwinden lässt. Beide sind unangefochtene Führungsnaturen, die praktisch immer das richtige Urteil fällen und auf jedes Problem auch immer die einzig richtige Antwort parat haben. Kritiker der beiden Alphatiere werden dagegen als stets als Schwächlinge, Träumer, Phantasten oder machthungrige Subalterne dargestellt.
Die in Geisterbrigaden nur angedeuteten politischen Zusammenhänge deckt Scalzi in diesem Band endlich auf. Es zeigt sich, dass die kaltblütig kalkulierende, aggressive Politik der Kolonialen Union die Vernichtung der gesamten Menschheit heraufbeschwört. So müssen Perry und Sagan über Leben und Tod ihrer Kolonie entscheiden, und sehen sich in die Zwangslage versetzt, den politischen Konflikt auszufechten. Entweder folgen sie weiterhin blindlings der Kolonialen Union, oder aber sie sehen sich nach Verbündeten im außerirdischen Konklave um. Nur die zweite Option verheißt die Chance, die neugegründete Kolonie zu schützen, sodass Perry und Sagan den Hochverrat wagen. Am Ende des Romans steht Perry sogar vor der Aufgabe, die gesamte politische Ausrichtung der Kolonialen Union zu verändern und nichts weniger als den Frieden im Universum zu retten. Der Schluss des Romans wirkt denn auch ziemlich übertrieben und herbeigezwungen.
Hat Heinlein-Verehrer Scalzi schlussendlich doch noch zur political correctness gefunden? Ist der Falke zur Friedenstaube mutiert? Nun – nicht ganz. Alles in allem kommt die Kritik an der Politik der Kolonialen Union doch recht handzahm daher. Die zahlreichen Kriege im All führen grundsätzlich alle Spezies gegeneinander, weshalb das Konklave ja auch nötig wird. Die grundsätzliche Rechtfertigung militärischer Härte im All ist somit nicht erschüttert. Lediglich dass die Kolonialen Union sich dem Konklave nicht anschließen will, ist die Crux ihrer fatalen Politik. Ihr menschenverachtendes Verhalten gegenüber der Roanoke-Kolonie zeitigt keinerlei Konsequenzen. Dass der Kritik an der Kolonialen Union die nötige Schärfe fehlt, hängt auch damit zusammen, dass dieses Herrschaftsgebilde weiterhin vollkommen undurchsichtig und unpersönlich bleibt. Von den wirklichen Machthabern und Entscheidungsträgern der Kolonialen Union tritt kein einziger in Erscheinung. Auf Roanoke taucht nur ab und zu der mit Perry befreundete General Rybicki von der KVA auf, um die neuesten Befehle für Roanoke mitzuteilen oder die Politik der Kolonialen Union zu erläutern. Der eigentliche Gegenspieler Perrys und Sagans wird leider nicht in Szene gesetzt.
So fällt das Gesamturteil über Die letzte Kolonie durchwachsen aus. Nach einem zähflüssigen Beginn bietet er zwar Kurzweil und auch Spannung, strapaziert die Geduld des Lesers jedoch mit typisch amerikanischen Heldenklischees und einem holprig inszenierten, politischen Verschwörungsplot, der teilweise unglaubwürdig ist und dem es, aus Mangel an charismatischen Gegenspielern, an Brisanz und Schärfe fehlt.
© Michael Haul
Veröffentlicht auf Astron Alpha am 29. Februar 2016