Bert Koeppen: Rakete Mond startet

Bert Koeppen: Rakete Mond startet (1958). Science-Fiction-Roman nach dem Film Rocketship X-M (1950) von Kurt Neumann (Drehbuch von Dalton Trumbo, Kurt Neumann und Orville H. Hampton). Utopia Großband Nr. 84 (Erich Pabel Verlag Rastatt). Broschiert, 98 Seiten.

 

Vier Männer und eine Frau sollen als erste Menschen zum Mond fliegen. Vor den Augen einer großen Reporterschar, die für den historischen Moment herbeigerufen wurde, startet die Besatzung mit der dreistufigen Rakete RXM 1, die feurig von der Erde davonrast. Im All gerät das Raumschiff in einen Meteoritenschauer und wird gehörig durchge­schüttelt, doch trägt es glücklicherweise außer Beulen und Kratzer keine größere Schäden davon. Kurz darauf versagt jedoch die Zündung der letzten Raketenstufe. Der Chef der Expedition Dr. Karl Eckström, der die Rakete auch konstru­iert hat, und der Ingenieur William Corrigan untersuchen alle Bauteile des Antriebs, können allerdings keinen techni­schen Defekt entdecken. Eckström vermutet daraufhin ein falsch berechnetes Verhalten des Treibstoffs, der durch die kosmische Strahlung chemisch verändert worden sein könnte. Eckström und seine Assistentin, die Chemikerin Lisa van Horn, berechnen das Mischungsverhältnis der Treibstoffkomponenten neu.

 

Dabei unterläuft Eckström ein Fehler: Bei dem erneuten Versuch, den Antrieb zu zünden, schießt die Rakete mit ge­waltiger Beschleunigung davon, und die Mannschaft fällt in Ohnmacht. Als die Raumfahrer Stunden später wieder erwachen, staunen sie nicht schlecht: Die RXM 1 hat den Planeten Mars erreicht! Alle sind sich rasch einig, dass man sich die Chance zur Landung auf dem roten Planeten nicht entgehen lassen sollte. In der endlosen Geröll- und Sand­wüste, die sich um den Landeplatz der Rakete erstreckt, entdeckt das Team die Ruinen einer uralten Zivilisation, die sich einst in einem großen Atomkrieg selbst vernichtet hat – und stößt kurz darauf auf eine Horde feindseliger Mutan­ten, die auf ein steinzeitliches Kuluturniveau zurückgefallen sind . . .

 

Ein Groschenheftroman zum Film

 

Movie Tie-Ins – Romane, die nach den Drehbüchern von Spielfilmen geschrieben sind – gibt es nicht erst seit Alan Dean Fosters Star Wars-Romanen. Ähnlich wie die passen­den Comics zu Filmen haben auch belletristische Adaptionen von Filmen eine lange Tradition, die mindestens zu Thea von Harbous Roman Metropolis (1926) zu Fritz Langs Film Metropolis (1927) zurückreicht. Zu Zeiten, als es noch keine Videos, DVDs oder Blurays gab, stellten Movie Tie-Ins die einzige Möglich­keit dar, die Erzählung eines Films noch einmal zu erleben, sofern der Film nicht gerade irgendwo er­neut in einem Kino aufge­führt oder im Fernsehen ausgestrahlt wurde.

 

Der Begriff Tie-In schließt mit ein, dass die Adaption direkt von der Filmfirma lizensiert wurde und in die Vermarktung des Films mit eingebunden ist. Diese Voraussetzungen dürfte seinerzeit auch Bert Koeppens Rakete Mond startet erfüllt haben: Der Roman basiert auf Kurt Neumanns amerikanischen Science-Fiction-Film Rocketship X-M aus dem Jahre 1950, der erst im Januar 1958 unter dem Titel Rakete Mond startet in den westdeutschen Kinos anlief. Im selben Jahr erschien auch Koeppens Roman, der im Impressum explizit auf den von Accord verliehenen Film hinweist.

 

Kurios ist das Werk aus drei Gründen. Zum einen stellt Koeppens „deutscher Erstdruck“ (S. 2) weltweit die einzige Romanfassung von Kurt Neumanns Film dar; in den USA hatte es dagegen nie eine Adaption von Rocketship X-M gegeben. Zum zweiten wurde das knapp gehaltene Werk als Heftroman in der Reihe Utopia Großband (1954–1963) veröffentlicht, denn in den Fünfzigerjahren war das Groschenheft die übliche Form, in der gedruckte Science-Fiction in Deutschland vermarktet wurde. Und zum dritten ist die Identität Bert Koeppens bis heute ein nicht aufzulösendes Rätsel. Das Internet weiß praktisch nichts über den Autor, der im Rahmen der Utopia Großband-Reihe nur diesen einen Roman veröffentlichte, allerdings für Utopia Großband auch mehrere amerikanische Autoren übersetzte und für das Utopia Magazin als Herausgeber und Essayist in Erscheinung trat – auffälligerweise nur in den Jahren 1958 und 1959.

 

Ein recht weit verbreitetes Gerücht besagt, dass Walter Spiegl (geb. 1934), ehemaliger Redakteur und Übersetzer beim Pabel Verlag und Mitbegründer des Science Fiction Club Deutschland, unter den Pseudonymen Bert Horsley und Bert Koeppen für die Romanheftreihen Utopia und Utopia Großband geschrieben habe. Nach einer E-Mail-Korrespondenz, die ich im Juli 2014 mit Walter Spiegl geführt habe, ist das Gerücht jedoch zweifelsfrei falsch. Spiegl betonte in seiner Antwort auf meine Nachfrage mit Nachdruck, dass er in seinem Leben nie auch nur ein einziges Wort Science-Fiction-Literatur geschrieben habe; an Bert Koeppen, „der damals gewiss zu unserem engeren Kreis gehört hatte“, konnte er sich allerdings nicht mehr näher erinnern. Interessant ist noch, dass unter dem Namen Bert Koeppen 1964 auch ein humoristischer Heftroman erschienen ist, nämlich Liebe auf Rädern in der Reihe Humor ins Haus (Fritz Mardicke Verlag Hamburg, 1950–1964), Band 410. Ob sich dahinter derselbe Bert Koeppen verbirgt, der auch Rakete Mond startet schrieb und ob der Name überhaupt ein Pseudonym ist, konnte ich leider nicht ermitteln. Zuguterletzt behauptet die ISFDb, dass Bert Koeppen 1923 geboren worden sei – woher diese Information stammt, ist jedoch unklar.

 

Rakete Mond startet ist ein flott und überraschend unterhaltsam geschriebenes Science-Fiction-Abenteuer, das den anspruchslosen Konventionen des Heftromans vollauf entspricht: Ein geringer Umfang, ein knapper und ganz auf die Action konzentrierter Erzählstil, sowie schablonierte, grell überzeichnete Figuren. Koeppens Sprache ist schlicht und öfters mit umgangssprachlichen Floskeln und Partikeln durchsetzt (z. B. auf S. 4: „Die Presse soll ja nicht verwöhnt werden!“), weiß auf der anderen Seite aber auch immer wieder mit schönen Bildern zu gefallen (z. B. auf S. 8, wo der gleißende Raketenstart mit dem Gleißen auf dem Gesicht eines Schweißers verglichen wird – okay, Schweißer benut­zen für gewöhnlich Schutzhauben, aber gut …). Die Handlung wird spannend vorangetrieben, und Langeweile kommt nie auf. Freilich lächelt man Seite für Seite über die grenzenlose Naivität, mit der das künftige Abenteuer der Raum­fahrt geschildert wird – ein Charakteristikum, das die Science-Fiction bis in die Sechzigerjahre prägte und das der Roman auch mit dem Film teilt. Bereits im Vorwort des Romans wird enthusiastisch der bevorstehende Vorstoß ins All beschworen, der selbstverständlich zur Kolonisierung anderer Welten und schließlich zur Beherrschung der gesamten Galaxis führen wird – eine damals typische, fast nie hinterfragte expansionistische Haltung, die mit faszinierter Tech­nikbegeisterung gepaart war. Die gesellschaftlichen Entwicklungen, die die technologischen Veränderungen zwingend in Gang setzen müssten, wurden dagegen nicht in den Blick genommen. Der Mensch der Zukunft blieb in diesen Visio­nen ein Geschöpf der Fünfzigerjahre.

 

Naiv und unglaubwürdig ist die Vorstellung, dass die Entwicklung des ersten bemannten Raumschiffs völlig geheim geblieben sein könnte. So informiert der Leiter der Raketen-Versuchsbasis in Cape Canaveral, John Fleming, die her­beigerufene Presse erst wenige Minuten (!) vor dem Start über die Mission. Nicht minder naiv ist die hochfahrende Idee, dass der allererste bemannte Raumflug gleich eine Landung auf dem Mond zum Ziel haben könnte, wobei dies freilich eine alte Spekulation ist, die auch schon in George Mélièsʼ Le Voyage Dans La Lune (1902) und in Fritz Langs Frau im Mond (1929) dargestellt wurde. Auch dass der Entwickler der Rakete selbst, ein genialer Tüftler, Held der Wis­senschaft und Pionier der menschlichen Kultur, die Gelegenheit erhält, beim ersten Flug selbst mit dabei zu sein, so als ob dies ganz natürlich und naheliegend wäre, ist ein altes Klischee aus frühen Raumfahrtromanen und -Filmen. Der Flug zum Mars dauert erstaunlicherweise nur wenige Stunden (vgl. S. 24), und während des Fluges ist es der Mann­schaft problemlos möglich, die komplizierte Technik der Rakete zu reparieren und sogar neue Anschlüsse der Treib-stoffversorgung einzubauen. Zuvor gelang es der wundersamen Ingenieurskunst von Karl Eckström sogar, mittels „Kreisel“ in der Druckkabine des Schiffs für die Bequemlichkeit künstlicher Schwerkraft zu sorgen (vgl. S. 6).

 

Der Roman hält sich sehr eng an die Handlung des Films, allerdings wird sie von Koeppen vielfach erweitert und aus­geschmückt, was für den Leser, der den Film bereits kennt, ein Gewinn und eine Freude ist. Die umfangreichste Ände­rung ist die Einflechtung einer komplett neu hinzugedichteten Kriminalgeschichte: Ein FBI-Agent namens Cleff New­port, eine stahlharte Heldenfigur, ermittelt incognito auf dem Gelände der Raketenentwicklungs- und Abschussbasis gegen eine zunächst unbekannte Organisation von Saboteuren, denn im Roman sind anders als im Film Saboteure schuld daran, dass die RXM 1 ihr Ziel verfehlt und stattdessen bis zum Mars katapultiert wird. Die Agentengeschichte gerät mit mehreren Mordanschlägen, Schießereien und Faustkämpfen extrem ausgekocht, ja, geradezu hysterisch. Am Ende findet Newport heraus, dass hinter der Sabotage eine argentinische Firma steckt, die ihrerseits an einer bemann­ten Rakete arbeitet und die Erfolge der Konkurrenz in Cape Canaveral zunichte machen will (vgl. S. 81).

 

Die gravierenden Unglaubwürdigkeiten der Originalhandlung werden leider auch von Bert Koeppen nicht behoben. Auch hier spielt das korrekte Mischungsverhältnis der Treibstoffkomponenten eine zentrale Rolle, und die falsche Mischung – sowie ein unerklärlicher Einfluss kosmischer Strahlung – führt zur extrem hohen Beschleunigung, die das Schiff mir nichts, dir nichts zum Mars katapultiert. Warum das Schiff nicht irgendwo in den Weiten des Alls strandet, sondern ausgerechnet zum Mars gelangt, wird auch im Roman mit keiner Silbe erklärt.

 

Die Romanze zwischen dem Piloten Floyd und Eckströms wissenschaftlicher Assistentin Lisa van Horn gerät im Roman noch schmalziger als im Film; Koeppen dichtet außerdem noch ein flüchtiges Tächtelmächtel hinzu, das Floyd und Lisa schon Jahre zuvor in Genf gehabt hatten. Es fehlt bei ihm zwar der sexistische Dialog, in dem Floyd die Meinung äu­ßert, dass Kochen, Nähen und Kinder kriegen alles sei, was sich eine Frau vom Leben erhoffen sollte. Dafür resümiert Lisa ihr Leben als „verpfuscht“, weil sie Wissenschaftlerin geworden ist, statt früh geheiratet zu haben (vgl. S. 56).

 

Die Erkundung der Marswüsten und der Ruinen der Marsstadt, der spannendste Teil des Romans, wird von Koeppen sehr anschaulich und stimmungsvoll erzählt, wobei er auch hier die Vorlage des Films geschickt ausschmückt. Bei ihm liegt die Marsstadt in einem der unvermeidlichen Marskanäle; mühselig müssen die Raumfahrer in das mächtige Tal hinabsteigen. Die Kanäle sind hier nicht mehr künstliche Wasserstraßen, sondern werden als natürliche, bis zu 80 Kilo­meter breite Bruchtäler erklärt, in denen sich nach dem Niedergang der marsianischen Biosphäre bläulich-grüner, küm­merlicher Pflanzenwuchs gehalten hat. Die berühmte Szene mit dem Marsmädchen, das als lebende Anklage des Atomkriegs einen herzzerreißenden Schrei ausstößt, lässt natürlich auch Koeppen nicht aus (S. 37f.), allerdings ist bei ihm das Marsmädchen nicht nur blind, sondern auch noch jämmerlich degeneriert – sie hat nur an einer Hand Finger und einen unnatürlich breiten Mund. Eckströms prägnantester Ausspruch im Film, gleichsam die Moral von der Ge­schichtʼ, wird auch im Roman zum Besten gegeben: „Vom Atomzeitalter zur Steinzeit! So sieht also die Zukunft aus!“ Das Menetekel wird von Koeppen noch unterstrichen, indem er die Hauptfiguren darüber spekulieren lässt, ob die Mars- und Erdenmenschen genetisch miteinander verwandt sein könnten. Die Warnung, die im selbstverschuldeten Holocaust auf dem Mars liegt, tritt damit noch deutlicher hervor: Was die Vorväter auf dem Mars vorlebten, könnten die Menschen auf der Erde wiederholen.

 

Während der Film damit endet, dass die vom Mars zurückkehrende RXM 1 auf der Erde abstürzt, geht bei Koeppen die Handlung noch weiter. Die nächste Rakete RXM 2 wird wenige Wochen nach dem Absturz fertiggestellt. John Fleming, der Chef der Raketenbasis, und Cleff Newport, der seinen FBI-Job an den Nagel hängt und zur Raumfahrt wechselt, treten gemeinsam einen zweiten Flug zum Mars an, der vor allem die Bergung der Toten zum Ziel hat, die die RXM 1 auf dem Mars zurücklassen musste. In einem Epilog, der 15 Jahre später stattfindet, befinden sich Fleming und New­port auf dem Mars in „Marsport“, der ersten, rund 3000 Einwohner zählenden Siedlung, die genau an der Stelle ge­gründet wurde, wo Karl Eckström und seine Kameraden von den Marsmutanten erschlagen wurden. Fleming und Newport, die beide aktiv am Aufbau der Siedlung beteiligt waren, beglückwünschen sich gegenseitig für ihre Pionier­leistungen – zu denen ein neuer, schnellerer Raketenantrieb und die Nutzung der radioaktiven Verseuchung des Mars als Energiequelle (!) zählen. Zuversichtlich blicken sie in die Zukunft, die ihnen einen dicht besiedelten, prosperieren­den Mars verheißt, der nur die erste Etappe in der Kolonisierung des Sonnensystems darstellt. Da die Redaktion vom Utopia Großband Koeppens Roman in einen siebenteiligen Zyklus „Die Geschichte der Zukunft“ eingefügt hat – Rakete Mond startet ist die „1. Epoche“, die „Epochen“ der folgenden Bände stammen u. a. von Frederic Brown, George O. Smith und Robert A. Heinlein –, dient der Nachklapp des Romans wohl vor allem dem Ziel, eine Verbindung zur „2. Epoche“ herzustellen, dem Roman Attentat auf dem Mars von Eric van Lhin.

 

Rakete Mond startet ist anspruchslose, naive und oft schreiend absurde Pulp-SF reinsten Wassers und als frühe Adap­tion eines Hollywoodfilms aus der Feder eines deutschen Autors ein echtes Kuriosum. Die leidenschaftliche Inbrunst, mit der der Roman seine erträumte Zukunft proklamiert, entfaltet rückblickend einen rührenden Charme. Vielleicht auch deshalb ist der Roman trotz aller Defizite extrem kurzweilig zu lesen. Wer schon mit Kurt Neumanns Film etwas anfangen konnte, wird mit diesem Heft­roman garantiert seinen Spaß haben.

 

 

© Michael Haul; veröffentlicht auf Astron Alpha am 8. Februar 2016