H. G. Wells: Krieg der Welten

The War of the Worlds (1897). Science-Fiction-Roman. Erstveröffentlicht als Fort­setzungsroman im Pearson’s Magazine in England und im Cosmopolitan in den USA. Die erste Buchausgabe erschien 1898 in London. In deutscher Übersetzung wurde das Buch erstmals 1901 veröffentlicht. Die vorliegende Übersetzung von G. A. Crüwell und Claudia Schmölders erschien erstmals 1974 im Diogenes-Verlag unter dem Titel „Der Krieg der Welten“. Neuauflage 2005. Taschenbuch, 352 Seiten.

 

Als zu Beginn des 20. Jahrhunderts inmitten der Beschaulichkeit eines Londoner Vorortes in Surrey ein großer metalli­scher Zylinder vom Himmel fällt, ist die Neugier der Anwohner groß. Sie scharen sich um das Ding, das auf einer Wiese vor der Ortschaft einen großen Krater gerissen hat, und stellen staunend fest, dass sich langsam ein Deckel am Zylin­der abschraubt … Nach einer Weile kommen Außerirdische mit starrenden Augen, öliger Haut und zuckenden Tenta­keln zum Vorschein, die mit ihrem schauerlichen Aussehen den Menschen einen gehörigen Schrecken einjagen. Es überwiegt aber bald doch die Überzeugung, dass die Absichten der Besucher nur gut sein können.

 

So schreitet zur Begrüßung eine Delegation von Honoratioren feierlich auf den Krater zu – und wird von den Außerir­dischen ohne Vorwarnung mit einem hochenergetischen Hitzestrahl gegrillt. Nackte Panik bricht aus, Dutzende flie­hender Menschen werden zu Asche verbrannt. Die Außerirdischen setzen eine dreißig Meter hohe, dreibeinige und mit Hitzestrahlern ausgerüstete Maschine zusammen, mit der sie sengend und zerstörend über das Land stapfen. Weitere Zylinder gehen im Umkreis Londons nieder, und kurz darauf wüten zahlreiche Dreibeiner im Süden Englands gegen die Menschheit.

 

Das Militär erweist sich als vollkommen machtlos, die Menschen fliehen voller Schrecken aus London, während die Dreibeiner alles töten, was sich ihnen in den Weg stellt. Mit Gasgranaten räuchern sie die Menschen wie Ungeziefer aus. Offensichtlich haben es die Außerirdischen darauf abgesehen, die Erde zu erobern, und es scheint keinerlei Hoff­nung auf Rettung zu geben . . .

 

Die Belle Époque unter Aliens und Laserstrahlen

 

Krieg der Welten von Herbert George Wells (1866–1946) ist einer der ganz wenigen Science-Fiction-Romane aus dem 19. Jahrhundert, die ihre Zeit überlebt haben und zu Klassikern wurden. Mehr noch: Der Roman ist gewiss der mit Ab­stand populärste Genreklassiker jener Ära. Das hat er vor allem Orson Welles’ legendärer Hörspielfassung von 1938 zu verdanken, die in Form von aktuellen Nachrichtenmeldungen erzählte und daher so realistisch wirkte, dass sie am Tag ihrer Ausstrahlung in New Jersey und New York eine regelrechte Panik auslöste. Das Echo dieser Ereignisse in der Presse rückte Wells’ Roman schlagartig in die Aufmerksamkeit von Millionen Amerikanern. Seitdem ist Krieg der Wel­ten in der modernen Popkultur fest verankert und wurde in den folgenden Jahrzehnten immer wieder in Kinofilmen, im TV und in der Literatur als Thema aufgegriffen. Besonders hervorzuheben sind hier die Kino-Blockbuster Kampf der Welten (1953) von George Pal und Krieg der Welten (2005) von Steven Spielberg. Aber auch ungeachtet seiner mas­senmedialen Wirkung offenbart der Roman literarische Qualitäten, die ihn weit über die meisten Science-Fiction-Ro­mane seiner Zeit erheben. Auch ohne die Adaption in Hörspielen und Filmen wäre das Werk als Klassiker zu bezeich­nen.

 

Der Roman erzählt aus der Perspektive eines Journalisten, der rückblickend einen Bericht darüber niederschreibt, wie er die außerirdische Invasion persönlich erlebte. Der nüchterne, flüssige sprachliche Stil ist leicht verständlich und wirkt überraschend modern. Er ist lebendig und ausschmückend genug, um den Leser bei der Stange zu halten und ein plastisches Bild vom Geschehen zu erzeugen. Die Erzählung wird rasch vorangetrieben; sie bleibt stets kurzweilig und kümmert sich gewissenhaft um einen effektvollen Spannungsaufbau.

 

Auch inhaltlich ist Krieg der Welten erstaunlich zeitgemäß. Die Erzählung ist zwar im viktorianischen England der Jahr­hundertwende angesiedelt, aber die Science-Fiction-Elemente unterscheiden sich kaum von dem, was auch heute noch in der Science-Fiction üblich ist: Laserstrahlen, hochmoderne, halb organisch wirkende Maschinen und mon­ströse Aliens. Das war zu Wells’ Zeiten absolut visionär und zukunftsweisend. Wells ist überdies sehr umsichtig in der konkreten Ausgestaltung der fantastischen Elemente. Die physische Gestalt der Marsianer, die Gestalt ihrer Maschi­nen, die Strategie der marsianischen Kriegsführung – alles ist gut durchdacht und in sich logisch. Lediglich der Raum­flug ist in Krieg der Welten enttäuschend primitiv und der althergebrachten Methode von Jules Verne nachgedichtet: Die Außerirdischen lassen sich von großen Kanonen in metallenen „Zylindern“ vom Mars zur Erde schießen.

 

Die Mutter aller außerirdischer Invasionen


Krieg der Welten war ein für die Science-Fiction bahnbrechender Meilenstein, da er als als erster Roman in der Ge­schichte des Genres eine außerirdische feindliche Invasion erzählt – abgesehen vom zeitgleich in Deutschland erschie­nenen Roman Auf zwei Planeten (1897) von Kurd Laßwitz (1848–1910), der ebenfalls eine marsianische Invasion zum Thema hat, allerdings nicht annähernd einen so großen Einfluss auf das Genre auszuüben vermochte wie das Buch von Wells. In der langen, vorangegangenen Tradition der „Marsromane“, die von hochentwickelten Zivilisationen auf unse­rem roten Nachbarplaneten erzählen, hatten dagegen stets die Menschen die Marsianer besucht und nicht umge­kehrt. An viele Klischees, die sich in den Marsromanen ausgeprägt hatten, knüpfte auch H. G. Wells an: So ist der Mars auch bei ihm, entsprechend der damaligen wissenschaftlichen und literarischen Auffassungen, eine „sterbende Welt“, die mit dem Problem der Erkaltung und Austrocknung zu kämpfen hat. Um ihre Welt weiterhin bewässern zu können, haben die Marsianer die gewaltigen Marskanäle gebaut, von deren Existenz um die Jahrhundertwende noch zahlrei­che Astronomen, allen voran der populäre Amerikaner Percival Lowell (1855–1916), überzeugt waren. Und ganz im Sinne der Tradition sind bei Wells die Marsianer eine technisch und geistig hochentwickelte Spezies, der Menschheit um Zeitalter voraus. Wells schildert sie sogar physisch als fast reine Gehirnwesen, „Köpfe, nichts als Köpfe“ (S. 228), bei denen der übrige Körper bis auf die Hände verkümmert ist.

 

Doch während bei Wells’ Vorgängern die höher entwickelte Intelligenz der Marsianer stets als ein Zustand höherer Kultiviertheit und Güte interpretiert wurde, führt der gesteigerte Geist der Marsianer bei Wells nur zu darwinistischer, eigennütziger Kaltblütigkeit: „Ohne den Leib musste das Gehirn selbstverständlich ein bei weitem selbstsüchtigerer Geist werden als mit dieser Grundlage menschlichen Gefühls.“ (S. 233) Eine zutiefst pessimistische Perspektive, die dem optimistischen Glauben des fin de siècle an die ethische Vervollkommnung des Menschen diametral entgegen­stand. Denn indem Wells andeutet, dass die Marsianer prinzipiell die evolutionären Stufen durchlaufen haben, die der Menschheit noch bevorstehen, prognostiziert er anders als seine idealistischen Zeitgenossen keinen weisheitlichen Fortschritt des Menschen, sondern allenfalls seine Entmenschlichung in zynischer Kaltblütigkeit.

Ein marsianischer Dreibeiner aus H. G. Wells, Krieg der Welten, in einer Illustration von 1903 von Henrique Alvim Correa
Ein marsianischer Dreibeiner in einer Illustration von 1903

Wells’ Marsianer fallen mit mörderischer Brutalität über England her. Die Konsequenz, mit der Wells die apokalyptische Vision einer außer­irdischen Eroberung schildert, beeindruckt noch heute. Wells’ erste Alieninvasion der Literaturge­schichte ist zugleich der Archetypus aller Nachfolger. Die menschliche Hochkultur fällt buchstäblich in Scherben, Chaos und Anarchie brechen aus, und die Flüchtlinge se­hen sich in einen unbarmherzigen Überlebenskampf geworfen, den nur die Kräftigsten und Zähesten bestehen. Wells steigert diese Hor­rorvision sogar noch, indem er die Menschen in den Augen der Marsi­aner zu reinen Nutz- und Schlachttieren degradiert, von deren Blut sich die Marsianer ernähren. Die Menschen, die die Invasion überle­ben, können nur noch einem Dahinvegetieren in den Zucht- und Mastställen der neuen, außerirdischen Herren entgegensehen. Und selbst das Terraforming, die Invasion des irdischen Ökosystems, fin­det sich bereits in Wells’ Roman: Die Marsianer führen ihre marsiani­sche, blutrote Vegetation mit, die sich explo­sionsartig auf der Erde ausbreitet und die heimischen Pflanzen verdrängt.

 

Der Marsianer als Zerrbild des Monstrums Mensch

 

H. G. Wells beweist in Krieg der Welten einen hintergründigen und manchmal messerscharfen Sinn für Ironie. Seine Erzählung ist auch eine gallige Auseinandersetzung mit der brutalen Kolonialpolitik der europäischen Großmächte, denen er einen grellen Spiegel vorhält. In seinem Roman sind die Briten, die Eroberer und Herren der Welt, plötzlich selbst in die Rolle eines Volkes versetzt, das in den Staub gedrückt und verachtet wird. Die Menschen sind für die neuen Herren nichts weiter als niedere Nutztiere. Wells führt seinen Lesern vor Augen, wie die Völker in den Kolonien ihre blutige Unterwerfung erlebt haben müssen. Auch sie verloren den Kampf allein aufgrund ihrer technologischen Unterlegenheit, und auch sie wurden von ihren Eroberern jeglicher Menschenwürde beraubt und als minderwertige Wilde angesehen. Das Verhalten der Marsianer findet so im Verhalten der Kolonialmacht Großbritanniens (aber auch anderer Kolonialmächte) seine Referenz. Gleich zu Beginn seines Romans verweist Wells unmissverständlich auf diesen Zusammenhang:

 

Und bevor wir sie (die Marsianer) zu hart beurteilen, müssen wir uns daran erinnern, mit welcher schonungslosen und grausamen Vernichtung unsere eigene Gattung nicht nur gegen Tiere wie den verschwundenen Bison und den Dodo, sondern gegen unsere eigenen inferioren Rassen gewütet hat. Die Tasmanier wurden trotz ihrer Menschenähnlichkeit in einem von europäischen Ein­wanderern geführten Vernichtungskrieg binnen fünfzig Jahren völlig ausgerottet. Sind wir solche Apostel der Gnade, daß wir uns beklagen dürfen, wenn die Marsleute uns in demselben Geiste bekriegen? (S. 13)

 

Wells’ Perspektive auf seine Zeit ist von einem ungeschminkten Kulturpessimismus gekennzeichnet. Er lehnt die Kultur nicht ab, im Gegenteil. Sie ist ihm nur nicht die edle Essenz des Menschen, der es, gefördert und gemehrt, dereinst gelingen wird, die niederen, egoistischen Triebkräfte im Menschen auszutilgen. Wells sieht die Bestie Mensch, die unter dem dünnen Mantel der Kultur lauert. Er demonstriert diese Bestie mittelbar in den Marsianern, aber auch un­mittelbar in der besiegten Menschheit: Sobald alle staatlichen Strukturen zerschlagen sind, ist die Entfesselung der Anarchie und der Grausamkeit unvermeidlich, da der übermächtige, über Leichen gehende Überlebensinstinkt ein Teil der menschlichen Natur ist. Zugleich offenbart sich hierin aber auch, wie unerlässlich die Kultur mit ihrer Ethik und ihrer Moral für ein menschenwürdiges Leben ist.

 

Die Alternative zur Kultur entwickelt Wells ebenfalls, und sie ist wenig einladend. Ein wahnsinnig gewordener Artille­rist, auf den der fliehende Held in einem völlig zerstörten Dorf trifft, hat einen Plan für die Überlebenden der Invasion entwickelt. Er entwirft eine barbarische Vision von der Zukunft derjenigen, die sich den Marsianern nicht ausliefern wollen, in den Abwasserkanälen Londons:

 

„Wir bilden eine Gruppe. Männer mit starkem Körper und klarem Kopf. Wir werden nicht jeden Abfall, der uns zutreibt, auflesen. Schwächlinge müssen wieder hinaus. ( . . . ) Wer bleibt, muß gehorchen. Weiber mit starkem Körper und klarem Kopf brauchen wir nicht weniger – als Mütter und Lehrerinnen. Keine schmachtenden Püppchen, keine albernen Augenverdreherinnen. Schwa­che und Dämliche können wir nicht brauchen. Das Leben wird ernst sein, und die Nutzlosen und Lästigen und Böswilligen müs­sen sterben.“ (S. 291)

 

Eine nahezu faschistische Vision einer mitleidlosen, sozialdarwinistischen Gesellschaft der Stärksten und Brutalsten, die alles ausstößt, was als nicht überlebensfähig erachtet wird. Doch der Held des Romans – und das ist wesentlich – erkennt bald, dass der Artillerist dem Wahnsinn verfallen ist. Er distanziert sich von ihm und seinen kruden Ideen und verlässt ihn. Er hält weiter zur Kultur, nur sie kann dem Menschen Rettung sein, will er sich weiterhin „Mensch“ nennen.

Die Skepsis, die Wells in seinem Roman gegenüber der amoralischen Gewalt des Stärkeren und dem ungebrochenen, idealistischen Fortschrittsglauben artikuliert, rüttelte an den ideologischen Grundlagen seiner Zeit. Die kritische, hinterfragende Haltung des Romans, seine distanzierende Perspektive auf die von ihm porträtierte Gesellschaft im Zerfall, zeichnet ihn als exzellente Literatur aus. Der Roman zwingt zur Reflexion – das Beste, was Literatur im Leser erreichen kann.

 

Krieg der Welten ist ein großartiger, noch immer fesselnder und lesenswerter Science-Fiction-Klassiker. Es ist span­nend, von den ersten feindseligen Aliens, der ersten Invasion aus dem All, dem ersten Untergang der Zivilisation unter dem Beschuss von Energiestrahlen zu lesen und festzustellen, wie originell und frisch diese Erzählung nach über 100 Jahren noch wirkt. Vor allem aber hat dieser Roman eine kritische Meinung, die virtuos in einen hintergründigen, ironischen Subtext gefasst wird. Für jeden Genrefreund ist Krieg der Welten Pflichtlektüre. Jedem Genrefremden, der vielleicht mit leisen Vorurteilen behaftet ist, kann der Roman noch heute vor Augen führen, wie intelligent Science-Fiction gemacht sein kann.

 

 

 

© Michael Haul; veröffentlicht auf Astron Alpha am 25. September 2016

Die weltberühmten Illustrationen von 1903 stammen vom brasilianischen Zeichner Henrique Alvim Corrêa (1876–1910) und wurden ab 1906 in zahlreichen Ausgaben des Romans verwendet© Heritage Auctions/BNPS