Larry Niven: Ringwelt

Buchcover des Romans "Ringwelt" (Ringworld, 1970) von Larry Niven in der Ausgabe des Bastei-Lübbe-Verlags 1998

Ringworld (1970). Science-Fiction-Roman. In deutsch seit 1972 im Bastei-Lübbe-Verlag (Bergisch-Gladbach) in mehreren Auflagen erschienen, zunächst in der leicht gekürzten Übersetzung von Bodo Baumann; ab 1998 in ungekürzter Übersetzung von Axel Merz. Taschenbuch, 445 Seiten.

 

Im 29. Jahrhundert ist die Menschheit über mehrere Sonnensysteme in der Galaxis verteilt und unterhält vielfältige Beziehungen zu anderen außerirdischen Spezies. Auf der Erde versucht der Außerirdische Nessus, der der Spezies der „Puppenspieler“ angehört, ein Team für eine streng geheime Forschungsreise zusammenzustellen. Als Lohn verspricht Nessus das technische Know-How für einen neuartigen, superschnellen Hyperraumantrieb – eine unschätzbar wert­volle Bezahlung. Er gewinnt zunächst den zweihun­dert­jährigen Abenteurer Louis Wu für das Unternehmen, der dank der Verjüngungsdroge Booster Spice noch immer so gesund, kraftvoll und unternehmungslustig wie ein Zwanzig­jäh­ri­ger ist. Später gelingt es Nessus, einen zwei­einhalb Meter großen, furchteinflößenden Vertreter der tigerähnlichen Spezies der Kzin namens „Dolmetscher-der-Tiere“ sowie Louis Wus unbedarfte junge Freundin Teela Brown für die Forschungsreise zu verpflichten.

 

Die „Puppenspieler“ sind ein hochentwickeltes, aber extrem übervorsichtiges Volk. Nachdem sie erfahren haben, dass das Zentrum der Galaxis in einer gewaltigen Kettenreaktion von Supernovae explodiert ist und die Strahlenfront in etwa 20.000 Jahren die Ränder der Galaxis erreichen wird, haben die Puppenspieler beschlossen, aus Sicherheits­grün­den die Galaxis sofort zu verlassen. Auf ihrer Wanderung sind die Puppenspieler allerdings auf eine gigantische, von unbekannten Baumeistern geschaffene Welt gestoßen: einen flachen, rund um eine gelbe Sonne rotierenden Ring von 90 Millionen Meilen Radius und einer Million Meilen Breite. Die innere, sonnenbeschienene Seite dieses Rings, die drei Millionen Mal größer als die Oberfläche der Erde ist, wurde von den Erbauern wie ein riesiger erdähnlicher Planet gestaltet: Es gibt Meere, Kontinente, Flüsse, Seen, vielfältige Landschaften und eine sauerstoffhaltige Atmosphäre. Aus Furcht, dass die Ringwelt für die Puppenspieler eine Gefahr darstellen könnte, wurde Nessus von der Regierung der Puppenspieler beauftragt, sie näher auszukundschaften.

 

Als Nessus und sein Team sich der Ringwelt nähern, wird ihr Raumschiff plötzlich von einem automatischen Meteo­riten-Abwehrsystem beschossen. Das Schiff stürzt auf der Ringwelt ab. Alle überleben, allerdings müssen die Gestran­de­ten nun einen Weg finden, die Ringwelt wieder zu verlassen. Doch die vorgefundenen Bedingungen sind entmu­ti­gend: Auf ihrer Reise über die gigantische Oberfläche der Ringwelt stoßen die Abenteurer nur auf verfallene, verlas­se­ne Großstädte – und auf humanoide Einheimische, die auf eine archaische Zivilisationsstufe zurückgefallen sind . . .

 

Larry Nivens Meisterwerk: Ein Meilenstein der Space Opera

 

Ringwelt ist seit gut 30 Jahren eines meiner Lieblingsbücher – ich liebe diesen Roman! Über all die Jahre habe ich ihn immer wieder gelesen, und jedesmal stellte sich bereits von der ersten Seite an ein schmunzelndes Grinsen ein. Louis Wu, Nessus, „Dolmetscher-der-Tiere“, Teela Brown und die Ringwelt können immer noch prächtig unterhalten! Der Roman, der auf Anhieb zum Beststeller avancierte, 1971 mit dem Hugo Award, dem Nebula Award und dem Locus Poll Award jeweils als bester Roman ausgezeichnet wurde, für Larry Niven endgültig den Durchbruch bedeutete und sich bis heute in zahllosen Neuauflagen hervorragend verkauft, ist wahrlich in Würde gealtert und hat nichts von seinem Glanz verloren.

 

Ringwelt ist eine heitere, humorvoll erzählte Space Opera. Die Figuren im Roman werden psychologisch nur wenig vertieft – „gebrochene“ oder „düstere“ Charaktere, wie sie heutzutage in der Science-Fiction in Mode sind, wird man hier nicht finden. Dafür wirken alle Figuren symphatisch, haben Verve und sprühen vor Lebendigkeit. Nessus und seine Gefährten erleben eine schwungvolle, spannende Abenteuergeschichte, die zahlreiche interessante Einfälle und Wen­dungen bereithält. Dass der Roman längst zum Klassiker avanciert ist, hängt allerdings nicht allein mit seiner hohen erzählerischen Qualität zusammen. Seinen Ruhm verdankt der Roman auch Larry Nivens genialer Idee der Ringwelt selbst. Diese ist zwar prinzipiell, wie im Roman auch erläutert wird, aus der schon 1960 publizierten Idee der „Dyson-Sphäre“ – einer künstlichen, hohlen Kugel, die einen Stern vollständig umschließt – abgeleitet, wirkt jedoch weitaus vorstellbarer und eleganter als jene.

 

So steht neben der Abenteuerhandlung der staunende sense of wonder angesichts der faszinierenden technolo­gi­schen Vision und einer fast grenzenlosen, unbekannten Welt im Vordergrund. Ringwelt ist lupenreine Hard-SF. Larry Niven malt das Konstrukt der Ringwelt detailliert aus und klärt eine Reihe von Fragen, die sich Louis Wu, Nessus und der Kzin während ihrer Odyssee auf der Ringwelt stellen: Wie entstehen Tag und Nacht auf einer Welt, deren Ober­fläche stets der Sonne zugewandt ist? Wie hält sich die Atmosphäre im Ring? Wo befinden sich die Raumhäfen, und wie funktionierten sie?

 

Der Roman glänzt daneben mit vielen weiteren guten Einfällen, so zum Beispiel mit dem Szenario einer überbe­völ­ker­ten Erde, auf der teleportierende „Reisekabinen“ jede kulturelle Vielfalt eingeebnet haben und die sorglose Freizeitge­sell­schaft alarmierende Anzeichen von Dekadenz erkennen lässt, mit der fantastischen, sonnenlosen Welt der Puppen­spieler, die zusammen mit vier weiteren Planeten in einem perfekten Fünfeck zu einer „Weltenflotte“ angeordnet ist, mit der die Puppenspieler ihre Reise aus der Galaxis angetreten haben, oder mit den völlig durchsichtigen, gläsern wirkenden Hyperraumschiffen, die über eine Vielfalt erstaunlicher technischer Finessen verfügen.

 

Von den gekonnt gezeichneten Figuren ragt ohne Frage der sanftmütige, leicht neurotische Puppenspieler Nessus heraus. Die Puppenspieler haben zwei Vorderhufe und einen Hinterhuf, einen rundlichen Leib mit seidiger brauner Mähne und zwei Schlangenhälse, die jeweils in einem einäugigen Kopf enden. Sie sind Herdentiere, die größten Angsthasen der Galaxis und neigen daher bisweilen zu Paranoia und manischen Depressionen. Der Kzin ist ein zwei­einhalb Meter großes, tigerähnliches Wesen mit orangenem Fell und Schweif, das jedoch aufrecht geht und dessen stolze und aggressive Spezies mehrere Kriege gegen die Menschheit hinter sich hat. Louis Wu ist ein eher sanfter, leicht melancholischer Held, der nach zweihundert langen Lebensjahren von einer Sinnkrise geplagt ist und dankbar die von Nessus eröffnete Gelegenheit ergreift, für eine gewisse Zeit dem hohl empfundenen Dasein in der Zivilisation zu entfliehen. Teela Brown schließlich bleibt leider nur die Rolle des naiven Dummchens. Indem an ihr stets das Glück haftet, das die Puppenspieler ihr heimlich „angezüchtet“ haben, wird sie zur Karikatur einer kaum erwach­senen, naiven jungen Frau, die bisher nur die Sonnenseiten des Lebens kennen gelernt hat.

 

Die abstruse Idee von genetisch gezüchtetem Glück, die immerhin zu einem tragenden Moment im letzten Drittel des Romans wird, ist vielleicht der größte Schwachpunkt der Erzählung, denn mit Science-Fiction oder gar Hard-SF im engeren Sinne hat sie herzlich wenig zu tun. Ein weiteres unnötiges Manko ist die Geheimniskrämerei um Louis Wus Plan, wie er das Expeditionsteam von der Ringwelt wieder nach Hause bringen will. Die anderen Figuren nehmen diese Geheimniskrämerei ohne viel Nachfragens hin, und das offensichtlich nur, damit Larry Niven mit der Enthüllung des Plans am Ende des Romans den Leser überraschen kann.

 

Hervorzuheben ist der schöne, leichtfüßige Stil des Romans. Die Sprache ist lakonisch, knapp, aber immer prägnant. Die Geschichte geht sofort in medias res, es gibt kaum retardierende Passagen, keine langatmigen Beschreibungen, fast alles ist Handlung. Reichlich streut Niven dabei Humor in die Erzählung ein, zum Beispiel wenn die so grundver­schie­denen Ge­fährten in Kabbeleien oder Streit geraten, was zu witzigen Wortwechseln führt. Niven zieht sein Thema aber nie ins Lächerliche oder Parodistische. Ringwelt ist kein Per Anhalter durch die Galaxis. Man kann Nivens Humor in heutigen Zeiten, da der Zynismus die Science-Fiction dominiert, als verstaubt oder juvenil ansehen. Man mag den Humor oder nicht. Mich hat er prächtig unterhalten.

 

Gewiss bietet eine schier uferlose Bühne wie die Ringwelt unendliche erzählerische Möglichkeiten. Manche haben Larry Niven vorgehalten, dass er zuwenig diese Möglichkeiten genutzt hat. Auch gibt es keinen erzählerischen Höhe-punkt, keinen mitreißenden Showdown. Es hätte noch viel mehr passieren können auf der Ringwelt, Spannenderes, Bedrohlicheres. Zum Teil ist diese Kritik berechtigt, zum Teil legt sie jedoch über Gebühr die Maßstäbe der heutigen Science-Fiction an, in der überbordende, blutrünstige Action an der Tagesordnung ist. Es ist vielleicht nicht in erster Linie Spannung, die den Roman ausmacht, sondern Neugier: Man möchte gemeinsam mit den Abenteuerhelden diese Ringwelt entdecken und mehr von ihren Einwohnern, ihren Städten und ihrer Geschichte erfahren. Das ist eben Nivens Thema: sense of wonder statt suspense. Vieles wird angedeutet, über vieles andere schweigt der Roman. Wer die Er­bauer der Ringwelt waren, was nach dem Bau geschah – darüber gibt es nur vage Andeutungen.

 

Niven hat die meisten der offen gebliebenen Fragen erst zehn Jahre später mit dem Roman Ringwelt-Ingenieure (1980) beantwortet. Der Nachfolgeroman ist auch sehr lesenswert und unbedingt zu empfehlen. Mit ihm erst wird das Ganze zu einer wirklich runden Geschichte. Der recht düster geratene dritte Ringwelt-Roman, Ringwelt-Thron (1996), ist da­gegen eine herbe Enttäuschung. Das soll aber nicht das Vergnügen an den ersten beiden, großartigen Bänden schmä­lern, die zu Recht den Ehrentitel „Klassiker“ führen.

 

 

© Michael Haul

Veröffentlicht auf Astron Alpha am 4. Februar 2016