The Clouds of Saturn (1991). Science-Fiction-Roman. Deutsche Erstveröffentlichung 1996 im Wilhelm Heyne Verlag München (Heyne Band 5383). Deutsche Übersetzung von Walter Brumm; Coverillustration von Alan Gutierrez. Taschenbuch, 462 Seiten.
Zu Beginn des 22. Jahrhunderts bewirkt eine Anomalie der Sonne, dass ihre Strahlkraft stark ansteigt. Die Menschheit findet trotz großer Anstrengungen kein Mittel, die verdorrende Erde gegen die Strahlung abzuschirmen, und sieht sich gezwungen, ins äußere Sonnensystem auszuwandern.
Neue Heimstatt wird das gigantische Wolkenmeer des Saturn. Mit Baustoffen, die von Außenposten auf den Saturnmonden geliefert werden, errichten die Menschen auf dem Saturn Wolkenstädte, die von riesigen Wasserstoffballons in der Schwebe gehalten werden. Die schiere Weite des neuen Lebensraums und die Isolation der einzelnen Wolkenstädte führen jedoch dazu, dass die zuvor politisch vereinte Menschheit wieder in viele Einzelstaaten zerfällt.
Ein Jahrhundert später hat sich auf der Nordhalbkugel des Saturns die „Nördliche Allianz“, ein Imperium mehrerer Wolkenstädte, herausgebildet, dessen Präsident Kelt Dalishaar mit findiger Politik darauf hinarbeitet, den gesamten Saturn unter seine Herrschaft zu bringen. Im Rat der Allianz bilden jedoch Teile des Militärs unter der Führung von Admiral Mikal Blount eine starke Gegenpartei, die auf die kriegerische Eroberung aller Städte aus ist und die politische Macht an sich reißen will.
Lars Sands, Eigner und Kapitän des Frachtschiffs Sperber und ein von der Wolkenstadt Neu-Philadelphia verpflichteter Söldner, wird ungewollt zum Spielball der Intrigen, die sich in der Nördlichen Allianz entspinnen. Als Sands in einer Schlacht Neu-Philadelphias gegen die Allianz seinen Bruder verliert, sinnt er auf Vergeltung. Da kommt das Angebot eines mysteriösen Agenten gerade recht, der Sands streng geheime Informationen über die Sicherheitssysteme von Cloudcroft, der Hauptstadt der Allianz, anbietet. Sands soll zusammen mit der Crew der Sperber in einer wagemutigen Operation einen Anschlag auf Cloudcrofts Regierungszentrum auszuüben. Das Unternehmen gelingt, doch stellt sich bald danach heraus, dass Sands hereingelegt und der Anschlag von Admiral Blount ersonnen wurde – um Kelt Dalishaar zu schwächen. Sands, als gesuchter Terrorist nirgends mehr sicher, flieht auf den Saturnmond Titan, der zu den Feinden der Allianz zählt.
Die Titanier werten die Dokumente aus, die Sands in Cloudcroft von Kelt Dalishaar gestohlen hat, und entdecken, dass Dalishaar von einer Technologie zur Energieabschirmung wusste, die in den letzten Jahren vor der Auswanderung zum Saturn in Kalifornien entwickelt und dann vergessen wurde. Die Titanier beschließen, eine Expedition zur Erde zu schicken, um die alte Technologie zu bergen, die die Wende im Konflikt mit der Allianz herbeiführen könnte . . .
Luftkampf über dem Ringplaneten
Der aus Arizona stammende Michael McCollum (geb. 1946) ist hauptberuflich Luft- und Raumfahrtingenieur und hat in dieser Funktion an zahlreichen militärischen und zivilen Projekten – unter anderem am Space Shuttle – mitgearbeitet. Schon in jungen Jahren begann er, nebenher Kurzgeschichten für Analog Science Fiction, Isaac Asimov’s Science Fiction Magazine und Amazing zu schreiben und Science-Fiction-Romane zu veröffentlichen. Sein siebter Roman Die Wolken des Saturn liefert ein knackig geschildertes Action-Abenteuer in ungewöhnlicher Umgebung: schwebende Städte, die in der Saturnatmosphäre umherdriften und ihre Kriege mit Zeppelinen und Kampfflugzeugen ausfechten. Damit ist McCollum ganz in seinem erlernten Element.
Neue Science-Fiction-Zutaten tischt McCollum freilich nicht auf. Seine Wolkenstädte sind gewiss von der Wolkenstadt aus Das Imperium schlägt zurück (1980) inspiriert, die wiederum auf die Wolkenstadt aus dem Kinoserial Flash Gordon (1936) zurückgeht, aber immerhin bietet McCollum ein technologisch durchdachtes Konzept: Die auf einer Plattform gebaute Stadt verfügt über eine „Stützsäule“, die von einem gigantischen, mit Wasserstoff gefüllten Heißluftballon in der Schwebe gehalten wird; am unteren Ende der Säule, viele Kilometer unterhalb der Stadt, hängt ein Fusionsreaktor, der den Wasserstoff, der überall in der Saturnatmosphäre verfügbar ist, aufnimmt, erhitzt und durch Rohrleitungen in der Säule an den Gasballon abgibt.
Die Idee, dass derart filigrane Konstruktionen inmitten der sturmgepeitschten Saturnwolken zur neuen Heimat der Menschheit werden könnten, wirkt auf den ersten Blick kühn, doch lassen sich bei näherer Betrachtung gewisse Vorteile nicht von der Hand weisen. So bietet die Saturnatmosphäre organische Verbindungen aller Art, aus denen sich theoretisch viele Produkte für das Überleben synthetisieren ließen, Wasserstoff ist in Hülle und Fülle vorhanden, der als Energiequelle dienen kann, und an Schutz gegen kosmische Strahlung mangelt es ebenfalls nicht. Zudem verfügt der Saturn über eine Gravitation, die, abhängig von der Flughöhe der Städte, derjenigen der Erde entspricht. Das größte Problem ist freilich der Mangel an Metallen und Mineralen, der von den Saturnmonden ausgeglichen werden muss. Den Mangel an Sonnenlicht scheint McCollum dagegen zu unterschätzen: Er schildert die Innenansicht der Saturnatmosphäre als ein strahlendes Blau, das von gigantischen Wolkenwänden begrenzt wird. Ob man sich zwischen den Saturnwolken wirklich an den endlosen, lichten Himmel Michelangelos erinnert fühlen würde?
Wie dem auch sei: Alles in allem ist McCollums Prämisse von einem besiedelten Saturn plausibel und interessant genug, um als Bühne für seinen Roman zu taugen. Andere interessante (wenn auch nicht neue) Science-Fiction-Elemente sind die auf eine alte Theorie zur Erklärung der Eiszeiten zurückgehende Prämisse von der Instabilität der Sonne, die die Erde in einen Backofen verwandelt hat, sowie die Technologie der Abschirmung, die eine dünne Hülle in der Raumzeit erzeugen kann, die für jegliche Form von Energie oder Materie undurchdringlich ist. Sie wird zum Dreh- und Angelpunkt im Kampf um die politische Vorherrschaft auf dem Saturn. Es ist zwar kaum glaubwürdig, dass eine derart bahnbrechende Technologie während der Evakuierung der Erde vollständig zurückgelassen werden würde, aber durch diesen Kniff hat McCollum die spannende Möglichkeit an der Hand, seine Helden zur Erde reisen zu lassen, damit sie in den Ruinen alter Forschungslabors nach dem vergessenen Wissen fahnden können.
McCollum erzählt in einem nüchternen, manchmal zu lapidaren Stil, hat dafür aber ausgeprägten Sinn für Tempo und Timing; es gibt häufige Szenenwechsel und zahlreiche überraschende Wendungen. Das Personal freilich wirkt, über zweieinhalb Jahrzehnte nach Erscheinen des Romans, recht altmodisch: Lars Sands ist ein durch und durch furchtloser Held alter Schule, zielstrebig, zupackend, geübt in allerlei Kampftechniken und mit einem messerscharfen Urteilsvermögen gesegnet, das ihm hilft, stets Herr der Lage zu bleiben. Außerdem hat er – natürlich – Schlag bei den Frauen und erobert im Verlauf der Handlung die atemberaubend schöne Sexbombe Kimber Crawford, Tochter des Präsiden-ten des Titan. Die Frauen dagegen, sowohl Kimber wie auch Halley, eine Kampfgefährtin von Sands, spielen die althergebrachten Rollen passiver Prinzessinnen, die von den männlichen Helden beschützt und aus den Klauen des Monsters – in diesem Falle: Kelt Dalishaars – gerettet werden müssen.
Die Handlung wird in den Bahnen eines politischen Verschwörungskrimis bzw. eines James-Bond-Abenteuers entwickelt; im Mittelpunkt steht der Kampf der „freien Welt“ gegen die finstere „Allianz“. Leider treibt McCollum die Dinge nie auf die Spitze; das Gefühl, dass den Helden schon nichts Ernstes passieren wird, verlässt den Leser nie. Gegen Ende des Romans behilft er sich mit immer größeren Unwahrscheinlichkeiten, um für Sands und seine Mitstreiter den Sieg herbeizuführen. So wirkt die Flucht von Sands und Kimber aus Cloudcroft unglaubwürdig, und angesichts der Leichtigkeit, mit der Saboteure aus den freien Städten die Allianz infiltriert haben, sodass an zahlreichen neuralgischen Punkten Bombenanschläge gelingen, fragt sich der Leser unweigerlich, weshalb die freien Städte nicht schon viel früher auf eben diese Weise gegen die Allianz vorgegangen sind.
Der Leser kommt in den Genuss mehrerer tollkühner Flugzeuggefechte, die stimmig und so realistisch wie möglich geschildert werden: So gibt es hier keine explosiven Lasergeschosse, kein Beaming und an Bord der Flugzeuge auch keine künstliche Gravitation. Manches andere Detail ist dagegen veraltet, wofür der Autor freilich nichts kann. So ist das Internet noch unbekannt: In einer Szene wird die Identität von Kimber mit Bildern im „Computerspeicher“ geprüft (S. 124), und auf McCollums Titan existieren noch immer „Meere und Seen aus flüssigem Methan“ (S. 186), eine damals beliebte Vorstellung über den größten Saturnmond, die erst 2005 einen Dämpfer erhielt, als die Raumsonde Cassini auf Titan landete und nur eine steinige Wüste fotografierte.
Die Wolken des Saturn ist ein kurzweiliges, solide und wendungsreich fabuliertes Action-Abenteuer mit ungewöhnlichen Schauplätzen und geradlinigen Helden – anspruchsloses, aber unterhaltsames Lesefutter.
© Michael Haul
Veröffentlicht auf Astron Alpha am 12. Mai 2018