Polnischer Originaltitel: Astronauci. Science-Fiction-Roman. 1951 erstveröffentlicht im Verlag Czytelnik, Warschau. Die deutsche Erstausgabe erschien 1954 im Verlag Volk und Welt (Berlin/DDR) unter dem Titel Der Planet des Todes in einer Übersetzung von Rudolf Pabel. Hier vorliegend ist eine lizensierte Ausgabe der Übersetzung von Rudolf Pabel vom Suhrkamp Taschenbuch Verlag (Auflage von 2006), mit einem von Klaus Staemmler übersetzten Vorwort zur polnischen 8. Auflage von Stanisław Lem (1972). Taschenbuch, 286 Seiten.
Im Jahre 2003 ist die Erde in einem kommunistischen Weltstaat vereint, und gigantische Bauprojekte sind bereits verwirklicht worden. Die Straße von Gibraltar ist mit einem Kraftwerksdamm verschlossen, das Mittelmeer wurde abgesenkt, um neue Landflächen zu gewinnen, und mit seinen Wassern wurde die Sahara urbar gemacht. Als nächstes Projekt sollen über den beiden Polen der Erde künstliche Atomsonnen installiert werden, um die arktischen Gebiete abzuschmelzen und bewohnbar zu machen. Dafür müssen mächtige Kraftwerke rund um den Polarkreis gebaut werden.
Im Zuge der Bauarbeiten in Mittelsibirien wird eine seltsame Magnetspule mit einem kilometerlangen, aufgewickelten Draht entdeckt. Die nähere Untersuchung des Artefakts ergibt, dass er nicht irdischen Ursprungs ist. Auf der Spule findet sich eine magnetische Aufzeichnung, für deren Entzifferung ein weltweit berufenes Konsortium von Spitzenwissenschaftlern zusammengestellt wird. Nach einigen Wochen stellen die Wissenschaftler fest, dass die Aufzeichnung eine genaue Beschreibung der Erde enthält. Höchstwahrscheinlich ist sie ein Überbleibsel eines Raumschiffes, das im Juni 1908 in Mittelsibirien abstürzte und damit das sogenannte Tunguska-Ereignis auslöste – einer gewaltigen Explosion, bei der es Feuer vom Himmel regnete und kilometerweit die Bäume der Taiga umgelegt wurden. Der Astronomieprofessor Piotr Arsenjew kann aufgrund der rekonstruierten Flugbahn des Tunguska-Objekts errechnen, dass das Raumschiff damals höchstwahrscheinlich vom Planeten Venus gekommen ist.
Beunruhigenderweise enthält die Magnetspule auch Andeutungen über eine mögliche bevorstehende Invasion der Erde, deren Vorhut das Raumschiff von Tunguska gewesen sein könnte. Daher wird entschieden, dass das neue Raketenschiff Kosmokrator, das eigentlich für eine Mission zum Mars vorgesehen war, mit einem Erkundungsteam zur Venus fliegen soll. Professor Arsenjew erhält die Leitung der Expedition; außerdem nehmen der indische Mathematiker Chandrasekar, der chinesische Physiker Lao Tsu, der deutsche Chemiker Rainer, der polnische Ingenieur und Navigator Soltyk, der zweite Navigator Oswatitsch, der Biologe Tarland sowie der Pilot Robert Smith an der Expedition teil.
Der Kosmokrator startet in der Wüste Gobi und erreicht nach einigen Monaten die Venus. Das Schiff durchfliegt die dichte Wolkenhülle des Planeten und wassert schließlich auf einem See. Systematisch erforschen die Wissenschaftler die Umgebung. Die Venus präsentiert sich als eine endlose, öde Felsenwüste, allerdings finden die Wissenschaftler auch Überbleibsel einer einstigen technologischen Hochkultur: einen zerschmolzenen „Gläsernen Wald“, der einst ein gigantischer Energiewerfer gewesen sein muss; kilometerlange, unterirdische Hochspannungskabel; eine riesige weiße Kugel, die als Antigravitations-Katapult für Raumschiffe diente; winzige Metallkäfer, die sich als Speichergeräte für Dokumente entpuppen; schließlich die verstrahlten Ruinen einer venusischen Stadt. Nach und nach kristallisiert sich für die Forscher das Bild einer Zivilisation heraus, die die Ausrottung der Menschheit auf der Erde plante und diesen Plan nur deshalb nicht umsetzte, weil sie sich zuvor in einem entsetzlichen Atomkrieg selbst vernichtete . . .
Lems Debut: Ein naives Raumfahrtabenteuer
Die Astronauten war der erste Science-Fiction-Roman, den Stanisław Lem veröffentlichte. Das Buch wurde ein großer Erfolg: Es verkaufte sich gut, wurde in viele andere Sprachen übersetzt, erlebte im In- und Ausland zahlreiche Auflagen und ermöglichte es Lem, die Schriftstellerei hauptberuflich auszuüben. In einem Interview hatte Lem einmal erzählt, wie es zur Entstehung und Veröffentlichung des Buchs gekommen war:
1950 begegnete ich im Ferienhaus des Schriftstellerverbandes in Zakopane einem beleibten Herrn, mit dem ich eine Bergwanderung zum Schwarzen Teich machte. Es war Jerzy Pański, Direktor des Verlags „Czytelnik“. Bei unseren Unterhaltungen in den Bergen kamen wir auch darauf zu sprechen, daß es in Polen keine phantastische Literatur gibt. Dabei erwähnte ich, daß ich – schon als kleiner Junge – eine Vorliebe für die Romane von Grabiński, Umiński, Verne und Wells entwickelte. Ich hatte das schon so oft gesagt, daß ich mir vielleicht ein Klischee schuf, aber etwas muß schon daran sein, denn er fragte mich, ob ich, im Falle eines Verlagsangebotes, bereit wäre, so etwas zu schreiben. Und ich – ohne überhaupt zu wissen, mit wem ich es zu tun hatte, er war für mich einfach ein beleibter Herr, der ebenso wie ich im „Astoria“ herumlungerte – antwortete mit „ja“. Nach einiger Zeit erhielt ich dann zu meinem Erstaunen tatsächlich den Vertrag. Ohne noch zu wissen, was daraus werden sollte, entwarf ich den Titel „Die Astronauten“ . . . und schrieb das Buch in relativ kurzer Zeit. Und das war mein Debut. (Stanisław Lem/Stanisław Bereś: Lem über Lem. Gespräche [1986], S. 29)
Neun Jahre später diente Die Astronauten auch als literarische Vorlage für den aufwendigen, in den DEFA-Studios in Babelsberg gedrehten deutsch-polnischen Science-Fiction-Farbfilm Der schweigende Stern (1960) von Kurt Maetzig. Auch der Film, der die Handlung zwar verschiedentlich abwandelt, in den wesentlichen Grundlinien aber dem Buch folgt, wurde ein großer Erfolg, fand in den Augen von Stanisław Lem jedoch keinen Gefallen. Seine Ablehnung traf bald auch den Roman selbst, den er in späteren Jahren regelmäßig als dumme Jugendsünde und sozrealistischen Kitsch abtat.
In der Tat ist Die Astronauten ein sehr konventioneller, zeittypischer und auch sehr naiver Science-Fiction-Roman. Lem, der damals noch schriftstellerisch auf der Suche nach seinem Stil und seinen Themen war, vermeidet hier kaum eines der damals gängigen Raumfahrtklischees – beispielsweise den unvermeidlichen „Meteoritensturm“, in den damals praktisch jedes Raumschiff auf dem Weg zum Mars, zur Venus oder sonstwohin unweigerlich geriet –, und seine Figuren sind leider außerordentlich schablonenhaft geraten. So wird der Astronom Piotr Arsenjew als ein völlig übertriebener, strahlender Superheld der Wissenschaft charakterisiert: Er ist ein brillantes wissenschaftliches Genie, gleichzeitig aber auch ein stahlhartes, vor Entschlusskraft strotzendes Alphatier, komplett mit hünenhafter, muskulöser Statur und blonder Haarpracht. Für den Ich-Erzähler, den einfachen Piloten Robert Smith, der in der Gesellschaft all der hochqualifizierten Wissenschaftler an Bord starke Minderwertigkeitskomplexe entwickelt, ist Arsenjew ein ständiger Widerpart, an dem er sich reibt und dessen Anerkennung er heischt. Man fühlt sich im Verhältnis beider unweigerlich an Jack Londons Der Seewolf (1904) erinnert, mit Arsenjew als ein Wolf Larsen des Weltalls, der für den sanften und zweifelnden Ich-Erzähler zum unwilligen Mentor wird. Smith versagt jedoch regelmäßig und erweist sich vor Arsenjews prüfendem Blick als peinlicher Trottel. Die übrigen Figuren bleiben gegenüber Arsenjew und Smith blass und treten vor allem als nüchterne, engagierte Wissenschaftler in Erscheinung.
In Hinblick auf die Raumfahrtklischees und die Verhältnisse auf der Venus waren damals viele Dinge noch unklar, sodass der Leser den zahlreichen technischen und wissenschaftlichen Irrtümern mit Nachsicht begegnen sollte. So werden im Roman der atmosphärische Druck und die Temperaturen auf der Venus viel zu niedrig angenommen. Zu Beginn des Flugs zur Venus ist an Bord des Raumschiffes noch weit von der Erde entfernt ihre Anziehungskraft spürbar. Später herrscht auf dem ausgesprochen geräumig gebauten Kosmokrator künstliche Schwerkraft, die durch die Rotation der Rakete um ihre eigene Achse hergestellt wird. Bemerkenswert ist die Erwähnung eines Schutzmantels aus Wasser in der Stahlhülle des Kosmokrators zur Abschirmung gegen die kosmische Strahlung (S. 79) – dieses Detail ist glaubwürdig, denn bis heute ist ein Schirm aus Masse, in der Regel Wasser, das einzige wirksame Mittel gegen die Strahlung, das für künftige interplanetare Raumflüge angedacht wird. Andererseits wassert und landet der Rumpf des Kosmokrators stets liegend wie ein Flugzeug, und während der mehrwöchigen Expedition auf der Venus starten und landen die Astronauten mit dem Kosmokrator mehrere Male und fliegen kreuz und quer über den Planeten mit ihm hinweg, als würde der Treibstoff ewig ausreichen. In seinem Vorwort räumt Lem denn auch ein, dass er sich zumindest in Hinblick auf die künftige Raketenraumfahrt schon damals hätte besser informieren können.
Stilistisch wirkt der Roman oft weitschweifig und ungelenk. Der erste Teil „Erde in Not“ (S. 11–54), der die Entschlüsselung der außerirdischen Magnetspule erzählt und in dem eine wissenschaftliche Konferenz die nächste ablöst, ist im steifen Jargon wissenschaftlicher Abhandlungen abgefasst und wirkt stellenweise ähnlich leblos wie ein Sitzungsprotokoll. Der längere zweite Teil „Das Tagebuch des Piloten“ (S. 55–285) ist aufgrund seiner bunten Abenteuerhandlung weitaus lebendiger, allerdings ergeht sich Lem dort auf Schritt und Tritt in langatmige, sich wiederholende und den Lesefluss hemmende Beschreibungen der venusischen Schutt- und Trümmerlandschaft, in der sich die Astronauten fortbewegen, und trotz ihrer Detailverliebtheit werden diese Beschreibungen in der Anschauung nur selten deutlicher. Grosso modo schildert Lem eine vulkanisch anmutende, steinige Wüste mit schroffen Gebirgen, tiefen Schluchten und Hochebenen. Damit ist Lem gar nicht allzu weit von dem Bild entfernt, dass die Wissenschaft heute von der Venus hat.
In Die Astronauten greift Lem zu einem Verfahren, das er in seinem zweiten Roman Gast im Weltraum (1955) noch intensiver nutzen sollte: Das Einfügen längerer Erzählungen, die Anekdoten aus dem Leben der Protagonisten zum Inhalt haben und exemplarisch gewisse Werte aufzeigen sollen. Hier ist es etwa das Erlebnis des Chemikers Rainer in Hamburg, der sich zunächst vergeblich abmüht, das wissenschaftliche Rätsel von „Siliziumgummi“, einem superresistenten Werkstoff, zu entschlüsseln, und erst in dem Moment erfolgreich ist, wo ihn die Beobachtung eines Schwarms von Segelbooten in der Nordsee eine intuitive Assoziation liefert (S. 64–75); ein anderes Beispiel ist die Erzählung Smiths von einem dramatischen Bergabstieg im Himalaja, bei dem er seinen bewusstlosen Gefährten über schwieriges Gelände zurück zum Lager trug, nur um am Ende festzustellen, dass der Gefährte dennoch starb (S. 83–95). Für sich genommen sind diese Einschübe spannend und unterhaltsam geschrieben und gestalten die Figuren in gewisser Hinsicht weiter aus, doch ihr Exempel läuft auf nichts weiter hinaus als die Bestätigung der Ideologie des Sozialistischen Realismus: Sie stellen das idealisierte wissenschaftliche Genie und die moralische Integrität der kommunistischen Menschen von morgen vor Augen.
Das Trugbild der lichten, konfliktlosen kommunistischen Zukunft, geschmiedet aus Wissenschaft und Moral, bildet in Die Astronauten das ideologische Fundament und sollte im folgenden Roman Gast im Weltraum, der fast wie eine zeitlich ferne Fortsetzung der Astronauten wirkt, noch heller und reflektierter erstrahlen. Der polnische Literaturkritiker, -Historiker und Lem-Kenner Jerzy Jarzębski (geb. 1947) schrieb über die Ideologie der beiden Frühwerke Lems:
Der junge Lem huldigt positivistischen Idealen, glaubt an die Entwicklung der Wissenschaft, die nach und nach mit jedem Problem fertig werden müsse, er glaubt schließlich daran, daß eine aufgeklärte und rational denkende Gesellschaft sich automatisch aller inneren Widersprüche entledigen werde. Obwohl es vielleicht eher die vorgeschriebene Konvention (der Sozrealismus) ist, die „in dieser Weise für ihn denkt“. [ . . . ] Summa summarum können wir feststellen, daß es Lem in seinen frühen Werken nicht gelingt, seine Helden mit wirklich neuen Erfahrungen zu konfrontieren, die geeignet sind, ihre festgefügte Weltanschauung und ihre ethischen Normen zu erschüttern. (zitiert aus Werner Berthel [Hrsg.]: Über Stanislaw Lem, 1981, S. 10)
Schlussakkord dieser festgefügten Weltanschauung ist der expansionistische leuchtende Traum, den Arsenjew mit in die Tiefe des Alls gehefteten Blick in den letzten Absätzen des Romans formuliert: Er prophezeit, dass sich dereinst das Menschengeschlecht über die gesamte Milchstraße verbreiten und ihr seinen Stempel aufprägen wird.
Das Schicksal der verschwundenen Venusier, das die Astronauten am Ende des Romans ergründet haben, ist natürlich eine Allegorie auf die konkrete Bedrohung des Atomkriegs – ein Menetekel, das dem Leser als Warnung dienen soll. Die Venusier, die ihren gesamten Planeten in einem Atomkrieg in Schutt und Asche gelegt und sich selbst ausgelöscht haben, werden allerdings bemerkenswerterweise nicht als „böse“ stigmatisiert und mit dem „Feind“, dem Westen, gleichgesetzt. Stattdessen philosophieren die Astronauten ganz im Allgemeinen darüber, dass sich im Exempel der Venusier einige Parallelen zur irdischen Geschichte finden lassen. Und noch etwas ist bemerkenswert: Trotz der eindeutigen allegorischen Konnotation des venusischen Untergangs, aus der letztlich eine gewisse mentale Ähnlichkeit der Venusier mit den Menschen erschlossen werden kann, treibt Lem bereits hier das Spiel, alles Außerirdische so fremd und undurchsichtig wie möglich erscheinen zu lassen. Die kaum nachvollziehbare technische Anlage des „Gläsernen Waldes“, die „Weiße Kugel“, die „Metallkäfer“, die in Wirklichkeit Speichermedien sind, die Architektur der venusischen Stadt, das elektrische Protoplasma, das als lebende Energiequelle eingesetzt wurde: all diese Dinge versucht Lem so bizarr wie möglich erscheinen zu lassen, und die meiste Zeit bleibt ihr Sinn den Astronauten – und dem Leser – verschlossen. Und wie die Venusier schließlich ausgesehen und gelebt haben, teilt Lem dem Leser gar nicht mit. In seinen späteren Werken wird Lem die Fremdartigkeit und Nichtverstehbarkeit außerirdischer Intelligenzen noch weitaus stärker auf die Spitze treiben.
Die Astronauten ist ein gehörig angestaubtes, nostalgisches Weltraumabenteuer konventionellen Zuschnitts, das nur in Ansätzen Stanisław Lems spätere stilistische und gehaltliche Stärken erkennen lässt. Als abenteuerliche Science-Fiction des Atomzeitalters kann der Roman allerdings noch heute kurzweilige Unterhaltung bieten – sofern man über seine streckenweise trockene Sprache und einige technologische Naivitäten hinwegsieht.
© Michael Haul
Veröffentlicht auf Astron Alpha am 31. August 2016
Bild des Kosmokrators auf der Startseite © DEFA-Stiftung